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PFLEGE/587: Pflegeforscher kritisiert EU-Entscheidung zur Pflegeausbildung (idw)


Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. - 16.10.2013

Pflegeforscher kritisiert EU-Entscheidung zur Pflegeausbildung

"Der deutsche Sonderweg ist im Kern pflege- und frauenfeindlich!"
Neue Bundesregierung soll eine "Konzertierte Aktion Pflege" einleiten



Der Direktor des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip) in Köln, Prof. Frank Weidner, hat die Entscheidung des EU-Parlaments zur Frage der Zulassungsvoraussetzungen zur Pflegeausbildung scharf kritisiert. In der vergangenen Woche hatte das Parlament den Änderungsvorschlägen zur EU-Richtlinie 2005/36/EG zugestimmt. Im Gegensatz zu den ursprünglichen Vorschlägen der EU-Kommission wird es in Europa nunmehr zwei parallele Zugangsniveaus zur Pflegeausbildung geben. Für fast alle EU-Staaten gelten zwölf Jahre allgemeiner Schulbildung als Voraussetzung um eine Pflegeausbildung aufzunehmen, für Deutschland sind es weiterhin nur zehn Jahre. Für alle Länder gelten zukünftig aber einheitlich festgelegte Kompetenzen, die unabhängig von der Dauer der Vorbildung am Ende der Pflegeausbildung erworben sein müssen. Insbesondere die scheidende Bundesregierung hatte sich für den deutschen Sonderweg stark gemacht und letztlich auch durchgesetzt. Weidner regt nun eine Konzertierte Aktion Pflege an.

"Die scheidende Bundesregierung hat in Sachen Pflege bekanntlich vieles liegen gelassen", so Weidner "und hat abschließend Deutschland mit diesem Sonderweg in Europa auch noch einen Bärendienst erwiesen." Angesichts des galoppierenden Fachkräftemangels und der schwindenden Wettbewerbsfähigkeit gerade der deutschen Pflege in Europa sieht der dip-Direktor aber einen dringenden und grundsätzlichen Reformbedarf. Als Gegenmaßnahme fordert er gerade jetzt in Zeiten der Regierungsbildung eine "Konzertierte Aktion Pflege" von Politik, Gewerkschaften, Verbänden, Einrichtungen und der Gesellschaft zur grundlegenden Verbesserung der Situation in Deutschland. Diese solle strukturelle Verbesserungen der Qualifikation, Arbeitsbedingungen, Vergütungen und des Images der Pflege gleichermaßen angehen.

Der Pflegeforscher steht mit seinen Auffassungen nicht allein. Im Gegensatz zur Politik hatten sich zuletzt sowohl alle wichtigen Berufsverbände der Pflege als auch Verbände und Organisationen der Pflegewissenschaft in Deutschland für ein einheitliches Niveau von zwölf Jahren in Europa ausgesprochen. Die Experten argumentieren, dass mit der fehlenden Bereitschaft in Deutschland, die Pflege grundsätzlich und umfassend zu reformieren, der Anschluss in Europa und der Welt verpasst werde.

"Der durchgesetzte deutsche Sonderweg in Europa ist im Kern pflege- und frauenfeindlich", so Weidner weiter. "Und das wird sich in den kommenden Jahren noch bitter rächen!" Er hob hervor, dass in den technischen Mangelberufen, in denen überwiegend Männer beschäftigt sind, im Gegensatz zum Pflegesektor massiv investiert und die Standards angehoben würden, um im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte bessere Karten zu haben. "Für den Frauenberuf Pflege aber, so glaubt die deutsche Politik offenbar, reichten Peanuts aus", beklagt der Pflegewissenschaftler. Der Fachkräftemangel sei gerade in Deutschland besonders ausgeprägt und hänge direkt mit der jahrelangen Vernachlässigung des hiesigen Pflegesektors zusammen. Wie man nun glauben könne, dass mit der weiteren Vernachlässigung eine Kehrtwende und eine Antwort auf eben diesen Fachkräftemangel zu finden sei, könne nur mit Unkenntnis der Zusammenhänge erklärt werden, so der Pflegeforscher.

Weidner stützt seine Argumentation auch auf Daten und Erkenntnisse, die zeigen, dass der Pflegestandort Deutschland in Europa bereits in den vergangenen Jahren nach und nach seine Konkurrenzfähigkeit eingebüßt habe. So gingen trotz entgegengesetzter Bemühungen der Politik in Deutschland mehr Pflegefachkräfte ins benachbarte Ausland als von dort aus nach hier kommen. Das liege in erster Linie an den hierzulande sehr belastenden Arbeitsbedingungen in der Pflege, an der vergleichsweise niedrigen Bezahlung und an der fehlenden Wertschätzung. "Deutschland ist offensichtlich nicht bereit, seine Hausaufgaben in Sachen Pflege zu machen und hat nun den eigenen Berufszugang in Europa durchgesetzt", so Weidner, "und in gleichem Atemzug bittet man das Ausland, die hiesigen Strukturprobleme mit der Entsendung von Pflegefachkräften zu beheben." Das ergebe schon ein trauriges Gesamtbild deutscher Pflegepolitik, betont Weidner.

Zugleich unterliege die Pflege hierzulande aber einem enormen Veränderungs- und Leistungsdruck. "In den Krankenhäusern werden immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit von immer mehr Ärzten und zugleich immer weniger Pflegepersonal behandelt.", so der Pflegeforscher weiter. In der stationären Altenpflege nimmt der Anteil schwer- und schwerstpflegebedürftiger Menschen insbesondere mit Demenz deutlich zu. Und in der häuslichen Pflege steigen die Anforderungen ebenfalls dramatisch an. Studien aus dem Ausland zeigen, dass die Qualität der Patientenversorgung nicht nur mit der Anzahl des zur Verfügung stehenden Personals, sondern insbesondere auch mit dessen Qualifikation zusammenhängt. Weidner: "Wenn beides nicht mehr den Entwicklungen standhält, dann ist die pflegerische Versorgung der Bevölkerung gefährdet."


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Pressemitteilung


Das gemeinnützige Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip) ist ein Institut an der Katholischen Hochschule NRW (KatHO NRW) in Köln und betreibt einen weiteren Standort an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV) bei Koblenz. Seit der Gründung im Jahr 2000 hat das Institut nahezu einhundert innovative Projekte im Bereich der Pflege-, Pflegebildungs- und Versorgungsforschung durchgeführt und zahlreiche Studien zur Situation der Pflege in Deutschland veröffentlicht. Es finanziert sich nahezu ausschließlich durch eingeworbene Forschungsgelder.


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V.
Prof. Dr. Frank Weidner, 16.10.2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2013