Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → ASTRONOMIE

BERICHT/041: Eine Nacht im Zentrum der Milchstraße (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 2/09 - Februar 2009
Zeitschrift für Astronomie

Eine Nacht im Zentrum der Milchstraße
Den Beobachtern am Very Large Telescope über die Schulter geschaut

Von Stefan Gillessen


Schwarze Löcher sind nicht leicht zu finden. Im Zentrum der Milchstraße befindet sich aber mit Sicherheit eines. Beobachten kann man nur seine Auswirkungen auf die unmittelbare Umgebung - und das erfordert den Einsatz moderner Großteleskope im infraroten Spektralbereich.


Pünktlich, eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, holt der Nachtastronom der ESO die beiden Gastbeobachter am Wohngebäude knapp 200 Höhenmeter unter dem Gipfel des Cerro Paranal ab. Die beiden Gäste sind aus ihrem Heimatinstitut in Garching bei München angereist, um in dieser Juninacht das Zentrum der Milchstraße am bedeutendsten europäischen Observatorium, dem Very Large Telescope (VLT) der ESO, zu beobachten. Das VLT besteht aus vier Großteleskopen mit je acht Metern Öffnung.

In der chilenischen Atacama-Wüste sind die Winternächte im Juni lang und kalt, gutes Beobachtungswetter ist nahezu garantiert. Am Kontrollgebäude angekommen, gehen die Wissenschaftler zunächst auf die Plattform, auf der die vier Teleskopriesen errichtet wurden. Techniker und Ingenieure der ESO haben die Teleskope schon für die Nacht vorbereitet. Die Kuppel steht kurz vor Sonnenuntergang bereits offen, damit sich die kleinen Temperaturunterschiede zwischen innen und außen ausgleichen, die im Laufe des Tages auftreten, obwohl das Kuppelinnere klimatisiert ist.

Auf der Plattform verfolgen die Forscher die letzten Minuten der Dämmerung, bis die Nacht tatsächlich anbricht. Am östlichen Horizont leuchtet der von der untergehenden Sonne beschienene, 6720 Meter hohe Vulkan Llullaillaco nahe der argentinischen Grenze; und unterhalb des Paranal im Westen liegt eine endlose Wolkendecke über dem Stillen Ozean, der Pazifik selbst ist nicht zu sehen. (Bildunterschrift 2). Mit etwas Glück wird die fantastische Aussicht mit einem grünen Strahl gekrönt, wenn der letzte Bruchteil der Sonnenscheibe hinter der scharf begrenzten Wolkendecke am Horizont verschwindet. Dann beginnt die Arbeitsnacht.


Mit Infrarotaugen ins Herz der Milchstraße sehen

Das einzige Ziel unserer Beobachtungen heute Nacht ist das galaktische Zentrum, wissenschaftlich eine hoch interessante Region am Himmel, die schon von vielen Forschern mit verschiedenen Teleskopen beobachtet wurde. Dabei ist uns der direkte Blick zum Herzen des Milchstraßensystems nicht möglich: Dichte interstellare Staubwolken behindern die Sicht, die Schwächung des Lichts im sichtbaren Spektralbereich beträgt rund 30 Größenklassen. Dies entspricht einer Abschwächung der Sonnenhelligkeit auf die Helligkeit des Polarsterns. Deswegen müssen die Astronomen auf andere Wellenlängenbereiche ausweichen, um das galaktische Zentrum und seine Umgebung zu studieren.

Besonders wichtig für die Erforschung des galaktischen Zentrums sind drei Spektralbereiche: die Radiostrahlung, die Infrarotstrahlung und die Röntgenstrahlung. Der Radiobereich ist deshalb interessant, weil er die höchste Winkelauflösung erlaubt. Ein einzelnes Radioteleskop hat zwar nur eine mäßige Winkelauflösung, aber weil mehrere Antennen interkontinental zusammengeschaltet werden können, lassen sich mit solchen radiointerferometrischen Verfahren noch Strukturen von wenigen Millibogensekunden auflösen - eine solche Bildschärfe wird heute in keinem anderen Wellenlängenbereich erreicht. In diesem Spektralbereich sieht man allerdings keine Sterne leuchten wie im Sichtbaren, sondern vor allem interstellares Gas.

Ebenso ungewöhnlich ist der Blick mit Röntgenaugen: Hier erzählt uns die Strahlung vor allem von hochenergetischen Prozessen, wie sie etwa stattfinden, wenn Materie in ein Schwarzes Loch fällt. Denn dabei werden große Energiemengen freigesetzt, die zu einer gewaltigen Aufheizung der Materie führen - und je höher die Temperatur eines beliebigen Körpers ist, desto kürzer ist die Wellenlänge, bei der er seine thermische Strahlung vorwiegend abgibt. Weil die Erdatmosphäre keine Röntgenstrahlung durchlässt, werden Röntgenteleskope als Satelliten gebaut und im nahen Weltraum (außerhalb der Erdatmosphäre) auf Erdumlaufbahnen betrieben. Die räumliche Auflösung der heutigen Röntgenteleskope ist relativ moderat, sie liegt bei etwa einer Bogensekunde.

Im infraroten Spektralbereich wird mit bodengebundenen Großteleskopen eine mittlere räumliche Auflösung erreicht. An einem der vier Acht-Meter-Spiegel des Very Large Telescope schafft man etwa 50 Millibogensekunden. Im Infraroten emittieren eher kühlere Sterne ihr Licht. Heiße Sterne strahlen zwar bevorzugt bei kürzeren Wellenlängen, aber der sichtbare und der ultraviolette Anteil ihrer Strahlung fällt größtenteils der interstellaren Extinktion zum Opfer. So lassen sich auch diese Sterne am besten im Infraroten beobachten. Und genau das haben die beiden VLT-Besucher heute auch vor.


