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INTERVIEW/020: Das System e-Card - Silke Lüder zum Fiasko kostspieliger Testläufe (SB)


"In erster Linie handelt es sich um eine politische Auseinandersetzung"

Interview am 28. Juni 2012 in Düsseldorf

Die Hamburger Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. med. Silke Lüder ist Sprecherin der Aktion "Stoppt-die-e-Card". Seit mehreren Jahren engagiert sie sich in vorderster Front gegen die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Vor dem Sozialgericht Düsseldorf wurde am 28. Juni 2012 die Klage des Wuppertalers Sven S. gegen die zwangsweise Verordnung der e-Card in erster Instanz verhandelt. Im Rahmen eines nachfolgenden Pressegesprächs, zu dem die Kritiker der eGK geladen hatten, zog Silke Lüder in einem Rückblick auf die Geschichte des Projekts e-Card die verheerende Bilanz "einer Galavorstellung aus der Reihe Pleiten, Pech und Pannen" [1]. Zwischen der Verhandlung, nach der sie den zahlreich erschienenen Medienvertretern Rede und Antwort stand, und dem Pressegespräch der e-Card-Gegner fand Silke Lüder Gelegenheit, dem Schattenblick einige Fragen zum Prozeßverlauf und dem Medienecho zu beantworten.

Silke Lüder - Foto: © 2012 by Schattenblick

Silke Lüder
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Frau Lüder, wie beurteilen Sie Verlauf und Ausgang des heutigen Verfahrens?

Silke Lüder: Wir haben schon damit gerechnet, daß es in diesem Verfahren keine Zustimmung zu der Klage geben würde. Es wurde jedoch eine wichtige Etappe des Instanzenweges beschritten. Wir gehen jetzt in die nächste Instanz. Das Ziel ist das Bundesverfassungsgericht.

SB: Waren die Argumente, die vorgetragen wurden, Ihres Erachtens vollständig oder hätten der Anwalt bzw. das Gericht noch genauer werden müssen?

SL: Der Anwalt hat sich heute an den Widersprüchen orientiert, die sich inzwischen entwickelt haben, weil sich auch die Gesetzeslage zu der elektronischen Gesundheitskarte im Laufe der Zeit verändert hat. Das Projekt und die anfänglichen Versprechen und Anforderungen sind mehrfach geändert worden, und daran hat er sich heute hauptsächlich orientiert. Wie das Gericht argumentieren würde, war voraussehbar. Es hat sich ausschließlich auf die Freiwilligkeit der weitergehenden Anwendung zurückgezogen. Leider kam heute überhaupt nicht zur Sprache, daß es für die weitergehenden Anwendungen schon jahrelange kostenträchtige Tests gegeben hat. So wurden der Notfalldatensatz, das elektronische Rezept und das Einlesen der Karte von 2007 bis 2008 einer Prüfung unterzogen. Diese Tests sind ein großes Fiasko gewesen und komplett gescheitert.

SB: Verschiedenen Berichten zufolge sind noch weitere Anwendungen der e-Card geplant, wie zum Beispiel die Verwendung der Daten für Forschungsvorhaben, was heute ebenfalls nicht zur Sprache kam?

SL: Ja. Von Anfang an ist in der Booz-Allen-Hamilton-Studie [2] klar gewesen, daß sich das ganze Projekt nur rentiert, wenn die weitestgehenden Anwendungen und darüber hinaus die wirtschaftlichen Zusatzanwendungen mit Nutzungspräferenzen zum Beispiel für die Pharmaindustrie von möglichst allen Beteiligten benutzt werden. Das hat Booz Allen Hamilton in der ursprünglichen Studie, die immer noch die einzig aussagekräftige zum Thema ist, festgestellt. Wenn man sich jetzt immer nur darauf beschränkt zu sagen, daß erst einmal nur die kleine Karte mit dem kleinen Foto eingeführt wird und alles andere freiwillig ist, dann entspricht das nicht ganz den Tatsachen. Aber das kann man dem Gericht heute eigentlich nicht vorwerfen, das müßte in weitergehenden Verfahren erörtert werden.

In erster Linie handelt es sich natürlich um eine politische Auseinandersetzung, weil die Politik die Gesetze immer weiter getrieben und in den beiden letzten Jahren vier Gesetzesänderungen zu dem Thema vorgenommen hat. Unter Androhung von hohen Strafen hat sie zudem die Krankenkassen unter Druck gesetzt, sich an die Vorgaben zu halten, so daß das im wesentlichen nicht ein Problem der Krankenkassen ist. Sie profitieren zwar im weiteren Verlauf davon, weil sie im Rahmen des Versicherten-Stammdaten-Managements einen Teil ihrer eigenen Arbeit auf die Arztpraxen umlegen können. Ob sie dadurch nachher wirklich eine wirtschaftliche Einsparung verbuchen werden, steht noch in den Sternen. All das ist heute überhaupt nicht zur Sprache gekommen. Der Prozeß hat sich nur daran orientiert, daß die kleine Karte mit den gleichen Daten wie bisher kommen soll. Deswegen hat das Gericht so entschieden.

SB: Waren Sie überrascht, daß die Medienvertreter zur heutigen Verhandlung so zahlreich erschienen sind?

SL: Ja, ein bißchen schon. Wir arbeiten schließlich seit 2007 an dem Thema, und jetzt, wo die Menschen diese diktatorische Aufforderung der Krankenkassen bekommen - gib dein Foto ab, auch wenn du das eigentlich nicht willst -, ist es wirklich ein großes Thema für die Öffentlichkeit geworden.

SB: So gesehen war der Gerichtstermin sogar ein Erfolg, weil er die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Problematik der e-Card gelenkt hat?

SL: Auf jeden Fall.

SB: Frau Lüder, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:
[1] Siehe dazu auch Schattenblick - INFOPOOL - MEDIZIN - REPORT
BERICHT/018: Das System e-Card - Auf dem Weg zum Bundesverfassungsgericht (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/report/m0rb0013.html

INTERVIEW/018: Das System e-Card - Jan Kuhlmann über Akteure und Folgen des Projekts eGK (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/report/m0ri0018.html

INTERVIEW/019: Das System e-Card - Martin Grauduszus sieht ärztliches Ethos in Gefahr (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medizin/report/m0ri0019.html

[2] Die Öffentlichkeit ist bisher in keiner Weise objektiv über die Folgen der Einführung einer zentralen Krankendatei auf Servern bei Krankenkassen oder kommerziellen Anbietern informiert worden. Schlechte Ergebnisse der bisherigen Kartentests werden regelmäßig unterschlagen, selbst von der Gematik in Auftrag gegebene Kosten-Nutzen Analysen bei unerwünschten Ergebnissen nicht veröffentlicht (Booz Allen Hamilton Studie), und bezahlte Auftragsbefragungen der interessierten Industrie in Bezug auf die Akzeptanz in der Öffentlichkeit werden mit irreführenden Fragestellungen durchgeführt und veröffentlicht. Zu befürchten ist, dass durch dieses verfehlte Projekt deutlich weniger Geld für die Versorgung der Versicherten zur Verfügung stehen wird.

http://www.stoppt-die-e-card.de/index.php?/pages/aktion.html

13. Juli 2012