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BERICHT/042: Interview mit Jochen Greiner über die Beobachtung des fernsten Gammablitzes (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 30. April 2009

"Die Kosmologie steht an einem Scheideweg"

Jochen Greiner vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik über die Beobachtung des fernsten Gammablitzes


Vor kurzem beobachteten die Astronomen im Sternbild Löwe das bisher am weitesten entfernte astronomische Objekt: einen Gammablitz, der vor mehr als 13 Milliarden Jahren aufleuchtete und dessen Strahlung jetzt die irdischen Teleskope erreicht hat. Die gewaltige Explosion wurde zunächst von dem Satelliten Swift entdeckt und wenige Minuten bis Stunden später mit erdgebundenen Fernrohren untersucht - so auch mit dem Instrument GROND am 2,2-Meter-Teleskop der Max-Planck-Gesellschaft auf La Silla (ESO) in den chilenischen Anden. Jochen Greiner vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik ist der Erfinder und Bauherr von GROND. Im Interview erklärt er die Besonderheiten des jüngst beobachteten Gammablitzes und seines Instruments.


FRAGE: Herr Greiner, welches Phänomen verbirgt sich hinter einem Gammablitz?

GREINER: Wir unterscheiden zwei Untergruppen von Gammablitzen: solche mit kurzer Dauer von weniger als ein bis zwei Sekunden, und lang andauernde Blitze mit typisch zehn bis zwanzig Sekunden. Die langen Blitze bilden die deutlich größere Gruppe, und in dem allgemein anerkannten Szenario entstehen diese Blitze bei dem Kollaps eines sehr massereichen Sterns am Ende seiner Entwicklung. Dabei wird ein zweiseitiger Jet, vermutlich entlang der Rotationsachse des Sterns, ausgestoßen, der auf fast Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird, sobald er die äußeren Schichten der Sternhülle durchstoßen hat. Die Gammastrahlung entsteht vermutlich durch interne Zusammenstöße von schnelleren mit langsameren Schockwellen innerhalb dieses Jets. Die Reste des kollabierenden Sterns stürzen dann zu einem Schwarzen Loch zusammen. Aber nicht jeder sterbende Stern erzeugt einen Gammablitz, sondern nur einer aus etwa einer Million - deshalb dürften jene Sterne, die solche Blitze erzeugen, in einer ihrer Eigenschaften etwas Besonderes darstellen.

FRAGE: Was macht gerade diesen Gammablitz mit der Bezeichnung GRB 090423 so einzigartig?

GREINER: Die Explosion eines massereichen Sterns vor etwa 13 Milliarden Jahren markiert das am weitesten entfernte Objekt, das bislang je von Astronomen beobachtet wurde. Da wir wegen der endlichen Lichtgeschwindigkeit mit zunehmender Entfernung auch in immer frühere Stadien unseres Universums vordringen, markiert es auch die früheste Existenz eines kosmischen Gebildes überhaupt. Der Blick in immer frühere Epochen ist eines der großen Hauptziele der beobachtenden Kosmologie des vergangenen Jahrzehnts. Umfangreiche Langzeitbeobachtungen, etwa mit dem Weltraumteleskop Hubble, sowie Hunderte von Beobachtungsnächten mit den Teleskopen der Acht- bis Zehn-Meter-Klasse wurden in den letzten Jahren auf Galaxien oder Kerne aktiver Galaxien verwendet, um die magische Grenze von Rotverschiebung 7 - entsprechend einem Alter des Universums von 780 Millionen Jahren - zu überwinden. Vergeblich! Jetzt hat ein 2,2-Meter-Teleskop ausgereicht, um den Sprung zu schaffen, und das ausgerechnet bei einer Objektklasse, die wir schon seit geraumer Zeit die für diesen Zweck vielversprechendste halten: die Quellen der Gammablitze. Damit steht die beobachtende Kosmologie an einem Scheideweg.

FRAGE: Bringt die Beobachtung von GRB 090423 noch einen weiteren Nutzen?

GREINER: Der Stern, dessen Explosion wir jetzt durch den Gammablitz gesehen haben, gehört vermutlich zu der ersten Generation von Sternen, die sich in unserem Universum gebildet haben. Es waren diese ersten Sterne, welche die allerersten schwereren Elemente wie Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff produziert haben. Die Explosionen haben diese Elemente wieder in die Weiten des Alls verstreut - und daraus hat sich eine neue Generation von Sternen mit höherem Metallgehalt gebildet. Die Sonne, die Planeten und alles Material auf der Erde stammen wohl erst aus der dritten Generation dieses Materiekreislaufes. Das Studium der Metallhäufigkeiten in sehr frühen Stadien der Entwicklung des Universums erlaubt einmalige Rückschlüsse auf die Details der Sternentwicklung unter den damaligen, weitgehend unbekannten Bedingungen.

