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ARTIKEL/016: Versorgungsstrukturgesetz - "Erprobungsregelung als Chance nutzen" (BVMed)


BVMed - Bundesverband Medizintechnologie e.V. - 1. Februar 2012

MedInform-Konferenz zum Versorgungsstrukturgesetz:
"Erprobungsregelung von medizintechnischen Verfahren als Chance nutzen"


Berlin. Die im Versorgungsstrukturgesetz (VStG) vorgesehene Erprobungsregelung für ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten sollte als Chance gesehen und genutzt werden. Das sagten Dr. Ulrich Orlowski vom Bundesgesundheitsministerium und Dr. Rainer Hess vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auf der MedInform-Konferenz "Versorgungsstrukturgesetz 2012". MedInform ist der Informations- und Seminarservice des BVMed. Die Erprobungsregelung sei ein Instrumentarium, um den Nutzen einer neuen Methode schneller zu belegen. Nach Ansicht von BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Joachim M. Schmitt stellen sich die Unternehmen dem Thema Nutzenbewertung. Es müsse aber aufgrund der Heterogenität der Medizinprodukte nach Risikoklasse und Modifikationsgrad differenziert werden. Und es müsse klar sein, welche Studien vom G-BA und dem IQWiG anerkannt werden. G-BA-Chef Hess stellte klar: "Wir sind nicht RCT-gläubig. Wir erkennen die bestmögliche Evidenz an und wissen sehr wohl, dass es bei Medizinprodukten nicht immer randomisierte kontrollierte Studien geben kann." Diese Abstufung müsse auch das IQWiG vornehmen.

Details zur Erprobungsregelung werden in einer Verfahrensordnung vom G-BA festgelegt. Derzeit arbeitet bereits eine Arbeitsgruppe an den Festlegungen, beispielsweise wann ein "Potenzial" einer Methode vorliege. Nach Informationen von Hess werde die Verfahrensordnung "relativ schnell kommen". Die Beteiligten wie Krankenkassen, Kliniken, Ärzte und Hersteller müssten gemeinsam bereit sein, das neue Instrument zu nutzen. Georg Baum von der Deutschen Krankenhausgesellschaft begrüßte es, dass der Gesetzgeber am innovationsfreundlichen Prinzip "Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt" im Krankenhaus grundsätzlich festgehalten hat. Er sprach sich für eine Innovationsoffenheit und gegen überzogene Nutzenbewertungsansprüche aus. "Im Zweifel für den medizinischen Fortschritt", so sein Appell. BMG-Vertreter Orlowski wies zudem auf den "Nationalen Strategieprozess Innovation der Medizintechnik" hin, der ressortübergreifend organisiert sei. Auch hier greife man das Thema der Nutzenbewertung als "Schlüsselbegriff für die Bewertung von Medizinprodukten" auf.

Einen Überblick zu den Kernelementen des Versorgungsstrukturgesetzes 2012 gab Dr. Ulrich Orlowski vom Bundesgesundheitsministerium. Triebfedern waren die demografischen Veränderungen in der Ärzteschaft, aber auch struktureller Änderungsbedarf sowie die Innovationsprozesse im Medizinproduktebereich. Die wichtigste Änderung für die MedTech-Unternehmen ist die neue Erprobungsregelung von Medizinprodukte-Innovationen. Ziel ist es, den Zugang zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) mit Medizinprodukten zu verbessern. Im Fokus steht dabei das Patienteninteresse, schnellen Zugang zu Innovationen zu haben und damit die Versorgungssituation zu verbessern, gleichzeitig aber auch den Patientenschutz zu erhöhen. Begleitet werden die gesetzlichen Regelungen durch einen "Nationalen Strategieprozess Innovationen in der Medizintechnik", um die Rahmenbedingungen in Deutschland zu überprüfen und zu verbessern, "damit die innovativen deutschen MedTech-Unternehmen auch international bestehen können". Die NUB-Verfahren im Krankenhaus bezeichnete Orlowski als "sehr komplex". Der Anteil der NUB-Verfahren an der Gesamtvergütung liege bei unter 0,1 Prozent. Ein wichtiges Thema ist der Methodenausschluss. Bisher konnte der G-BA eine neue Methode nur annehmen oder - wenn der Nutzen nicht ausreichend belegt - ausschließen. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz erhält der G-BA nun ein Instrument, um den Nutzennachweis in der Versorgung herbeizuführen. Wenn der Nutzen der neuen Methode nicht hinreichend belegt ist, aber ein Potenzial zu einer erforderlichen Behandlungsalternative vorliegt, kann der G-BA für die Erprobung dieser Methode ein unabhängiges wissenschaftliches Institut mit der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation beauftragen. Dabei können neben Krankenhäusern auch Vertragsärzte beteiligt werden, wenn die Leistung ambulant erbringbar ist. Wenn die Methode maßgeblich auf dem Einsatz eines neuen Medizinproduktes beruht, sollen die Medizinproduktehersteller an den Kosten angemessen beteiligt werden. Die Angemessenheit beurteilt sich dabei auch nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Den Erprobungsantrag kann dabei auch der Hersteller stellen, wenn das Medizinprodukt wesentlicher Bestandteil einer neuen Methode ist. Der G-BA muss über einen solchen Antrag innerhalb von drei Monaten entscheiden.

