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BERICHT/064: Symposium des Münchner Exzellenzclusters "Universe" (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 7/12 - Juli 2012
Zeitschrift für Astronomie

Teilchen, Symmetrien und der ganze Rest
Symposium des Münchner Exzellenzclusters »Universe«

Von Helmut Hetznecker



Wissenschaftler des Münchener Exzellenzclusters »Universe« trafen sich im Frühjahr 2012 vier Tage lang, um den neuesten Stand ihrer Forschung zu diskutieren.


Der Exzellenzcluster »Universe«, genauer »Origin and Structure of the Universe - The Cluster of Excellence for Fundamental Physics«, ist an der Technischen Universität München angesiedelt und verdankt seine Förderung der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder. Die beteiligten Wissenschaftler befassen sich mit Fragen nach der Entstehung des Universums, seines Aufbaus und der zugrunde liegenden Kräfte, sie wollen verstehen, warum es Galaxien, Sterne und Planeten gibt, wie sich die chemischen Elemente gebildet haben und wie die Zukunft des Universums aussehen mag (siehe SuW 3/2008, S. 36).

Die Forscher trafen sich Ende Februar 2012 vier Tage lang im Kloster Irsee, um über den Stand ihrer Forschung zu diskutieren. Dabei blieben die Mitglieder des Clusters nicht unter sich. Zusätzlich zu den Wissenschaftlern des Clusters luden die beiden Organisatoren von der TU München, Andreas Müller und Alexandra Wolfelsperger-Essig, international renommierte Forscher zur Runde, um die Tagung mit externen Perspektiven zu bereichern.

Das Kloster im bayerischen Irsee hat eine sehr wechselvolle Geschichte. Von 1186 bis 1802 war es mehr als sechs Jahrhundert lang Sitz von Benediktinermönchen, bevor es 1849 zur »Kreisirrenanstalt« des Bezirks Schwaben wurde. Und wer heute das ehemalige Klostergebäude betritt, wird sogleich unvermittelt mit der dunkelsten Phase seiner Geschichte konfrontiert: Tafeln vor dem Eingang und im Foyer erinnern an die zahlreichen Opfer des Nazi-Regimes, das hinter den Mauern der Anstalt sein menschenverachtendes Euthanasie-Programm in die Tat umsetzte. Seit 1974 dient das ehemalige Kloster nun als hochfrequentierte Tagungsstätte.

Elementhäufigkeiten
Die Beiträge des ersten Tages standen im Zeichen der Sterne und Galaxien. Den Auftakt bestritt der Astrophysiker Friedrich-Karl Thielemann von der Universität Basel mit einem Vortrag über die stellare Nukleosynthese als Schlüssel zum Verständnis der chemischen Entwicklung von Galaxien. Sein Fazit: Zwar lassen sich die Elementhäufigkeiten im Sonnensystem bis hin zum Eisen durchaus verstehen, wenn man die Explosionsenergien von Supernovae als bekannt voraussetzt. Jenseits des Eisens jedoch scheint die Situation komplizierter als bislang angenommen - hier hängt insbesondere die Rolle des wichtigen s-Prozesses von freien Parametern ab. Der s-Prozess beschreibt in der Nukleosynthese den Einfang von Neutronen bei niedrigen Temperaturen und Dichten. Er geschieht bei diesen Zuständen langsam - englisch: slow. Bei hohen Temperaturen und Dichten hingegen erfolgt der Einfang jedoch schnell - englisch: rapid.

Linda Tacconi vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) berichtete danach über den Stand der Forschung in der frühen Stern- und Galaxienentwicklung, während Joachim Trümper (ebenfalls MPE) über die Zustandsgleichung der extrem dichten Materie im Innern von Neutronensternen vortrug. Die Frage, wie die extrem massereichen Schwarzen Löcher in den Zentren elliptischer Galaxien entstehen, konnte auch Jerry Ostriker von der Princeton University nicht beantworten. Immerhin scheinen die Entstehung der massereichen Ellipsen und die parallele Entwicklung zwischen den Galaxien und den Schwarzen Löchern in ein konsistentes Bild zu passen (siehe SuW 4/2009, S. 30).

Wer einen wissenschaftlichen Vortrag mit einem Gruppenbild von sich und dem schwedischen Königspaar schmücken kann, hat das Publikum auf seiner Seite. Bruno Leibundgut von der europäischen Südsternwarte ESO gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, denen es beschieden war, immerhin als Teil einer Delegation einer Nobelpreisverleihung beizuwohnen. Seine Forschungsschwerpunkte Supernovae und Kosmologie brachten ihn bereits in den 1990er Jahren mit dem späteren Nobelpreisträger Adam Riess zusammen. Das sind genau jene Disziplinen, denen im vergangenen Jahr der Physik-Nobelpreis beschieden war (siehe SuW 12/2011, S. 28). In seinem Review-Vortrag ließ Leibundgut durchblicken, dass die aktuelle Datenlage nach wie vor auf einen konstanten Beschleunigungsparameter hindeutet.