Adaptive und aktive Optik

Das Acht-Meter-Teleskop UT4 des VLT ist mit den Instrumenten NACO und SINFONI ausgestattet, die wie gemacht sind für das galaktische Zentrum. NACO ist ein Vielzweckgerät, aber besonders interessant ist es als Kamera (Bildunterschrift 3). Seine spezielle Stärke ist, dass es wirklich beugungsbegrenzte Bilder liefert. Die erreichte Bildschärfe ist also nicht durch die atmosphärische Luftunruhe auf etwa eine Bogensekunde begrenzt, sondern nur durch den Durchmesser des Hauptspiegels und die Wellenlänge der empfangenen Strahlung - so erreicht man, wie gesagt, eine räumliche Auflösung von etwa 50 Millibogensekunden.

Dazu muss NACO permanent die durch die Luftunruhe verursachten hochfrequenten Bildstörungen ausgleichen. Die dazu erforderliche Technik wird adaptive Optik genannt. Der entscheidende Trick dabei ist: Man verwendet das Bild eines hellen Sterns (eines so genannten Leitsterns), der sich im Gesichtsfeld befindet, um mehrere hundert Mal pro Sekunde aus der Abweichung seines Bilds vom theoretischen Beugungsbild die momentane Verformung der Wellenfront durch die Luftunruhe abzuleiten (siehe Grafik unten). Mit dieser Information wird die Verformung eines leichten, dünnen und damit biegsamen Spiegels geregelt, der auf zahlreichen einzeln ansteuerbaren Stempeln gelagert ist. Der Spiegel befindet sich im Strahlengang und wird ständig so verformt, dass die Wellenfront nach der Reflexion wieder eben ist. Nach Vereinigung aller beteiligten Strahlen im Brennpunkt ergibt sich nun das gewünschte beugungsbegrenzte Bild des Leitsterns. Diese Korrektur ist dann auch für alle anderen Lichtquellen im Bildfeld wirksam.

Das Prinzip der adaptiven Optik: Das gestörte Bild des Leitsterns wird analysiert (links), daraus wird eine Verformung des adaptiven Korrekturspiegels berechnet, welche die atmosphärische Störung genau kompensiert (rechts). Quelle: ESO/ESO SuW-Grafik

Das Prinzip der adaptiven Optik: Das gestörte Bild des Leitsterns wird analysiert (links),
daraus wird eine Verformung des adaptiven Korrekturspiegels berechnet, welche die
atmosphärische Störung genau kompensiert (rechts).
Quelle: ESO/ESO SuW-Grafik

In Richtung des galaktischen Zentrums gibt es jedoch im sichtbaren Licht kaum hinreichend helle Sterne, um als Leitsterne für die adaptive Optik zu dienen. NACO kann aber mit einer Besonderheit aufwarten: Als weltweit einziges Gerät ist es mit einem Infrarot-Wellenfrontsensor ausgerüstet. Damit lassen sich auch Leitsterne verwenden, die im Infraroten hell sind, und nicht im sichtbaren Licht - solche Sterne stehen in der Umgebung des galaktischen Zentrums in großer Zahl zur Verfügung. Einer von ihnen ist besonders geeignet: Der rote Überriese IRS 7, etwa sechs Bogensekunden nördlich des galaktischen Zentrums (siehe Bildunterschrift 4).

Bevor NACO jedoch zum Zuge kommt, muss das Teleskop erst zum Zielobjekt ausgerichtet werden. Diese Arbeit wird den Gastbeobachtern am VLT von einem Ingenieur abgenommen, der zusammen mit ihnen die ganze Nacht am Steuerpult verbringt und diverse Funktionen des Teleskops kontrolliert.

Neben der Ausrichtung des Teleskops ist es seine Aufgabe auch, die aktive Optik einzustellen. In Abhängigkeit von der Richtung, in die das Teleskop schaut, biegt sich sein großer Acht-Meter-Spiegel unter seinem eigenen Gewicht spürbar durch. Diese zeitabhängige Verformung wird kompensiert, indem der Hauptspiegel von 150 Aktuatoren (hydraulisch gelagerten und permanent nachjustierten Stempeln) in der optisch korrekten Form gehalten wird (siehe Bildunterschrift 5). Ähnlich wie bei der adaptiven Optik wird die zur Steuerung der Stempel erforderliche Information aus der Analyse des Bilds eines hellen, im Gesichtsfeld stehenden Sterns abgeleitet. Atmosphärische Störungen kann man am Primärspiegel allerdings nicht korrigieren - dazu ist er zu groß und lässt sich nicht schnell und flexibel genug verformen.

Langsam werden die beiden Gäste ungeduldig. Wann starten denn nun die Beobachtungen? Das Teleskop zeigt schon zu den korrekten Koordinaten: Rektaszension 17h45m40s, Deklination -29°00'30''. Nur die aktive Optik funktioniert in der Dämmerung noch nicht. Sie benötigt einen Leitstern im sichtbaren Licht, und die treten erst bei hinreichend dunklem Himmel zum Vorschein. Auf dem Kontrollbildschirm von NACO sehen die Forscher bereits ein Bild vom galaktischen Zentrum - ohne eingeschaltete aktive Optik ist es allerdings hoffnungslos verschmiert und unscharf. Endlich kommen die erlösenden Worte: »Active optics started!«. Jetzt können unsere beiden Astronomen loslegen.


Ein wunderschöner Sternhaufen

Das Wetter ist nicht optimal. Die ersten Seeing-Werte liegen bei etwa 1,2 Bogensekunden (das »Seeing« gibt an, wie groß das Bild einer punktförmigen Lichtquelle erscheint, und ist ein Maß für die Bildverschmierung durch die Luftunruhe). Damit ist klar: Die ersten Aufnahmen werden bei einer Abbildungsskala von 27 Millibogensekunden pro Pixel und bei einer Wellenlänge von 2,2 Mikrometern (im so genannten K-Band) erfolgen. Damit ergeben sich Bilder von etwa 27 Bogensekunden Gesichtsfeld - ein Himmelsgebiet, das kleiner ist als das Jupiterscheibchen (Durchmesser: 42 Bogensekunden). Wegen der hohen Sterndichte im galaktischen Zentrum sind in diesem winzigen Gesichtsfeld trotzdem Tausende von Sternen zu sehen (siehe Bildunterschrift 4).

