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PFLEGE/374: Erklärung zur Ethikberatung in Einrichtungen der Altenhilfe (AEM)


Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) - 30. März 2009

Zur Bedeutung von ethischer Kompetenz in Einrichtungen der Altenhilfe

Erklärung von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich, München und
Diakoniepräsident Dr. Ludwig Markert, Nürnberg


Die Evang. Luth. Landeskirche in Bayern und das Diakonische Werk Bayern rufen hiermit dazu auf, Ethikberatung bzw. ausgewiesene ethische Kompetenz in Zukunft in allen diakonischen und kirchlichen Einrichtungen der Altenpflege zu einem integralen Bestandteil des Gesamtkonzeptes werden zu lassen.

1997 riefen der deutsche Evangelische Krankenhausverband und der Katholische Krankenhausverband Deutschlands ihre Mitglieder dazu auf, in Krankenhäusern Ethikberatung in Form von Ethik-Komitees einzurichten, um ethische Fortbildung für Mitarbeitende anzubieten, Leitlinien für das Handeln und für Behandlungen zu erstellen, v.a. aber, um schwierige Fälle interdisziplinär zu beraten. Inzwischen ist die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer diesem Aufruf gefolgt und hat ihn auf alle deutschen Kliniken ausgedehnt. Ethikberatung ist zu einem Qualitätsmerkmal von Kliniken geworden. Sie dient den Patientinnen und Patienten und fördert eine konstruktive Kommunikationskultur in Kliniken.

Schon jetzt und in Zukunft immer mehr müssen auch in Einrichtungen der Altenpflege schwierige Situationen bewältigt und schwierige Entscheidungen getroffen werden. Dazu braucht es besondere ethische Wachsamkeit und Sensibilität für die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner und für die Notwendigkeiten der konkreten Situation. Dreh- und Angelpunkt, an der die ethischen Entscheidungen auszurichten sind, sind die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner. In stationären Pflegeeinrichtungen sind auch bereits heute Leitungen, Pflegeverantwortliche und Mitarbeitende in diesem Sinn wachsam und sensibel. Dies verdient hohe Anerkennung und Unterstützung - sowohl in fachlicher als auch in struktureller Hinsicht. Gerade deshalb besteht eine besondere Herausforderung immer wieder darin, die Anweisungen von Hausärztinnen und Hausärzten mit teilweise widersprechenden Erwartungen von Angehörigen und den eigenen Wünschen der pflegebedürftigen Bewohnerinnen und Bewohnern zu vereinbaren. Willensbekundungen in Patientenverfügungen bedürfen der Interpretation. Werden Menschen im Pflegeheim krank, rückt der Tod heran, setzt häufig ein v.a. für die Bewohnerinnen und Bewohner belastender "Drehtüreffekt" ein. Sie werden ins Krankenhaus überwiesen, kommen wieder von dort zurück, werden wieder überwiesen, auch deshalb, weil in der Pflegeeinrichtung Unsicherheit über das angemessene Verhalten oder Zweifel an der verordneten Behandlung bestehen. Dieser "Drehtüreffekt" widerspricht einer Auffassung, gerade das Ende des Lebens -und was damit verbunden ist- als entscheidende Lebensaufgabe anzunehmen und bewusst zu gestalten. Engagierte Hausleitungen und Pflegende, die mit solchen Situationen zurechtkommen und offene Fragen ansprechen, verdienen hohe Anerkennung. Sie brauchen aber auch professionelle Begleitung und kontinuierliche Fortentwicklung ihrer ethischen Kompetenz.

Die andauernde Debatte um assistierten Suizid und aktive Sterbehilfe und nicht zuletzt sich wandelnde Vorstellungen vom "guten Leben und Sterben" machen deutlich, dass regelmäßige Gespräche über ethische Standards in Zukunft in keiner Altenpflegeeinrichtung fehlen sollten. In der Broschüre "Für ein würdevolles Leben bis zuletzt" der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände München, des Bay. Hospizverbandes, des Christopherus Hospiz Vereins München, der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern und der Landeshauptstadt München wird beschrieben, wie in Zukunft in Alten- und Pflegeeinrichtungen besser entschieden werden könnte:

"Eine Gesprächsrunde für ethisch schwierige oder konfliktbehaftete Situationen bietet die Möglichkeit, den Willen festzustellen, Verantwortung zu teilen und zu einer gemeinsam getragenen Entscheidung zu kommen. Solche Gespräche können auch ein wichtiges Instrument der emotionalen Entlastung für alle Beteiligten sein."
("Für ein würdevolles Leben bis zuletzt" S. 19)

Eine in diesem Sinne zu entwickelnde ethische Kompetenz in Alten- und Pflegeeinrichtungen, sowie der Aufbau von ausreichend Fortbildungsmöglichkeiten haben aus unserer Sicht hohe Priorität. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine erhöhte ethische Kompetenz in stationären Pflegeeinrichtungen nicht unabhängig von den gesamten Pflegeprozessen gesehen werden darf, sondern integraler Bestandteil des Pflege- und Einrichtungskonzepts sein muss. Bewohnerinnen und Bewohner brauchen die Gewissheit, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen werden und ihre Würde bis zum Lebensende geachtet wird. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen Handlungssicherheit und erfahren Entlastung. Vor Ort können Einrichtungen der Altenpflege mit Kirchengemeinden, diakonische Einrichtungen, mit der Altenheimseelsorge, ambulanten Pflegediensten und Kliniken zusammenarbeiten und gegenseitig beratend tätig werden.

Eine in diesem Sinne erhöhte ethische Kompetenz in Alten- und Pflegeeinrichtungen kann in Zukunft neben einer gut integrierten Hospizkultur zu einer zweiten wichtigen Säule für eine humane Begleitung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase werden.

Stand 27.01.2009


Kontakt:
Pfarrer Dr. Dr. habil. Heiner Aldebert, PD
Koordinationsstelle für Medizinethik der Evang. Luth. Kirche in Bayern
Institut TTN Technik, Theologie, Naturwissenschaften
an der Ludwig-Maximilians-Universität München
Marsstr. 19/V, 80335 München
E-Mail: Heiner.Aldebert@elkb.de


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Quelle:
[AEM-AKTUELL:280] vom 30. März 2009
Herausgeber: Akademie für Ethik in der Medizin (AEM)
Georg-August-Universität Göttingen
Humboldtallee 36, 37073 Göttingen
Tel.: 0551/39 39 69, Fax: 0551/39 39 96
Internet: http://www.aem-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2009