Die Auswirkungen des Versorgungsstrukturgesetzes auf den niedergelassenen Bereich skizzierte Dr. Hans-Joachim Helming, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB). Er sieht in dem Gesetz "sehr viele und wirksame Lösungsinstrumente", die den Akteuren und Verantwortlichen für die Gestaltung der medizinischen Versorgung die lange geforderten Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Brandenburg stehe als Flächenland vor einem doppelten Demografieproblem. Nicht nur die Bevölkerung werde älter und multimorbider, auch die Ärzte würden älter und Nachfolgeregelungen schwieriger. Zudem gebe es eine höhere Frauenquote bei den Ärzten. Der Versorgungsbedarf steige, während der ärztliche Nachwuchs fehle und das Geld für Landesprogramme knapp sei. "Wir müssen daher neue kreative Ansätze entwickeln, um Ärzten Angebote zu schaffen, sich im ländlichen Raum anzusiedeln. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz sind wir hier auf einem guten Weg", so Helming. Als Beispiele für neue Instrumente nannte er die Aufhebung von Honorarbegrenzungen in speziellen Fällen und mehr Einzelleistungsvergütungen, Zuschläge für besonders förderungswürdige Leistungen, die Aussetzung von Maßnahmen zur Fallzahlbegrenzung sowie den Strukturfonds zur Förderung der vertragsärztlichen Versorgung und die sektorenübergreifenden und spezialfachärztlichen Versorgungsstrukturen. Sinnvoll für ein Flächenland sei ebenfalls die Einrichtung von Zweigpraxen auch mit fachfremden Angestellten. Die KVBB sei bestrebt, junge Ärzte, die in der Facharztausbildung sind, durch spezielle Angebote und Blockpraktika an die Region zu binden und durch die Einführung von Fallmanagern ("agnes zwei") zu unterstützen. Ein Problem des neuen Gesetzes seien die unterschiedlichen Versichertenpauschalen. Brandenburg liege hier unter dem Bundesdurchschnitt und fühle sich damit finanziell benachteiligt.

Die Rolle der Krankenhäuser bei der Sicherstellung des Versorgungsauftrages beleuchtete Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Krankenhäuser sind seiner Ansicht nach maßgebliche Leistungserbringer im ambulanten Bereich. Er schätzt den Leistungsumfang auf rund 3 Milliarden Euro. Den Ansatz der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung begrüßte Baum grundsätzlich. Aber diese Leistungen müssten nach wie vor krankenhausnah erbracht werden. Deshalb benötige man eine ambulante Zulassung der Krankenhäuser nach § 116 b SGB V. Baum kritisierte, dass durch das Versorgungsstrukturgesetz der Kreis derjenigen, die eine ambulante Krebsbehandlung im Krankenhaus durchführen wollen, massiv eingeschränkt wurde. Denn bei Krebs-, Herz-, Rheuma-, MS-, Epilepsie-Patienten und herzkranken Kindern soll in Zukunft eine ambulante Behandlung im Krankenhaus nur noch bei schweren Ausprägungen dieser Krankheiten möglich sein. Angesichts zunehmender Schwierigkeiten für viele Patienten, gerade in diesen fachärztlichen Disziplinen rechtzeitig einen Termin zu bekommen, sei die jetzt geplante Entkernung des ambulanten Leistungsspektrums der Krankenhäuser nicht nachvollziehbar. Baum appellierte an die Politik, die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten, die die Patienten in Krankenhäusern erhalten können, nicht einzuschränken. Bei der Erprobungsregelung für neue medizintechnische Verfahren sieht Baum mehr Chancen als Risiken. Positiv sei, dass am innovationsfreundlichen Grundsatz im Krankenhaus festgehalten werde. Das Motto der neuen Erprobungsregelung, "Studien statt Ausschluss", biete Vorteile. Positiv seien auch die neuen Beteiligungsregelungen für die Industrie und medizinische Fachgesellschaften sowie die stringentere Refinanzierungsregelung, da die Kassen innerhalb von drei Monaten ein Entgelt verhandeln müssen.