Solche Bilder wurden seit der Inbetriebnahme von NACO im Jahr 2002 regelmäßig aufgenommen. Daraus werden die Positionen der vielen tausend im Gesichtsfeld befindlichen Sterne immer wieder bestimmt und ihre Eigenbewegungen (also die an den Himmel projizierten Geschwindigkeiten) abgeleitet. Nach sieben Jahren ist für die Winkelgeschwindigkeit der einzelnen Sterne eine Messgenauigkeit von etwa ± 0,1 Millibogensekunden pro Jahr erreicht - das entspricht für die Geschwindigkeiten im Abstand des galaktischen Zentrums einer Unsicherheit von ± 5 Kilometern pro Sekunde. Die Geschwindigkeit eines Sterns, der sich so schnell bewegt, wie die Erde um die Sonne läuft (30 Kilometer pro Sekunde), wäre also leicht messbar.

Die im Laufe von mittlerweile sieben Jahren angesammelten Messdaten ergeben zusammen einen fantastischen statistischen Datensatz. Er zeigt deutlich, dass die Sterne sich umso schneller bewegen, je näher sie dem galaktischen Zentrum kommen - die höchsten gemessenen Geschwindigkeiten liegen bei 5000 Kilometern pro Sekunde. Dies kann man nur so erklären, dass dort eine große Masse vorhanden sein muss, viel mehr als man durch Aufaddieren der Masse der einzelnen, sichtbaren Sterne vermuten würde. Die einzelnen Bewegungsrichtungen dieser Sterne wirken zunächst zufällig. Wenn man die Daten aber in galaktischen Koordinaten darstellt, so dass eine Koordinatenachse entlang der galaktischen Ebene liegt und die andere senkrecht dazu, dann stellt man fest, dass die mittlere Bewegung in Richtung der galaktischen Ebene etwas schneller ist als senkrecht dazu. Dies liegt einfach daran, dass der zufälligen chaotischen Bewegung des zentralen Sternhaufens die Rotation des Milchstraßensystems überlagert ist. Diese Rotation findet nur in der galaktischen Ebene statt, so dass die mittlere Geschwindigkeit in dieser Richtung erhöht ist.

Ergänzt wird dieser Datensatz durch Radialgeschwindigkeitsmessungen. Diese wurden ebenfalls am VLT gewonnen, und zwar mit dem 2004 installierten Spektrografen SINFONI (Bildunterschrift 6), den unsere beiden Astronomen in der zweiten Hälfte dieser Beobachtungsnacht einsetzen werden. Die meisten der Sterne im Bildfeld haben einen späten Spektraltyp. Ihr Infrarotspektrum ist durch drei sägezahnartige Absorptionsbanden bei 2,29, 2,32 und 2,35 Mikrometern Wellenlänge geprägt. Die Verschiebung der Wellenlängen dieser Strukturen aufgrund des Dopplereffekts kann man gut nutzen, um die Radialgeschwindigkeiten der Sterne zu bestimmen. Zwar liegen diese Messungen nicht für die vielen tausend Sterne vor, von denen die aus Direktaufnahmen bestimmten Eigenbewegungen bekannt sind, doch immerhin für 600 von ihnen.

Auch diese Zahl ist groß genug, um einen sinnvollen Wert für die mittlere Radialgeschwindigkeit zu erhalten. Und dieser Wert wiederum erlaubt eine ganz erstaunliche Messung, wenn er zusammengenommen wird mit der mittleren, um die galaktische Rotation korrigierten Eigenbewegung. Für einen isotropen Sternhaufen (in dem also keine Bewegungsrichtung bevorzugt ist) müssen diese beiden Größen identisch sein. Die Einheit der Radialgeschwindigkeit ist Kilometer pro Sekunde, während die Eigenbewegung in Millibogensekunden pro Jahr gemessen wird: Durch Gleichsetzen beider Größen erhält man also die Umrechnung von Millibogensekunden auf Kilometer - was genau der Entfernung des Sternhaufens (und damit auch des galaktischen Zentrums) entspricht.

Die auf diese Weise gemessene Distanz zum Zentrum unseres Milchstraßensystems beträgt 26 300 ± 1100 Lichtjahre. (Der erste Wert ist das Messergebnis, der zweite dessen Unsicherheit.)


Unausweichlich: ein Schwarzes Loch

Die ersten zwei Stunden der Nacht sind vergangen - nach der Auswertung der neu gewonnenen Daten in unserem Garchinger Institut werden die Eigenbewegungen im zentralen Sternhaufen wieder etwas genauer bekannt sein. Das Seeing hat sich mittlerweile auf 0,8 Bogensekunden verbessert, so dass sich die Forscher dazu entschließen, NACO auf den riskantesten, aber potenziell gewinnbringendsten Modus umzustellen: Sie verdoppeln die Vergrößerung auf 13 Millibogensekunden pro Pixel und beobachten jetzt im H-Band bei 1,65 Mikrometer Wellenlänge. Dies ist die kürzeste Wellenlänge, bei der man die Sterne im galaktischen Zentrum noch gut beobachten kann. Dementsprechend erlaubt das H-Band die allerschärfsten Aufnahmen (je kürzer die Wellenlänge, desto höher die räumliche beugungsbegrenzte Auflösung).

Ziel der beiden Astronomen ist es nun, die Positionen der Sterne innerhalb der innersten Bogensekunde in der Umgebung des galaktischen Zentrums zu vermessen. In einem Gebiet, das uns kleiner als der Große Rote Fleck auf Jupiter erscheint, sind hier mehr als hundert Sterne konzentriert. Diese Sterne sind deshalb so interessant, weil sie nicht nur hohe Eigenbewegungen zeigen, sondern weil mittlerweile für mehr als dreißig von ihnen feststeht, dass sie sich auf gekrümmten Bahnen bewegen.

