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PFLEGE/469: Notstand in der Pflege - Hintergründe und Auswege (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 50 vom 17. Dezember 2010
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Notstand in der Pflege

Die UZ sprach mit Detlev Beyer-Peters über Hintergründe und Auswege


Detlev Beyer-Peters ist Fachkrankenpfleger für psychiatrische Pflege. Er arbeitet im AWO-Seniorenzentrum in Recklinghausen und ist dort Betriebsratsvorsitzender, von dort aus entsandt in den Konzernbetriebsrat und dort zum Vorsitzenden gewählt.


UZ: Zur Zeit ist viel von Pflegenotstand die Rede. Ist das ein Schlagwort oder ist das die Realität?

DETLEV BEYER-PETERS: Der Pflegenotstand ist in zweierlei Hinsicht die Realität. Zum einen, weil in den Einrichtungen zu wenig Personal ist, um tatsächlich eine gute Versorgungsqualität, und Pflegequalität sicherzustellen. Zum anderen, weil insbesondere im Pflegebereich qualifizierter Nachwuchs immer weniger wird, so dass es immer schwieriger wird, auf dem Arbeitsmarkt überhaupt noch examinierte Altenpflegekräfte zu bekommen. Das Hauptproblem ist, dass die Auseinandersetzung um die Pflegesätze, die ja heute unter Konkurrenz- und Wettbewerbsbedingungen stattfindet, zu Ungunsten der Träger abläuft. Von daher ist kaum ein Träger bereit, z. B. Auszubildende einzustellen und auszubilden, weil das den Pflegesatz sofort erhöht und damit die Konkurrenzsituation auf dem Markt verschlechtert.

UZ: Was charakterisiert diesen Pflegenotstand?

DETLEV BEYER-PETERS: Mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 ist die Einnahmesituation der Pflegeheime immer schwieriger geworden. Im Zuge dieser Entwicklung wurde am Personal gespart, so dass wir jetzt in einer Entwicklung sind, die - wenn nichts geschieht - unweigerlich in einer Pflegekatastrophe enden wird. Bei der Entwicklung hin zu einer Pflegekatastrophe wird es immer schwieriger, die Dienste so abzusichern, dass eine ausreichende Pflege möglich ist. Es kommt zu Zusammenbrüchen in der Personalbesetzung, zunächst in einzelnen und dann in zunehmend immer mehr Bereichen.

UZ: Sind denn Pflegekräfte aus Polen die Lösung? Oder aus dem Ausland überhaupt?

DETLEV BEYER-PETERS: Ausländische Pflegekräfte sind keine gute Lösung. Es gäbe genügend Möglichkeiten, Auszubildende zu gewinnen. Dafür müssen ausreichend Ausbildungsplätze sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich zur Verfügung gestellt werden. Die ambulanten Träger bilden häufig nicht aus aufgrund der Kosten der Ausbildung. Die stationären Träger bilden nur aus, wenn das ihre Konkurrenzsituation auf dem Pflegemarkt durch höhere Pflegesätze nicht verschlechtert. Wir brauchen deshalb eine Ausbildungsumlage, die es schon in zwei Bundesländern gibt. Auf diese Weise müssten sich alle Träger an den Ausbildungskosten beteiligen und wären von daher eher bereit Ausbildungsplätze für Pfleger/innen zur Verfügung zu stellen, weil es sich dann nicht mehr negativ auf den Pflegesatz auswirken würde. Also niemand hätte dadurch einen Konkurrenzvorteil, dass er nicht ausbildet.

Menschen, die sich in der Altenpflege ausbilden lassen würden, gäbe es sicherlich in ausreichender Anzahl. Dafür sind aber Maßnahmen zur Werbung von Auszubildenden und zur Einrichtung von Ausbildungsplätzen erforderlich.

UZ: Jetzt geht es ja auch darum, die Situation der Beschäftigten zu verbessern, um den Beruf attraktiver zu machen.

DETLEV BEYER-PETERS: Die Pflegekräfte, die aus dem Ausland kommen könnten, würden nichts an der Ausbildungs- und Personalsituation in der ambulanten und stationären Altenpflege ändern. Es ist lediglich die billigere Variante, wenn man nicht ausbilden möchte. Es wäre ein Ersatz von Pflegekräften, die sowieso hätten ausgebildet und danach eingestellt werden müssen. Es wird ja dadurch nicht mehr Geld für eine Erhöhung der Personalstellen ausgegeben.

Von den privaten Arbeitgebern im Altenpflegebereich wird ja behauptet, dass sehr viele examinierte Pflegekräfte aus Deutschland in andere Länder wie z.B. der Schweiz auswandern würden. Mir ist eine solche Tendenz nicht bekannt. Wenn es so etwas geben sollte, dann nur in einem verschwindend geringen Maße. Die Behauptung der privaten Arbeitgeber basiert im Übrigen nicht auf statistischem Zahlenmaterial sondern ausschließlich auf Erfahrungswerten, woher auch immer diese Erfahrungen kommen mögen.

UZ: Jetzt geht es ja nächsten Freitag bei euch in die fünfte Verhandlungsrunde für die 22.000 Beschäftigten der AWO in NRW, von denen die meisten in der Altenpflege arbeiten. Mit welchen Forderungen geht ihr in diese Verhandlungen hinein? Und ist da Bewegung?

DETLEV BEYER-PETERS: Es gibt derzeit Schwierigkeiten bei den Verhandlungen. Die Arbeitgeber sind zwar bereit, uns in vielen Punkten entgegenzukommen.

Aber bezüglich der Begrenzung prekärer Arbeitsverhältnisse wie z.B. nur noch befristete Einstellung, Einstellungen nur noch unter Teilzeitbedingungen oder der Einsatz von Leiharbeitern in AWO-Einrichtungen gibt es gar keine oder nur sehr wenig Bewegung. Und bei der Frage einer erneuten Vorteilsregelung für die ver.di-Mitglieder in den AWO-Einrichtungen, blockieren die Unternehmen der AWO in NRW vollständig.

UZ: Was fordert Ihr in Sachen Leiharbeit?

DETLEV BEYER-PETERS: In Sachen Leiharbeit fordern wir Equal Pay, eine Forderung, die ja bei der IG Metall schon vor kurzem in einem Tarifvertrag verankert worden ist. Wir fordern also die gleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit für Beschäftigte, die aus Leiharbeitsfirmen der AWO in Einrichtungen der AWO kommen. An dieser Stelle verweigern sich die Arbeitgeber, obwohl die AWO zurzeit massiv politisch unter Druck steht, insbesondere wegen ihrer Leiharbeitsgesellschaft in Essen und im AWO-Bezirk Westliches Westfalen.

UZ: Und ihr fordert für Gewerkschafter einen Bonus?

DETLEV BEYER-PETERS: Ja, wir fordern einen Bonus für ver.di-Mitglieder. Das waren bisher zwei freie Tage für Vollzeitbeschäftigte pro Jahr. Und die Arbeitgeber sind nicht im Geringsten bereit, erneut eine Vorteilsregelung und erst recht mit freien Tagen zu vereinbaren. Hier deuten sich heftige Auseinandersetzungen mit ver.di an. Inwieweit das also auch zu einer weiteren Zuspitzung des Tarifkonfliktes führen wird, ist jetzt noch nicht absehbar. Das hängt von der Verhandlung am Freitag ab, also davon ob die Arbeitgeber an dieser Stelle ihre Blockade aufgeben.

Das Gespräch führte Werner Sarbok


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, Nr. 50,
17. Dezember 2010, Seite 2
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2010