FRAGE: Die GRBs werden ja auch von erdgebundenen Teleskopen beobachtet. Aber doch nicht im Gammalicht, für das die Atmosphäre undurchlässig ist?

GREINER: Die Messung der Rotverschiebung der Gammablitzes markiert meiner Meinung nach auch einen Durchbruch im Methodischen: Endlich wird das Nachleuchten der Gammablitze systematisch auch im Infrarotbereich beobachtet. Obwohl wir schon seit etwa zehn Jahren mit ziemlicher Sicherheit wissen, dass unsere derzeitigen Detektoren zur Messung der Gammastrahlung empfindlich genug für Blitze aus Entfernungen bis Rotverschiebung 10 oder sogar 20 sind, wurde bis vor kurzem hauptsächlich im visuellen Spektralbereich beobachtet. Mit dem erfolgreichen Betrieb von GROND seit Mitte 2007 und der damit verbundenen systematischen Beobachtung sowohl im optischen als auch im infraroten Bereich - wir haben in diesen zwei Jahren mit GROND genau so viele Blitze bei Rotverschiebung größer als 4 entdeckt wie in den zehn Jahren zuvor - hat sich nun endlich diese neue Strategie durchgesetzt.

FRAGE: Der erste Gammablitz wurde bereits Ende der 1960er-Jahre zufällig aufgespürt. Aber erst seit einigen Jahren werden diese Objekte mit allen möglichen Instrumenten systematisch beobachtet. Was ist das Besondere an GROND?

GREINER: Zunächst wurde erst 1997, also 30 Jahre nach der ersten Publikation der Entdeckung dieser Ereignisse, das sogenannte Nachleuchten entdeckt - quasi die Wechselwirkung der mächtigen Explosion mit der den Vorgängerstern umgebenden Materie. Dieses Nachleuchten ist über einige Stunden bis Tage in praktisch allen Wellenlängen vom Röntgen- über den ultravioletten, optischen und infraroten bis zum Radiobereich messbar. Und erst durch den Einsatz von Beobachtungsmethoden der optischen Astronomie ist es gelungen, die Entfernungen zu den Gammablitzen zu bestimmen. Dazu wurden bislang zunächst Bilder von der entsprechenden Himmelsregion gemacht, um die genaue Position des Nachleuchtens aufzuspüren. Danach, und dies war bis vor kurzem erst in der darauf folgenden Nacht, wurde dann mittels eines Spektrographen die Rotverschiebung gemessen. Mit GROND haben wir ein Instrument gebaut, welches das Aufspüren des Nachleuchtens mit einer groben Entfernungsbestimmung kombiniert. Nun können wir innerhalb von Minuten bis maximal ein bis zwei Stunden die Entfernung auf etwa fünf Prozent genau bestimmen.

FRAGE: Wie funktioniert GROND?

GREINER: Bei GROND wird mit sechs Strahlteilern das sichtbare sowie nahe infrarote Licht in sieben Farbkanäle aufgespalten. Jeder Kanal hat seinen eigenen Detektor, das heißt, die sieben Kanäle werden gleichzeitig belichtet. Aus der relativen Helligkeit eines Objekts in diesen Kanälen lässt sich dann die Entfernung bestimmen. Was so einfach klingt, hat seine technologischen Tücken - und deshalb gibt es auch bislang weltweit kein weiteres derartiges Gerät, das gleichzeitig im Optischen und im Nahinfraroten arbeitet. Zum Beispiel müssen die Infrarotdetektoren auf minus 193 Grad Celsius gekühlt werden. Dagegen dürfen die optischen Detektoren nicht kälter als minus 108 Grad Celsius sein, obwohl sie keine zehn Zentimeter entfernt stehen. Auch das vor den Infrarotdetektoren platzierte Linsensystem muss auf minus 193 Grad gekühlt sein, um keine zusätzliche Hintergrundstrahlung zu erzeugen. Und schließlich dürfen Belichtungen im Nahinfrarot typischerweise nur etwa zehn Sekunden dauern, ansonsten ist der Detektor durch den hellen Hintergrund gesättigt. Um trotzdem Quellen, die schwächer als die Himmelshelligkeit sind, im Nahinfrarot zu detektieren, wird gewöhnlich das Teleskop nach jeder der Zehn-Sekunden-Belichtungen ein Stück am Himmel verrückt. Im Falle von GROND geht das nicht, weil die Auslesezeit der optischen Detektoren mit 45 Sekunden viel länger ist - man müsste also alle zehn Sekunden eine 45 Sekunden lange Pause einlegen: eine furchtbar ineffiziente Beobachtungsmethode. Das haben wir mit einem kleinen Trick umgangen: ohne das Teleskop zu bewegen, verrücken wir das Bild intern mit einem Taumelspiegel, das heißt, wir schielen im Kreise wie beim Augen rollen. GROND mit seinem Steuerrechner ist direkt mit der Bodenstation des Satelliten Swift verbunden, das heißt, wenn Swift während chilenischer Nachtzeit einen neuen Gammablitz aufspürt, wird ohne menschliches Zutun GROND aktiviert, die laufende Beobachtung unterbrochen und das Teleskop auf die von Swift gesendete Position geschwenkt. Etwa zwei bis fünf Minuten nach der Alarmierung beginnt GROND mit der ersten Aufnahme. Im Fall von GRB 090423 mussten wir allerdings lange 15 Stunden warten, weil das Objekt am Himmel schon untergegangen war.