Wenn die Bahn eines Sterns gekrümmt ist, dann bedeutet dies nach den grundlegenden Gesetzen der Mechanik, dass auf diesen Stern eine Kraft einwirkt; deren Richtung und Stärke lässt sich aus der Form der Bahn bestimmen. Im Weltall kann das nur die Gravitation sein. Deshalb kann man aus der Stärke der Krümmung auf die Stärke der Kraft und somit auf die Masse schließen, welche die Quelle der Gravitation ist.

Das Ergebnis dieser Rechnung ist frappierend: Die Sterne bewegen sich um ein Gravitationszentrum, dessen Masse rund vier Millionen Sonnenmassen beträgt. Kein einzelner Stern oder Sternhaufen kann eine so große Masse besitzen: Während man an den heutigen Großteleskopen Sterne mit etwa 20 Sonnenmassen am Ort des galaktischen Zentrums leicht beobachten kann, ist an der Stelle, an der die vier Millionen Sonnenmassen liegen müssen, kein auffälliges Objekt zu sehen. Die konservativste Erklärung für die Beobachtungen ist mittlerweile, dass sich dort ein Schwarzes Loch dieser Masse befindet. Es werden zwar weiterhin andere Möglichkeiten diskutiert, die jedoch in den Augen der meisten Wissenschaftler noch abstruser sind als die Annahme, es existiere im galaktischen Zentrum tatsächlich ein Schwarzes Loch dieser Masse.

Auch für die Sterne innerhalb der zentralen Bogensekunde um das galaktische Zentrum wurden mit SINFONI Radialgeschwindigkeiten gemessen. Dadurch sind inzwischen für 28 dieser Sterne die kompletten räumlichen Umlaufbahnen bekannt - entsprechend dem ersten keplerschen Gesetz sind sie elliptisch, das unsichtbare Schwarze Loch steht in dem allen Umlaufbahnen gemeinsamen Brennpunkt (Bild unten).

Das Bild zeigt acht der insgesamt 28 Umlaufbahnen von Sternen, deren Positionen in der nahen Umgebung des galaktischen Zentrums regelmäßig bestimmt wurden. Die Bahn der Sterns S2 hat mit rund 15 Jahren die kürzeste Periode und ist mittlerweile einmal komplett vermessen worden. Quelle: MPE/SuW-Grafik

Das Bild zeigt acht der insgesamt 28 Umlaufbahnen von Sternen, deren Positionen in der nahen Umgebung des galaktischen Zentrums regelmäßig bestimmt wurden. Die Bahn der Sterns S2 hat mit rund 15 Jahren die kürzeste Periode und ist mittlerweile einmal komplett vermessen worden.
Quelle: MPE/SuW-Grafik


Auch hier führt die Kombination von Astrometrie und Spektroskopie dazu, dass man eine geometrische Distanz angeben kann - die sich in diesem Fall sogar ohne irgendwelche weiteren Annahmen ergibt. Der Wert beträgt 27 200 ± 1100 Lichtjahre.

Diese Zahl stimmt im Rahmen der Fehler perfekt mit dem Wert überein, der aus dem Sternhaufen bestimmt wurde. Wohlgemerkt - die beiden Bestimmungen sind gänzlich voneinander unabhängig. Ebenso kann man die zentrale Masse zu 4,31 ± 0,36 Millionen Sonnenmassen errechnen. Der exakte Wert hängt vor allem von der Entfernung ab, die ja nur auf ± 1100 Lichtjahre genau bekannt ist. Wenn man aber die Distanz ganz genau wüsste, dann verbliebe für den Massenwert nur noch eine Unsicherheit von ± 1,5 Prozent oder 60 000 Sonnenmassen - für astronomische Verhältnisse eine extrem genaue Messung. Dies liegt vor allem daran, dass für einen der 28 Sterne inzwischen ein kompletter Umlauf beobachtet wurde: Der Stern S2 hat eine Periode von etwas mehr als 15 Jahren, und seine Bahn wird seit 1992 verfolgt.


Signale vom Ereignishorizont

Etwa alle 30 Sekunden erzeugt NACO ein neues Bild. Längere Belichtungszeiten sind nicht möglich, sonst wären die Bilder der hellsten Sterne im Gesichtsfeld gesättigt. Darum wird die für die lichtschwächeren Objekte erforderliche lange Belichtungszeit durch die Addition vieler kurzer Belichtungen ersetzt. Aber die Beobachter haben nicht nur Interesse an dem kombinierten Bild. Gespannt blicken sie auf den Kontrollschirm und sehen sich jedes einzelne Bild an. Die Mühe wird belohnt: Auf einmal scheint ein neuer Stern aufzuleuchten. Die beiden Forscher wissen sofort: Das ist kein Stern. Es ist ein Strahlungsausbruch des Schwarzen Lochs, ein »Flare«. Seit ihrer Entdeckung im Jahre 2003 sind diese Ausbrüche immer wieder gesehen worden, meistens tritt etwa ein helleres Flare pro Nacht auf.

Jetzt heißt es, möglichst viele Aufnahmen ohne Unterbrechung aufzuzeichnen. Die immer wieder notwendige Bestimmung des Himmelshintergrunds wird nur noch so selten wie möglich ausgeführt. Die Forscher führen sofort eine grobe Auswertung der Daten durch, alle 30 Sekunden ermitteln sie einen neuen Helligkeitswert. Hintereinander gesetzt, ergibt sich so Stück für Stück die Lichtkurve des Flares (Bild unten). Innerhalb von nur 15 Minuten hat die engste Umgebung des Schwarzen Lochs ihre Helligkeit von schwächer als 18 mag auf knapp 14 mag, also mindestens um einen Faktor 40, gesteigert. Sie leuchtet nun fast so hell wie der 0,2 Bogensekunden entfernt stehende Stern S2.