Dr. Andreas Meusch, Leiter der Landesvertretungen der Techniker Krankenkasse, sieht den Gesundheitsmarkt "vor einem dynamischen Jahrzehnt des Wettbewerbs". Es werde bei den Krankenkassen, Krankenhäusern, Ärzten und Herstellern eine Entwicklung hin zu Marken geben. "Die MedTech-Unternehmen müssen sich hier die Frage stellen, wie sie sich künftig im Markt positionieren wollen." Das Finanzierungssystem mit den Zusatzbeiträgen hat kurzzeitig den Preiswettbewerb zwischen den Krankenkassen zum Erliegen gebracht. Dafür gibt es vermehrt Differenzierungsmöglichkeiten bei Leistungen und Services. Meusch begrüßte die erweiterten Satzungsleistungen für Krankenkassen, die im Versorgungsstrukturgesetz vorgesehen sind: Vorsorge und Rehabilitation, künstliche Befruchtung, zahnärztliche Behandlung, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel (Beispiel Osteopathie), häusliche Krankenpflege oder nicht zugelassene Leistungserbringer. Meusch: "Wir werden aber vorsichtig sein und uns sehr genau anschauen, mit wem wir Verträge machen." Positiv sei, dass es mehr Wahlmöglichkeiten für die Versicherten und eine verbesserte Wettbewerbssituation gegenüber der Privaten Krankenversicherung gebe. Gut seien auch die Ansätze zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung, um Sektorengrenzen zu überwinden. Schade sei es, dass es keine selektivvertraglichen Möglichkeiten für die Krankenkassen gebe. Entscheidend sei nun die Ausgestaltung durch den G-BA. Was wollen die Versicherten? Aus den verschiedenen Befragungen schließt die TK, dass die Versicherten mehr Wahlfreiheiten haben möchten. Sie wollen Eigenverantwortung übernehmen und über Art und Umfang des eigenen Versicherungsschutzes selbst entscheiden. Die Bevölkerung möchte bessere Service und bessere Versorgung bei geringeren Kosten. Das sei die Richtschnur für die TK.

Als "richtigen Ansatz des Gesetzgebers" bezeichnete Dr. Rainer Hess, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), die im Versorgungsstrukturgesetz eingeführte Erprobungsregelung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch Medizinprodukte. Hess stellte klar: "Wir bewerten keine Medizinprodukte, keine Herzschrittmacher und Endoprothesen. Wir bewerten ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, bei denen Medizinprodukte eine Rolle spielen können." Die Erprobungsregelung biete die Chance, repräsentative Studien zu neuen Verfahren zu erstellen, wenn keine ausreichende Evidenz vorhanden ist und keine Studien zu erwarten sind. Was ein Verfahren "mit Potenzial" ist, werde eine Verfahrensordnung des G-BA festlegen. Hess interpretiert "Potenzial" als "Zusatznutzen" einer notwendigen Behandlungsalternative oder als "Nutzen" eines neuen Verfahrens. Man müsse sich dabei gemeinsam mit den Herstellern darüber unterhalten, wie das Verfahren beschleunigt werden könne. Der G-BA legt in einer Richtlinie die Studienbedingungen fest, beauftragt ein Institut mit der Studie und muss die Hersteller an den Kosten angemessen beteiligen. Die Leistungen selbst werden von den Krankenkassen vergütet. Der Hersteller oder Anbieter selbst hat ein eigenes Antragsrecht. Der G-BA entscheidet dann innerhalb von drei Monaten über das Potenzial und den Start einer Erprobung. Aufgabe des IQWiG ist die Erstellung einer wissenschaftlichen Expertise. Die Entscheidung liegt dann aber beim G-BA. Dabei sind noch eine Vielzahl von Beteiligungsrechten zu berücksichtigen. Es werde eine sehr intensive mündliche Anhörung durchgeführt, zu der auch Sachverständige geladen werden. Zur Studienlage stellt Hess klar, dass der G-BA "nicht RCT-gläubig" ist: "Wir erkennen die bestmögliche Evidenz an und wissen sehr wohl, dass es bei Medizinprodukten nicht immer randomisierte kontrollierte Studien geben kann." Diese Abstufung müsse auch das IQWiG vornehmen. Offen sei die Frage, wie der GKV-Spitzenverband mit dem Instrument umgehen werde. Wenn es einen GKV-Antrag auf Erprobung gibt und der G-BA zustimmt, stehe der Hersteller durchaus unter Druck. Verweigert der Hersteller die Kostenbeteiligung, kann die Methode auch im Krankenhaus ausgeschlossen werden, so Hess.

In der abschließenden Plenumsdiskussion begrüßte Dr. Stefan Sauerland vom IQWiG die Erprobungsregelung, die dazu beitragen könne, eine neue Methode schneller zu bewerten. Er sieht auch Vorteile für die Unternehmen: "Man kann schneller die Vorteile einer neuen Methode evidenzbasiert aufzeigen und dies bei der internationalen Vermarktung einsetzen", so Sauerland.


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Quelle:
BVMed-Pressemeldung Nr. 12/12 vom 1. Februar 2012
V.i.S.d.P.: Manfred Beeres M.A.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2012

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