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BERICHT/065: Quo vadis, Planetarium? (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 8/12 - August 2012
Zeitschrift für Astronomie

Astronomie und Praxis: Planetarien
Quo vadis, Planetarium?

Von Hans-Ulrich Keller



Die gewaltigen Fortschritte auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung und der digitalen Projektionstechnik bieten großartige Chancen für die Entwicklung der Planetarien. Sie bergen aber auch erhebliche Risiken. Wie sieht die Zukunft der Sternentheater aus? Schafft sich das Planetarium gar selbst ab?


Die Idee, eine Einrichtung ins Leben zu rufen, in der man Menschen den Sternenhimmel und seine Bewegungen unabhängig von Tagesstunde und Wetter demonstrieren kann, geht auf den berühmten Heidelberger Astronomen Max Wolf (1863-1932) zurück. Er trug seinen Wunsch Oskar von Miller vor, dem Gründer des Deutschen Museums in München. Von Miller beauftragte die Zeiss-Werke in Jena mit der Realisierung dieses Projekts. Nach anfänglichem Zögern legte Walther Bauersfeld im Jahr 1919 die ausgearbeiteten Pläne für ein Projektionsplanetarium vor. Am 21. Oktober 1923 wurde das erste Planetarium im Deutschen Museum feierlich in Betrieb genommen. Bald trat diese Art der Himmelsvorführung ihren Siegeszug um die Welt an (siehe SuW 1/1974, S. 16). Der Direktor der Kopenhagener Sternwarte, Elis Strömgren, nannte in einer Rede als Vorsitzender der Astronomischen Gesellschaft das Projektionsplanetarium »Das Wunder von Jena«. Heute locken weltweit rund 1000 solcher Einrichtungen Menschen an, die einen Blick in die Tiefen der Sternenwelt werfen möchten. Knapp zwei Millionen Besucher erleben jährlich in den deutschsprachigen Einrichtungen die Faszination einer klaren Sternennacht.

Planetarien sind das Medium schlechthin, wenn es darum geht, weiten Schichten der Bevölkerung die Grundlagen der Himmelskunde und aktuelle Themen aus der Welt der Sterne näherzubringen. Unabhängig von Tag oder Nacht, vom Wetter oder von Lichtsmog erleben die Gäste in Planetarien einen weit gehend naturgetreuen Sternenhimmel - ein fantastisches Erlebnis, das sich vor allem bei Erstbesuchern tief ins Gedächtnis einprägt. Keine andere Institution sorgt so umfangreich für die Verbreitung astronomischer Tatsachen und Fragestellungen. In diesem Sinne äußerte sich auch die Kommission 46 (Teaching of Astronomy) auf der 17. Generalversammlung der International Astronomical Union im Jahr 1979 in Montreal (siehe SuW 2/1980, S. 59): »Planetaria are the true public relation arm of astronomy.« (Etwa: Planetarien sind das wahre Feld der astronomischen Öffentlichkeitsarbeit.)

So paradox es klingen mag: Der große Fortschritt in der elektronischen Bildverarbeitung und digitalen Projektionstechnik bietet den Planetarien zwar ungeahnte Möglichkeiten und neue Chancen. Er birgt jedoch auch die Gefahr, dass sie sich selbst ins Abseits katapultieren. Nicht zum ersten Mal in der rund 100-jährigen Geschichte der Planetarien droht ihnen eine weltweite Krise. Schon im ersten Jahrzehnt zogen dunkle Wolken an den künstlichen Firmamenten auf. War der Besucheransturm zunächst gewaltig - jeder wollte das »technische Wunderwerk aus Jena« erleben - ließ er bald erheblich nach. Jeder hatte die Sterne gesehen, warum sollte man sich ein zweites Mal ins Planetarium begeben, liefen die Sternführungen doch stets nach dem gleichen Schema ab? Die nahezu ausschließlich von Steuergeldern finanzierten Einrichtungen in Deutschland galten als unnötige Kostenfaktoren. Die Vorführungen wurden nur noch mäßig besucht oder entfielen gänzlich.