Quelle: MPE/Nature/R. Gänzel/SuW-Grafik

Die Lichtkurve von Sgr A* im H-Band (Wellenlänge 1,6 Mikrometer) vom 16. Juni 2003, aufgenommen mit NAC O am VLT . Die Helligkeit des Vergleichssterns S1 ist im Rahmen der Messfehler konstant.
Quelle: MPE/Nature/R. Gänzel/SuW-Grafik

Die Lichtkurven sind besonders interessant, weil sich in vielen Fällen neben dem Heller- und Dunklerwerden innerhalb von etwa zwei Stunden eine quasiperiodische Modulation mit einer Periode von etwa 20 Minuten zeigt. Periodizitäten sind deshalb interessant, weil sie auf eine mögliche Rotationsbewegung hindeuten. Eine Umdrehung in nur 20 Minuten ist eine sehr schnelle Bewegung, wenn man bedenkt, dass die Sonne für eine Umdrehung um die eigene Achse etwa einen Monat benötigt. In der Nähe des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs allerdings erfolgt die Umlaufbewegung mit einem merklichen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit. Daraus ergibt sich die Vermutung, dass die periodischen Helligkeitsschwankungen bei Sgr A*, wie das Schwarze Loch von den Astronomen genannt wird, durch die Umlaufbewegung eines leuchtenden Flecks um das Schwarze Loch im galaktischen Zentrum entstehen.

Was ist die kürzest mögliche Umlaufzeit um ein ruhendes Schwarzes Loch mit vier Millionen Sonnenmassen? Es sind 27 Minuten - etwas länger als die beobachteten 20 Minuten. Darum kann man aus den Daten ableiten, dass das Schwarze Loch nicht ruhen kann. Es muss vielmehr rotieren, mit mindestens 50 Prozent der maximal möglichen Winkelgeschwindigkeit. Durch diese Rotationsbewegung wird die Raumzeit um das Schwarze Loch mitgerissen, so dass sich gewissermaßen die Geschwindigkeit der Raumzeit und die eigentliche Umlaufbewegung der Materie addieren - dadurch sind kürzere Umlaufzeiten möglich. Für die Forscher ist klar: Das Milchstraßenzentrum bietet die einzigartige Chance, die von der Relativitätstheorie beschriebenen Effekte im Detail zu testen. Die Flares sind besonders interessant, denn ihr Licht kommt aus einer Region nur knapp außerhalb des Ereignishorizonts, wo die Welt hochrelativistisch ist (das heißt: wo die Gravitationskräfte so stark sind, dass die Geschwindigkeiten der Lichtgeschwindigkeit nahe kommen).


Den Flares auf der Spur

Nach etwa einer Stunde ist das Flare heute Nacht bereits wieder abgeklungen: eine gute Gelegenheit, NACO neu zu konfigurieren. Es soll weiter nach Flare-Emission gesucht werden, dieses Mal jedoch im polarisierten Licht. Dazu wird ein doppelbrechender Kristall in den Strahlengang gebracht. Flares haben nicht nur stark veränderliche Helligkeit, auch die Polarisation ihres Lichts ändert sich schnell. Das ist ein klarer Hinweis auf den Ursprung der Strahlung. Temperaturstrahlung, also Licht, wie es Sterne oder brennende Kerzen erzeugen, wäre unpolarisiert. Das Leuchten der Flares entsteht dagegen durch den Synchrotroneffekt: Schnelle Elektronen bewegen sich spiralförmig um die Feldlinien eines Magnetfelds. Diese Spiralbewegung um die Magnetfeldlinien herum ist eine beschleunigte Bewegung, und da die Elektronen geladen sind, geben sie dabei elektromagnetische Strahlung ab.

Es wurden erst sehr wenige Flares im polarisierten Licht beobachtet, und in keinem Fall wurde der Beginn eines Flares mit dieser Instrumentenkonfiguration erwischt. Auch heute Nacht hat das Team auf dem Paranal kein Glück - in der verbleibenden Stunde mit NACO ereignet sich im galaktischen Zentrum kein Flare mehr.

Flares kennt man nicht nur im Infraroten. Auch im Röntgenlicht leuchtet Sgr A* unregelmäßig auf. (Sgr ist die Abkürzung von Sagittarius, dem Schützen - in diesem Sternbild befindet sich das galaktische Zentrum). Auch im Submillimeterbereich, also bei den kürzesten Radiowellenlängen, ist der Strahlungsfluss veränderlich. Im Jahre 2004 ist es zum ersten Mal gelungen, während einer zeitgleichen Beobachtung mit dem VLT und dem Röntgensatelliten Chandra, Flares in beiden Wellenlängenbereichen zu beobachten. Dies sind besonders schwierig zu koordinierende Beobachtungen, schließlich müssen verschiedene Observatorien Beobachtungszeit zur Verfügung stellen, die Zeitpläne müssen aufeinander abgestimmt werden, und während der zeitgleichen Messungen muss sich auch tatsächlich ein Flare ereignen. Die Ergebnisse sind aber extrem interessant: Es scheint so, als sei jedes Röntgenflare auch von einem Infrarotflare begleitet; umgekehrt gilt das hingegen nicht.

Wenn in beiden Wellenlängenbereichen Flares zu sehen sind, dann sind sie wirklich zeitgleich, der Zeitunterschied beträgt weniger als fünf Minuten. Deswegen ist es klar, dass die Infrarot- und die Röntgenstrahlung beide während desselben Ereignisses emittiert werden. Weniger klar ist der Zusammenhang mit der Variabilität im Submillimeterbereich. Die Schwankungen dort sind nicht direkt mit denen im Infraroten korreliert, aber möglicherweise folgt die Submillimeter-Lichtkurve der Infrarotkurve mit einer Verzögerung von rund zwei Stunden.

Das Seeing ist weiterhin gut, und nun, nach rund fünf Stunden, ist es Zeit, zu SINFONI zu wechseln. SINFONI (siehe Bild links unten) ist ein moderner Infrarot-Spektrograf, der am gleichen Teleskop wie NACO montiert ist. Um den Fokus umzuschalten, schwenkt der Teleskop-Operator den Fangspiegel zur Seite, so dass das Licht vom Sekundärspiegel durch die zentrale Öffnung im Primärspiegel zum Cassegrain-Fokus gelangen kann. Natürlich muss dazu niemand zum Teleskop laufen: ein paar Klicks am Computer, und die Forscher können SINFONI einsetzen.