Kosmische Strahlung
Der Exzellenzcluster Universe umfasst nicht nur ein breites Spektrum aus der Astrophysik und Kosmologie, sondern widmet sich mit gleicher Intensität auch der Elementarteilchenphysik. Den thematischen Bogen zwischen den beiden Bereichen schlägt die Hochenergie-Astrophysik, insbesondere die kosmische Strahlung. Ihre extrem hohen Energien erklären sich wenigstens zum Teil durch Beschleunigungseffekte an den Stoßfronten von Supernovae (siehe SuW 6/2012, S. 26). Werner Hofmann vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg ging darauf in seinem grandiosen Überblicksvortrag ausführlich ein, während Robert Battiston von der Universität Perugia sein Augenmerk vor allem auf die instrumentelle Erforschung der kosmischen Strahlung richtete. Das Instrument AMS-02 (Alpha-Magnet-Spektrometer), seit März 2011 auf der ISS verankert, gilt aktuell als der große Hoffnungsträger der Hochenergie-Astrophysiker. Das Spektrometer soll nicht zuletzt dabei helfen, endlich das Geheimnis der Dunklen Materie zu lösen (siehe SuW 10/2012, S. 36).

Higgs-Teilchen - ja oder nein?
Der zweite Teil des viertägigen Symposiums galt denn ausschließlich der Teilchenphysik. Auch hier gab es eine ausgewogene Mischung aus Übersichtsbeiträgen und aktuellen Forschungsberichten. Besonders zwei Teilchen hatten es den Konferenzteilnehmern angetan: zum einen natürlich das Higgs-Boson, dessen Entdeckung am LHC zwar noch einer statistischen Untermauerung harrt, dessen Existenz bei den abendlichen Tischgesprächen unter den Physikern jedoch als ausgemachte Sache galt.

Rolf-Dieter Heuer, Generaldirektor des CERN, lieferte einen Überblick über die aktuelle Forschung im »Mekka der Teilchenphysik«. Über die Higgs-Entdeckung äußerte er sich als offizieller Vertreter des CERN diplomatisch vorsichtig: Zu bedenken sei, selbst wenn sich das Higgs-Teilchen doch noch als Phantom herausstellen sollte, sei dies eine bahnbrechende Entdeckung. Entsprechend offen betitelte der polnische Physiker Stefan Pokorski von der Universität Warschau seinen Vortrag: »With or Without a Higgs?« - seine lakonische Antwort darauf: »Probably with« - wahrscheinlich gibt es das Higgs, aber sehr wahrscheinlich entsprechen seine Eigenschaften nicht völlig jenen, die man im Rahmen des Standardmodells erwarten würde.

Zum anderen geisterte unablässig das Neutrino durch den Konferenzsaal, und zwar in beiden »Versionen«: in der althergebrachten, wie auch in der neuen, überlichtschnellen Variante. Den eingängigsten Kommentar zur aktuellen Diskussion über das schnelle Neutrino (»und wie es dazu kommen konnte«) lieferte CERN-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer. Dass ein fehlerhaft verwendetes Kabel zur physikalischen Ente des Jahres, vielleicht des Jahrzehnts geführt hat, sorgte bei den Teilnehmern für deutlich mehr Amüsement denn für Unverständnis (siehe SuW 6/2012, S. 24).

Viel Aufmerksamkeit erntet derzeit das Experiment »Double-Chooz«. Mit ihm sollen Neutrino-Oszillationen unter die Lupe genommen werden. Das ist der Effekt, nach dem sich die drei Neutrinosorten ineinander verwandeln. Wichtigstes vorläufiges Ergebnis des Experiments: Auch der dritte und letzte der Parameter, welche die Verwandlung der drei Neutrinofamilien ineinander beschreiben, ist größer als null! Damit erachten die Forscher als bestätigt, dass in der Tat sämtliche Übergänge unter den Neutrinofamilien möglich sind.

Zum Abschluss des gelungenen Workshops kam mit John Ellis vom CERN einer der Grandseigneurs der Teilchenphysik zu Wort. Sein Thema waren die bedeutenden Beiträge des CERN zum Verständnis des frühen Universums. Kaum ein Aspekt der ersten Momente des Universums wäre ohne die Forschung des CERN greifbar: die Natur des primordialen Plasmas und der Dunklen Materie sowie die Materie-Antimaterie-Asymmetrie, ohne die es im Universum keine Materie gäbe, denn Materie und Antimaterie hätten sich vollständig zerstrahlt.

In der modernen Physik geht nichts mehr ohne das europäische Kernforschungszentrum CERN. Das hatte auch die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher in den 1980er Jahren bereits erkannt. Bei einem Besuch am Beschleuniger ließ sie sich auf einen kurzen Disput mit Ellis ein: Thatcher: »Was tun Sie hier eigentlich?« - Ellis: »Ich überlege mir Sachen, welche die Experimentalphysiker dann hoffentlich widerlegen!« - »Wäre es nicht besser, sie würden sie bestätigen?« - »Nun, dann würden wir nichts Neues lernen!« Und dabei gibt es viel Neues zu lernen, wie es Rolf-Dieter Heuer ausdrückte: »Wir fangen gerade erst an, die restlichen 95 Prozent des Universums zu erforschen!«

Helmut Hetznecker ist promovierter Astronom und Autor mehrerer Bücher. Er arbeitet heute als Wissenschaftsjournalist vor allem im TV-Bereich.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Im Kloster Irsee trafen sich die Wissenschaftler des Exzellenzclusters »Universe«.

© 2012 Helmut Hetznecker, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 7/12 - Juli 2012, Seite 28 - 29
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
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Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2012