FRAGE: Wie sieht die Zukunft der Gammablitz-Beobachtung aus?

GREINER: Der bisherige Rekordhalter unter den Gammablitzen lag bei einer Rotverschiebung von 6,7. Der Blitz wurde im September 2008 auch von Swift lokalisiert und die Entfernung zuerst mit GROND auf fünf Prozent genau gemessen. Diese relativ kurze Zeit von einem Rekord zum nächsten stimmt uns optimistisch, dass weitere Entfernungsrekorde in naher Zukunft möglich sein sollten - zumindest erkennt nun jeder die enorme Bedeutung der Gammablitze für die beobachtende Kosmologie. Die allerersten Sterne könnten noch weitere 400 bis 500 Millionen Jahre früher entstanden sein, bei Rotverschiebungen von 25 bis 30! Allerdings setzt uns unsere warme Erdatmosphäre bei einer Rotverschiebung von ungefähr 13, entsprechend einem Alter des Alls von 330 Millionen Jahre - eine mit derzeitigen Teleskopen schwer überwindbare Grenze: Um darüber hinaus zu schauen, benötigt man entweder deutlich größere Teleskope oder eine neue Generation von Gammasatelliten, die die Rotverschiebung direkt mittels des Gammaspektrums bestimmen könnten. Eine solche Satellitenmission haben wir schon 2007 der Europäischen Raumfahrtagentur ESA sowie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt vorgeschlagen. Wir hoffen, dass der jetzige Sprung zu einem neuen Entfernungsrekord diesem Vorschlag noch mehr Überzeugungskraft verleiht. Bis dahin werden wir die Gamma-Emission dieser Blitze mit dem erst vor wenigen Monaten gestarteten Satelliten Fermi genauer studieren, dessen GRB Monitor an unserem Institut in enger Zusammenarbeit mit der Industrie und dem Marshal Space Flight Center der US-Raumfahrtbehörde NASA entwickelt wurde.

Das Interview führte Helmut Hornung.


Erklärungen:

1) GRB steht für den englischen Begriff Gamma-Ray Burst. Da mit derzeitiger Messtechnik nur etwa 100 Blitze pro Jahr registriert werden, erfolgt die Nomenklatur der Blitze durch Anhängen des Datums. In diesem Fall 2009, April 23 - 090423.

2) GROND ist eine aus Tolkiens "Herr der Ringe" entlehnte Abkürzung für Gamma-Ray burst Optical and Near-infrared Detector, also einer Kamera, die sowohl im Optischen als auch im Infrarotbereich messen kann. GROND wurde in Zusammenarbeit mit der Thüringer Landessternwarte Tautenburg entwickelt und gebaut.

3) Die Rotverschiebung ist ein Maß dafür, wie sehr das Licht durch die Expansion des Universums gedehnt wurde: Physikalisch ist es definiert als das Verhältnis von gemessener zur Labor-Wellenlänge. Eine Rotverschiebung von 2 bedeutet, dass etwa eine Sauerstofflinie von 500,7 Nanometer (Laborwellenlänge) bei 1001,4 Nanometer gemessen wird. Kosmologisch bedeutet Rotverschiebung von 2 erst ein Alter von 3,3 Milliarden Jahren; und bei einer Rotverschiebung von 0,8 schauen wir etwa zur Hälfte des derzeitigen Alters von 13,66 Milliarden Jahren zurück. Je größer die Rotverschiebung, desto weiter ist ein Objekt entfernt - und umso weiter schauen wir in die Vergangenheit zurück. Eine Rotverschiebung von 8 bedeutet eine Entfernung von 13 Milliarden Lichtjahren, entsprechend einem Alter des Universums zu dieser Zeit von gerade einmal 650 Millionen Jahren.


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Quelle:
MPG - Presseinformation SP / 2009 (78), 30. April 2009
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2009