Dreidimensionale Daten

Während bei klassischen Spektrografen das Licht untersucht wird, das auf einen langen Eingangsspalt des Instruments fällt, kann SINFONI ein komplettes Bildfeld spektroskopieren. Mit einem Langspalt erhält man eine räumliche Dimension sowie die spektrale Richtung (die Wellenlänge) - damit sind die zwei Dimensionen, die ein Chip bietet, aufgebraucht. Mit SINFONI erhält man dagegen zwei räumliche und eine spektrale Dimension. Die Daten sind also keine Bilder, sondern eher Kuben (siehe Bildunterschrift 7). Für jedes Pixel hat man ein volles Spektrum zur Verfügung. Wie erreicht man das?

Der Trick besteht in einer cleveren Optik (Bild unten). Das Feld, das man spektroskopisch untersuchen möchte, wird von einem Strahlteiler zunächst in lauter einzelne Streifen zerlegt. Jeder Streifen wird dann einzeln optisch abgebildet, und zwar so, dass alle Streifen hintereinander zu liegen kommen. Es wird also künstlich ein Langspalt erzeugt, an dem dann ganz klassisch ein Spektrum entsteht. Die Zahl der Pixel auf dem Detektor lässt sich so natürlich nicht erhöhen. Während ein Langspalt entlang einer Zeile zum Beispiel 2048 Pixel abbildet, sind es bei den mit SINFONI erzeugten Bildern 32 x 64 Pixel. Die Bilder sind also relativ klein, eher wie Vorschaubilder auf dem Computer. Das Detektorbild bei SINFONI ist ziemlich komplex. Erst nachdem ein Rechner die einzelnen Spalte rückwärts wieder zusammengesetzt hat, kann man das ursprüngliche Bild erkennen.

So funktioniert ein Bildfeldspektrograf - Quelle: ESO/SuW-Grafik

So funktioniert ein Bildfeldspektrograf: Das zu beobachtende Feld wird in einzelne Streifen zerlegt, die dann optisch hintereinander gesetzt und mit einem Langspaltspektrografen analysiert werden.
Quelle: ESO/SuW-Grafik

Das kleinste Gesichtsfeld, das SINFONI bietet, hat einen Durchmesser von nur 0,8 Bogensekunden. Die einzelnen Pixel sind dann 25 x 12,5 Millibogensekunden groß, die optimale Größe für die Auflösung des VLT im nahen Infrarot. Dies ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn man auch eine adaptive Optik zur Verfügung hat. Sonst wären die Bilder einzelner Sterne ja etwa so groß wie das gesamte Gesichtsfeld. Darum ist SINFONI mit einer adaptiven Optik ausgestattet. Diese adaptive Optik kann im Gegensatz zu NACO jedoch die Wellenfronten nicht im Infraroten messen. Das macht ihren Einsatz im galaktischen Zentrum schwierig: Der nächste verwendbare Leitstern steht in 22 Bogensekunden Entfernung und ist gerade mal 14,5 mag hell - deutlich schwächer als Pluto.


Ein Leitstern - selbst gemacht

Unsere beiden Astronomen haben jedoch noch einen Joker in der Hand. Sie müssen nicht den lichtschwachen optischen Leitstern verwenden. Stattdessen können sie den Laser-Leitstern einsetzen. Dieses neue Gerät verbessert die Einsatzmöglichkeiten von SINFONI erheblich. Da das Gerät noch neu ist, müssen sich sowohl der Teleskop-Ingenieur als auch der Nachtassistent konzentrieren.

Es herrscht gespannte Ruhe, und auch die Beobachter von den anderen Teleskopen schauen für einen Moment interessiert zu. Eine Glasfaser leitet das Laserlicht in ein kleines Teleskop, das auf der Rückseite des Sekundärspiegels sitzt und den Strahl zum Himmel projiziert. Zunächst muss der Laserstrahl auf eine Höhe von rund 80 Kilometern fokussiert werden (siehe Bildunterschrift 1).

Dort befindet sich eine mit Natriumatomen angereicherte Schicht (die Natriumatome werden beim Verglühen von Meteoriten aus dem Weltraum freigesetzt). Die Wellenlänge des Laserlichts ist so gewählt, dass sie genau der Natrium-D-Linie entspricht. Die durch diesen Laserstrahl angeregten Natriumatome in der Natriumschicht fangen an, stark in der gleichen Farbe wie der Laser zu leuchten. Dieses Gelb sieht man sonst vor allem als Straßenbeleuchtung. Sobald der künstliche Stern aufleuchtet, wird die adaptive Optik auf ihn ausgerichtet. Das ist nicht so leicht wie mit einem echten Stern, denn der Laserleitstern ist nicht ganz punktförmig. Außerdem kann man ihn nicht zur Messung der Verkippung der Wellenfront verwenden, sondern nur ihrer Verformung - das heißt: Das Tanzen der Sterne um ihre mittlere Position kann man mit einem Laser nicht korrigieren, nur die Verformungen des Abbilds des Sterns. Darum muss man zusätzlich noch einen natürlichen Leitstern hinzunehmen, der aber viel lichtschwächer sein kann als ohne Laserleitstern.

Nach rund 20 Minuten ist es geschafft. Alle Kontrollschleifen stehen auf Grün, jetzt kann die eigentliche Beobachtung mit SINFONI losgehen. Bei den guten Bedingungen, die im Moment herrschen, knöpfen sich die beiden Wissenschaftler wieder die Sterne innerhalb der zentralen Bogensekunde vor. Aus dem aufgenommenen Spektrum können sie deren Spektraltyp und deren Radialgeschwindigkeit bestimmen. Speziell auf zwei Sterne haben sie es heute abgesehen. Für diese beiden Sterne sind bereits astrometrisch Beschleunigungen gemessen worden, aber noch keine Radialgeschwindigkeiten. Wenn man diese noch zusätzlich weiß, kennt man sechs dynamische Größen des Sterns: Seine Position in Rektaszension und Deklination, seine Eigenbewegung in beiden Richtungen, die Beschleunigung auf Sgr A * zu und die Radialgeschwindigkeit. Und man benötigt genau sechs Größen, um die Umlaufbahn komplett bestimmen zu können.


