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INITIATIVE/120: Praxis ohne Grenzen - Eine Hilfe, die nicht überflüssig wird (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9/2019

Praxis ohne Grenzen
Eine Hilfe, die nicht überflüssig wird

von Dirk Schnack


Kinder ohne Krankenversicherung sollte es in Deutschland nicht geben, meinen die Initiatoren der Praxen ohne Grenzen. Die FDP-Politiker Gyde Jensen und Dennys Bornhöft haben sie an ihrer Seite.


Dr. Uwe Denker unternimmt einen weiteren Anlauf, um die Arbeit der von ihm gegründeten Praxis ohne Grenzen langfristig überflüssig zu machen. Denker wird im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages in Berlin über die Arbeit der Praxis ohne Grenzen berichten. Dies vereinbarte der Allgemeinmediziner aus Bad Segeberg mit der Leiterin des Ausschusses, Gyde Jensen (FDP), die sich vergangenen Monat gemeinsam mit dem FDP-Landtagspolitiker Dennys Bornhöft in der Praxis ohne Grenzen in Bad Segeberg informierte.

"Es muss das Ziel bleiben, dass die Praxen ohne Grenzen nur eine Übergangslösung sind", sagte Jensen nach dem Gespräch. Sie räumte allerdings ein dass sie keine schnellen Erfolge erwartet. Als besonders bedrückend empfindet sie dass zahlreiche Kinder unter der Notsituation ihrer Eltern leiden und ebenfalls nicht krankenversichert sind. Die betroffene Personenzahl bezifferte Denker auf insgesamt 800.000. Verlässliche Zahlen liegen derzeit allerdings nicht vor. Prof. Peter Ostendorf, Initiator der Praxis ohne Grenzen in Hamburg, hofft auf eine Studie, die diese Zahl vermittelt und damit wichtige Argumentationshilfe in der Diskussion mit der Politik liefern kann.

Jensen ist überzeugt, dass die Information der Politiker durch Denker und Ostendorf ein wichtiger Schritt ist, auch wenn sich schon viele andere Politiker vor ihr vor Ort informiert haben und Verbesserungen stets nur in langsamen Schritten erzielt werden konnten. Auf solche Verbesserungen hofft auch Jensen, solange es noch Menschen ohne Krankenversicherungsschutz in Deutschland gibt.

Diese Tatsache ist auch unter Gesundheitspolitikern bislang kaum bekannt. Auch Bornhöft, der sich seit über zwei Jahren mit Gesundheitspolitik beschäftigt, hat nach eigenen Angaben erst durch Denker erfahren, "dass es Kinder in Deutschland gibt, die nicht in der Krankenversicherung sind". Nach dem Termin in der Praxis ohne Grenzen sagte Bornhöft: "Das enge soziale Netz in Deutschland ist anscheinend noch nicht engmaschig genug."

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6 Praxen ohne Grenzen helfen in Schleswig-Holstein Menschen, die nicht krankenversichert sind. Neben Bad Segeberg gibt es Standorte in Stockelsdorf, Preetz, Rendsburg, Flensburg und Husum. Die Praxen sind auf Spenden angewiesen, um etwa Medikamente oder teure Eingriffe finanzieren zu können.
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Auch wenn Krankenversicherung ein Bundesthema ist, will er die Landesebene nicht aus der Pflicht nehmen und prüfen, ob ein Modell aus Hamburg für Schleswig-Holstein infrage kommen könnte. Dort finanziert die Stadt eine Clearingstelle mit 250.000 Euro jährlich. Die Hamburger Praxis ohne Grenzen kann dort auf Antrag Zuschüsse für einzelne Operationen erhalten, die für Patienten aus der Praxis ohne Grenzen erforderlich sind.

Die Hamburger Praxis ist deutlich größer als die in Bad Segeberg. 48 Ärzte arbeiten in der Hansestadt ehrenamtlich für Patienten ohne Krankenversicherungsschutz. Einfach ist ihre Arbeit nicht, oft hilft nur der Druck über Medien und Öffentlichkeit, berichtete Ostendorf. So behandeln etwa die Hamburger Krankenhäuser Menschen aus der Praxis ohne Grenzen nach seinen Angaben nur gegen Vorkasse und gegen Summen, die alle Eventualitäten abdecken.

Beeindruckt zeigten sich Jensen und Bornhöft nicht nur vom persönlichen Engagement der ehrenamtlichen Helfer um Denker und Ostendorf, sondern auch von der Tatsache, dass die Zahl der Hilfesuchenden selbst in wirtschaftlich starken Zeiten wie den vergangenen Jahren gestiegen ist. Dass diese Situation in Deutschland überhaupt möglich ist, halten Jensen und Bornhöft für ein "Armutszeugnis der Gesellschaft". Sie stellen sich die Frage, ob man dauerhaft akzeptieren will, dass die Behandlung von 800.000 nicht krankenversicherten Menschen davon abhängt, dass sich Ärzte weiterhin ehrenamtlich für sie einsetzen. Dies ist zumindest in Bad Segeberg für eine ganze Reihe von Ärzten selbstverständlich. Seit Kurzem kann die dortige Praxis ohne Grenzen auch auf die ehrenamtliche Arbeit eines Zahnarztes zählen - den Betroffenen muss nun kein Hamburger Zahnarzt helfen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 9/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201909/h19094a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, September 2019, Seite 31
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2019

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