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FORSCHUNG/118: Kreislaufsimulator soll eine bessere Versorgung schwerstkranker Patienten ermöglichen (idw)


Justus-Liebig-Universität Gießen - 13.04.2016

Kreislaufsimulator ermöglicht bessere Versorgung schwerstkranker Patienten

Konkurrenz zwischen Herz-Lungen-Maschinen und dem menschlichen Kreislauf kann Heilung erschweren - Simulation von akutem Herzversagen im Silikon-Modell


Akute und lebensbedrohliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind auch heute noch eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland. Reichen bei der Erstversorgung eines Kreislaufversagens konservative Maßnahmen wie Medikamente und Wiederbelebung nicht aus, so stehen in Zentren der Maximalversorgung mobile Herz-Lungen-Maschinen zur künstlichen Kreislaufwiederherstellung zur Verfügung. Erholt sich das Herz wieder, tritt aber die Maschine in Konkurrenz zum eigenen Kreislauf, was die Heilung erschwert. Erstmals wurde jetzt an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) ein Silikon-Kreislaufsimulator präsentiert, der es ermöglicht, die genauen Zusammenhänge zu untersuchen und letztendlich die Versorgung schwerstkranker Patienten zu verbessern.


Foto: © Johannes Gehron

Die metallfreie Konstruktion des Kreislaufsimulators ermöglicht auch MRT-Untersuchungen.
Foto: © Johannes Gehron


Foto: © Johannes Gehron

Die metallfreie Konstruktion des Kreislaufsimulators ermöglicht auch MRT-Untersuchungen.
Foto: © Johannes Gehron

Ähnlich wie bei einer Herzkatheter-Untersuchung wird beim akuten Herzversagen der Kreislauf der Patienten über die großen Blutgefäße der Leistengegend durch Schläuche mit der Herz-Lungen-Maschine verbunden, die mit einer Blutpumpe als Herzersatz und einem Oxygenator als Lungenersatz die Kreislaufarbeit übernimmt. Das erkrankte Herz-Kreislauf-System kann sich dann innerhalb der nächsten Tage erholen, da die Arbeit komplett vom externen künstlichen Kreislauf übernommen wird. Dieser hat aber durch die Verbindung über die großen Leistengefäße eine Strömungsrichtung, die der natürlichen Strömungsrichtung des menschlichen Kreislaufs sogar entgegenwirkt. Das erkrankte Herz muss für das entgegenströmende Blut Energie aufbringen, die es eigentlich zur Erholung benötigt. Durch die Vermischung beider Strömungen kann es außerdem zur Minderversorgung lebenswichtiger Organe wie des Gehirns kommen.

Die Richtung, Ausdehnung und Lokalisation dieser gegeneinander gerichteten und konkurrierenden Blutströmungen wurde bisher noch nicht systematisch untersucht. Dies gelingt nur mit einem Kreislaufsimulator, mit dem die gegeneinander gerichteten Strömungen ohne Auswirkung auf die Patienten künstlich simuliert und mit Ultraschallverfahren und Magnetresonanztomographie (MRT) qualitativ und quantitativ überprüft werden können. Schon lange bestehende Simulatoren zur Testung von Kunstherzen aus starren Blutbehältern imitieren zwar den Kreislauf, sind aber nicht wie das menschliche Gefäßsystem konstruiert und scheiden deswegen zur Darstellung der aufeinandertreffenden Strömungen aus.

Die Gießener Wissenschaftler um den Biomediziner und Kardiotechniker Johannes Gehron und den Assistenzarzt Dr. Philippe Grieshaber konstruierten deswegen mit einem aus Computertomographiedaten gewonnenen Silikonmodell der großen arteriellen und venösen Körpergefäße einen Kreislaufsimulator, mit dem sie die Konkurrenz des internen und externen Kreislaufs eins zu eins darstellen können. Das originalgetreue Modell in Erwachsenengröße ermöglicht die Simulation des akuten Herzversagens und dessen Therapie durch den Anschluss einer Herz-Lungen-Maschine an den künstlichen Leistengefäßen. An der Entwicklung des Simulators sind Wissenschaftler von JLU, Technischer Hochschule Mittelhessen (THM) und der Fachhochschule Dortmund sowie Kunstkreislaufspezialisten des Universitätsklinikums Gießen beteiligt.

Durch den direkten Zugang zum offenen Gefäßsystem ohne umgebendes Gewebe werden Störungen bei den Ultraschalluntersuchungen ausgeschlossen. Eine Konstruktion ohne Metall ermöglicht außerdem MRT-Untersuchungen zur kompletten und ausführlichen Darstellung und Messung aller konkurrierenden Strömungen im gesamten Gefäßsystem. Alle Daten werden zusätzlich mit einer numerischen Strömungssimulation überprüft, um wichtige Voraussagen zur Strömungsbildung und Vermischung treffen zu können.

Die Kunstkreislaufspezialisten des UKGM möchten mit dem Modell die Entstehung der aufeinandertreffenden Blutströmungen besser verstehen und durch die Untersuchung der beeinflussenden Faktoren langfristig eine bessere Erholung des Herz-Kreislauf-Systems der Patienten ermöglichen und eine Minderversorgung wichtiger Organe vermeiden.


Kontakt:
Johannes Gehron und Dr. Philippe Grieshaber
Studiengruppe Exploration of the Mixing Phenomena during Interaction of Internal and External Circulations (EMPACs)
Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Gießen
Klinik für Herz-, Kinderherz- und Gefäßchirurgie
E-Mail: Johannes.Gehron@chiru.med.uni-giessen.de / Philippe.Grieshaber@chiru.med.uni-giessen.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution217

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Justus-Liebig-Universität Gießen, Lisa Dittrich, 13.04.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2016

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