Das Rätsel um die jungen Sterne

Die Linie, welche die beiden Astronomen im Spektrum suchen, liegt bei 2,166 Mikrometern. Es ist eine Linie des Wasserstoffs. Dass sie diese Linie überhaupt verwenden können, ist eines der größten Rätsel, auf das die Forscher im Lauf der letzten Jahre gestoßen sind. Die Linie tritt lediglich bei Hauptreihensternen des Typs A, B und O auf - also bei heißen, massereichen Sternen. Da massereiche Sterne nur kurz leben, müssen die Sterne in der Umgebung des galaktischen Zentrums, die fast alle vom Spektraltyp B sind, relativ jung sein: um die 50 Millionen Jahre oder jünger. Das ist astronomisch gesehen eine kurze Zeitspanne, wenn man bedenkt, dass auf der Erde vor rund 65 Millionen Jahren noch die Dinosaurier lebten.

Wie können in der nächsten Umbegung des massenreichen Schwarzen Lochs ständig neue Sterne entstehen?

Das Rätsel besteht darin, dass die Sterne eigentlich viel zu jung sind, um von weither gekommen zu sein. Aber noch unwahrscheinlicher erscheint es, dass sie auf ihren jetzigen Bahnen entstanden sind, wo die enormen Gezeitenkräfte des Schwarzen Lochs wirken. Dieses Rätsel werden die beiden Sternforscher heute Nacht nicht lösen können, aber sie werden einen weiteren Puzzlestein sammeln, bis sich irgendwann das Gesamtbild ergibt.

Nach zwei Stunden verschlechtert sich das Seeing (die Luftunruhe) zusehends. Langsam wird die Korrektur der adaptiven Optik zu schlecht für das kleine Gesichtsfeld, Gesichtsfeld, und die beiden Gäste am VLT beschließen, die verbleibende Beobachtungszeit einer anderen Population von jungen Sternen zu widmen. Etwas weiter draußen, in einem Abstandsbereich zwischen einer und zehn Bogensekunden, gibt es zahlreiche helle, junge Sterne. Es sind O-Sterne oder Wolf-Rayet-Sterne, die auf jeden Fall nur wenige Millionen Jahre alt sind. Ihr Abstand zum Schwarzen Loch ist so groß, dass zurzeit noch keine Beschleunigungen messbar sind. Das bedeutet: Wenn man die Positionen am Himmel und die Radialgeschwindigkeit kennt, hat man erst fünf dynamische Größen gemessen. Einzelne Bahnen erhält man so also nicht.

Für keinen der Sterne kennt man die sechste fehlende Größe. Da es viele von diesen Sternen gibt, kann man allerdings mit Hilfe eines statistischen Tricks weiterkommen: Wenn man über die Verteilung dieser Größe eine sinnvolle Annahme macht, kann man für jeden Stern mögliche Bahnen würfeln. Man nimmt also alle möglichen Werte an, und rechnet damit jeweils die Bahn aus. Wenn man das für jeden Stern viele tausend Mal macht, erhält man einen Überblick darüber, wie die Bahn wahrscheinlich aussieht. Für die O-Sterne zwischen einer und drei Bogensekunden Abstand vom galaktischen Zentrum folgt daraus, dass es eine Ebene gibt, in der mit hoher Wahrscheinlichkeit etwa die Hälfte der Sternbahnen liegen. Da dieses Ergebnis statistisch signifikant ist, nimmt man an, dass die Sterne das Schwarze Loch tatsächlich in einer Scheibe in gebührendem Abstand umkreisen (siehe Bildunterschrift 8).

Das geschätzte Alter von etwa sechs Millionen Jahren ist so gering, dass die Sterne dort entstanden sein müssen, wo wir sie heute sehen. Man kann also annehmen, dass zu jener Zeit eine Gaswolke von rund 10 000 Sonnenmassen in Richtung zum galaktischen Zentrum stürzte und dort eine riesige Gasscheibe bildete, in der dann die Sterne entstanden sind. Dadurch, dass die Gaswolke zu der Zeit, als die Sterne entstanden, in einer Richtung (nämlich senkrecht zur Scheibe) bereits kollabiert war, wurde der Prozess der Sternentstehung viel effizienter. So konnten die Gezeitenkräfte des Vier-Millionen-Sonnenmassen-Monsters im Zentrum den entstehenden Sternen nichts anhaben.

Die Entstehung der O-Sterne konnte also entschlüsselt werden. SINFONI hat ganz entscheidend dazu beigetragen. Nun möchten die Forscher die gleiche Technik auf leuchtschwächere Sterne anwenden sowie auf Sterne, die von Sgr A* noch weiter entfernt sind.


Guten Morgen!

Nach zwei weiteren Stunden mit SINFONI wird es Zeit, an den nahenden Morgen zu denken. Es muss noch ein Kalibratorstern gefunden werden. Dessen Spektrum wird aufgenommen, obwohl es eigentlich schon gut bekannt ist. Aber man kann damit die von Nacht zu Nacht verschiedene Transparenz der Erdatmosphäre bestimmen. Damit lassen sich dann die eigentlich interessierenden Spektren von den zusätzlichen, durch die Moleküle der irdischen Lufthülle erzeugten Strukturen befreien.

