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THERAPIE/300: Akzeptanz der Gruppentherapie fördern und fordern (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2009

Warum setzt sich eine anerkannte Therapieform nicht durch?
Akzeptanz der Gruppentherapie fördern und fordern

Von Gerhard Leinz, Kiel


Gruppenpsychotherapie führt in der ambulanten Versorgung ein Schattendasein, meint Gerhard Leinz. Ein Erklärungsversuch.


Selbsthilfegruppen auch für psychisch Kranke boomen. Dafür gibt es Koordinations- und Vermittlungsstellen. Die Rentenversicherungsträger koordinieren die Gruppennachbetreuung nach stationären psychotherapeutischen Rehabilitationsmaßnahmen. Gruppenpsychotherapie ist ein Mauerblümchen in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung. Nur zwölf für tiefenpsychologische Therapie zugelassene Therapeuten in Schleswig-Holstein führen Gruppentherapie nach den Psychotherapierichtlinien durch. Informationen darüber, wer Gruppentherapie tatsächlich durchführt, sind für Patienten kaum zu bekommen. Es ist absurd - das Arrangement mit der Krankheit wird mehr gefördert als die Überwindung in therapeutischen Gruppen.

Was macht es noch immer so schwer, diese anerkannt guten
Therapieformen umzusetzen?

Da ist zu festzustellen, dass sich Patienten mit Gruppentherapie im ambulanten Setting wesentlich schwerer tun als in der Klinik. Dies musste "mein klinischer Gruppentherapeut" (drei Jahre Ganztagstätigkeit als Stationstherapeut in einer Suchtklinik) erst einmal begreifen. In der Klinik kann man viele Patienten in die Gruppentherapie hineinnehmen, die ambulant nicht oder nicht primär gruppentherapiefähig sind.

Was sind die Hintergründe? Die Behandlung in der Klinik ist eine Ausnahmesituation. Die Patienten lassen sich in der Klinik mehr auf Dinge ein, mit denen sie sich ambulant schwer tun. Von Bedeutung ist der höhere Leidensdruck der Patienten in Kliniken. Patienten, die in die Kliniken kommen, sind schwerer derangiert. In der Klinik gibt es auch ein dichteres, die Gruppentherapie unterstützendes Netz (das therapeutische Klima, die anderen Klinikmitarbeiter und vor allem auch die Mitpatienten, die viel präsenter sind als in einer ambulanten Therapiegruppe).

Im ambulanten Bereich, besonders in kleineren Orten, sind die Ängste der Patienten viel wirksamer. Wen treffe ich in der Gruppe? Wird die Vertraulichkeit und Verschwiegenheit eingehalten? Die Anknüpfungspunkte an die Mitpatienten in der Gruppe entwickeln sich viel langsamer als in der Klinik. Die Vorstellung, in der Einzeltherapie hätten Patienten mehr vom Therapeuten, ist viel wirksamer als in der Klinik. Dort müssen sich die Patienten nicht zwischen Einzel- und Gruppentherapie entscheiden. Im ambulanten Bereich wird bis auf wenige Ausnahmen von den Patienten verlangt, sich schnell zwischen Einzel- und Gruppentherapie zu entscheiden. Im ambulanten Bereich tun sich auch Therapeuten mit einer Kombination von Einzel- und Gruppentherapie schwer.

Meine Erfahrung ist, dass man viele Patienten mit der Vorschaltung einer Einzeltherapie vor die Gruppentherapie gruppentherapiefähig machen kann. Dabei ist auch zu erwähnen, dass im Einzelfall sogar nach 80 oder gar 100 Stunden tiefenpsychologischer Einzeltherapie eine ungekürzte tiefenpsychologische Gruppentherapie nach den Psychotherapierichtlinien bei entsprechender Begründung möglich ist.

Ein Wechsel des Therapeuten beim Übergang von der Einzel- zur Gruppentherapie ist zwar möglich. Nach meiner Erfahrung ist dies aber nicht umsetzbar, da die Patienten dann die Gruppentherapie nicht antreten. Von Bedeutung ist auch, dass die von den Ausbildungen oft favorisierten Angebotsformen der Gruppentherapie als geschlossene Gruppen ambulant nur in einer Praxis mit hoher Fallzahl und viel "Patientenaussortierung" umgesetzt werden kann, also kaum für die gängige psychotherapeutische Praxis praktikabel ist. Meine Erfahrung ist, dass das Konzept der halboffenen Gruppentherapie das realistische Konzept für die Durchführung ambulanter Gruppenpsychotherapie ist.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200910/h091004a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Oktober 2009
62. Jahrgang, Seite 34
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2009