Die beiden Beobachter sind hoch zufrieden. Das Wetter hat mitgespielt, die Technik hat keine Probleme bereitet, und es sind rund neun Stunden wertvoller Daten gewonnen worden. Die Arbeit am galaktischen Zentrum ist dankbar. Es ist ein einzigartiges Labor, in dem man die grundlegenden Gesetze der Schwerkraft, der Stellardynamik und der Sternbildung unter extremen Bedingungen und im Detail studieren kann. Damit lässt sich das Geschehen rund um das Zentrum unseres eigenen Milchstraßensystems, wie auch in den Kernen anderer Galaxien, besser verstehen. Massereiche Schwarze Löcher werden in praktisch jeder Galaxie vermutet, so dass die spannenden Prozesse im galaktischen Zentrum sehr häufig auch an anderen Stellen im Universum passieren sollten. Junge Sterne in der Nähe des zentralen Schwarzen Lochs wurden im Andromedanebel beispielsweise schon nachgewiesen.

Die Dämmerung hat bereits begonnen, doch das stört SINFONI und die beiden Astronomen nicht besonders. Selbst tagsüber ist der Himmel im Infraroten relativ dunkel. Das erste System, das mit dem herannahenden Tag Probleme bekommt, ist die aktive Optik, die es knapp eine Stunde vor Sonnenaufgang nicht mehr schafft, den Primärspiegel in Form zu halten. Doch bevor es so weit kommt, ist auch der Kalibratorstern aufgenommen, und der Operator kann das Teleskop für den kommenden Tag in Ruhestellung bringen. Die restlichen Kalibrationsdaten, wie etwa die Dunkelstrommessung oder das Flatfield, werden tagsüber von anderen Mitarbeitern der ESO aufgezeichnet. Etwa eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang fahren die Astronomen wieder in ihr Domizil. Bevor sie ins Bett gehen, gibt es noch ein Frühstück mit Blick auf die in zartes Morgenlicht getauchte Atacama-Wüste.


Stefan Gillessen forscht als Mitglied der Infrarot/ Submillimeter-Gruppe am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching. Das galaktische Zentrum ist ein bedeutender Schwerpunkt der Arbeit dieser Gruppe.


WIS - Wissenschaft in die Schulen

Zu diesem Beitrag stehen jedem Interessierten auf unserer Internetseite www. wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien Verfügung. Darin wird gezeigt, wie einige der hier angesprochenen Themen im Rahmen des Physikunterrichts in der gymnasialen Oberstufe behandelt werden können. Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!« führen wir in Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad Wildbad durch. Es wird von der Klaus Tschira Stiftung gGmbH großzügig gefördert.


Literaturhinweise

Davies, R., Hippler, S., Ragazzoni, R.: Künstliche Sterne und große Gesichtsfelder - Adaptive Optik, Teil 2. In: Sterne und Weltraum 4/2005, S. 34 - 45.

Falcke, H., Menten, K. M.: Ein Schwarzes Loch und seine Umgebung im Radiobereich. In: Sterne und Weltraum 8/2003, S. 28 - 35.

Gillessen, S., Genzel, R.: Jagd auf das Schwarze Loch im galaktischen Zentrum. In: Sterne und Weltraum 12/2006, S. 36 - 44.

Hippler, S., Kasper, M.: Dem Seeing ein Schnippchen schlagen - Adaptive Optik, Teil 1. In: Sterne und Weltraum 10/2004, S. 32 - 42.

Hoeppe, G.: Wie Astronomen das galaktische Zentrum gefunden haben. In: Sterne und Weltraum 8/2003, S. 22 - 27.

Schödel. R., Genzel, R., Ott, Th.: Das dunkle Herz unserer Milchstraße. In: Sterne und Weltraum 8/2003, S. 36 - 42.

Wilson, R.: Aktive Optik und das New Technology Telescope. In: Sterne und Weltraum 8-9/1992, S. 525 - 532. Weblinks zu diesem Artikel: www. astronomie-heute.de/artikel/976931


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Original-Publikation:

Bildunterschrift 1:
Aus dem Schutzgebäude von UT4, dem vierten Großteleskop des VLT, zeigt der Laserstrahl auf das galaktische Zentrum und erzeugt an der gewünschten Position in der Hochatmosphäre einen künstlichen Stern.

Bildunterschrift 2:
Die Teleskope des VLT auf dem Cerro Paranal bei Sonnenuntergang. Der kalte Pazifik ist unter einer mächtigen Wolkendecke verborgen.

Bildunterschrift 3:
Die Infrarotkamera NACO ist im roten Behälter am ortsfesten Nasmyth-Fokus von UT4 installiert. In Verbindung mit einer adaptiven Optik erreicht sie das theoretisch mögliche Auflösungsvermögen des Großteleskops.

Bildunterschrift 4:
Dieses Infrarotbild des galaktischen Zentrums ist eine Überlagerung von Aufnahmen mit NACO in den Bändern J, H und K. Sgr A* kennzeichnet die Radioquelle am Ort des galaktischen Zentrums, IRS 7 ist ein roter Überriese, der NACO als Leitstern dient.

Bildunterschrift 5:
Die Primärspiegelhalterung für die Hauptspiegel der Acht-Meter-Teleskope auf dem Cerro Paranal. Der »weiche« (dünne) Acht-Meter-Spiegel ist auf 150 Aktuatoren gelagert, die ihn mit ständig angepasstem Druck unterstützen und damit in der gewünschten Form halten.

Bildunterschrift 6:
Der Bildfeldspektrograf SINFONI am Cassegrain-Fokus von UT4, dem vierten Acht-Meter-Teleskop des VLT .

Bildunterschrift 7:
Ein vom Bildfeldspektrografen SINFONI erzeugter Datenkubus: Von jedem Bildelement entsteht ein Spektrum.

Bildunterschrift 8:
Nach Einfall einer Gaswolke bildet sich um das zentrale Schwarze Loch eine riesige Akkretionsscheibe, in der sich trotz widriger Umstände viele massereiche Sterne bilden.


© 2009 Stefan Gillesen, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


*


Quelle:
Sterne und Weltraum 2/09 - Februar 2009, Seite 52 - 61
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528-0, Fax: 06221/528-246
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69126 Heidelberg
Tel.: 06221/912 66 00, Fax: 06221/912 67 51
Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2009