Robert Henseling, Gründer der Sternwarte Stuttgart und des ersten Planetariums der Stadt, der auch den Bund der Sternfreunde und die Zeitschrift »Die Sterne« ins Leben rief, schrieb 1931 in seinem Aufsatz »Planetariums-Dämmerung?«: »... Planetarien 'gehen nicht' ... ihnen droht die Schließung ... nun will man ein teures, ein gutes Pferd erschießen, weil man es nicht zu reiten versteht.« Und weiter: »... die bisher übliche Eingliederung in den kommunalen Verwaltungsapparat mit seinen unvermeidlichen Schwerfälligkeiten und sachfremden Hemmungen ist, wie die Erfahrungen lehren, weder der inneren noch der äußeren Entwicklung eines Planetariums dienlich.«

Auch die heute anstehenden Probleme beruhen auf dem Satz »Weil man es nicht zu reiten versteht«. Nicht allein finanzielle Probleme machen den Planetarien einst wie heute zu schaffen. Noch bevor deutsche Sternentheater im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zugrunde gingen, sorgte die nationalsozialistische Antipropaganda dafür, dass Schulklassen den Einrichtungen fernblieben. Das von einem jüdischen Architekten entworfene erste Nürnberger Planetarium wurde von den Machthabern als »artfremder Bau« gebrandmarkt und abgerissen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten die Planetarien weltweit eine Renaissance. In den Ländern des damaligen Ostblocks wurden vorzugsweise Kleinplanetarien installiert. Damit wollte man bei jungen Menschen das materialistische Weltbild vermitteln und zeigen: »Im Himmel gibt es keinen Gott!« In Nordamerika sorgten die bemannten Mondlandungen für den Aufschwung der Planetarien. Zahlreiche Einrichtungen wurden neu gegründet, bestehende großzügig ausgebaut.

Auch im deutschen Sprachraum tat sich einiges. Nachdem in Deutschland nur die Planetarien in Jena, Hamburg und München die Weltkriegskatastrophe überlebten, folgten Neugründungen von Großplanetarien in Nürnberg (1961), Bochum (1964), West-Berlin (1965), Stuttgart (1977), Wolfsburg (1983), Mannheim (1984), in Berlin am Prenzlauer Berg (1988) und in München im Forum der Technik (1992). Wien erhielt im Jahr 1964 ein neues Planetarium, Luzern folgte 1969. Zugleich erhielt die Planetariumstechnik einen Innovationsschub.


»Planetariumshows« statt Sternenvorführungen

Neben dem zentralen Planetariumsprojektor installierten die Betreiber Dutzende von Diaprojektoren, optoelektromechanische Projektoren für spezielle Effekte, Laserbeamer und hochwertige Tonanlagen, um die Darstellungsmöglichkeiten zu erweitern. Die Präsentationen wurden automatisiert, zunächst mit Magnetbandstationen, dann durch Computersteuerung. Die Planetariumsvorführung entwickelte sich zur Multivisionsdarbietung. Fortan sprach man nicht mehr von Sternenvorführungen, sondern von »Planetariumshows«: Man konzipierte keine Vorträge mehr, sondern produzierte »Shows«. Live dargebotene Sternenvorführungen gab es immer seltener; in der Regel liefen die Programme vollautomatisch ab.

Bald nach Apollo 17, der letzten bemannten Mondlandung im Jahr 1972, kam es zur nordamerikanischen Planetariumskrise. Teilweise schlagartig gingen die Besucherzahlen zurück oder stagnierten. Budgets wurden gekürzt, Schließungen drohten. Die Ursache lag nicht zuletzt im technischen Fortschritt. Das »Wunder von Jena« schien im Zeitalter der Computer und Raketen, des Farbfernsehens und der modernen Filmindustrie eher ein verstaubtes Museumsstück als ein technisches Wunderwerk zu sein. Schließlich diskutierte man ernsthaft die Frage, in wieweit Planetarien in einer technisierten und medial überschwemmten Welt noch eine Daseinsberechtigung haben.

Auf dem europäischen Kontinent wurde die Krise gemeistert, nachdem man erkannt hatte, dass Planetarien keine reinen Vergnügungsstätten sind, die kommerziell betrieben werden müssen, sondern kulturelle Institutionen wie Museen, Galerien und Schulen. Planetarien sind als Bildungseinrichtungen mit den nötigen Finanzmitteln und entsprechendem Personal auszustatten. Der Betrieb eines Planetariums darf nicht nach Rentabilität, sondern muss nach Effektivität ausgerichtet werden (siehe SuW 4/1987, S. 195).

In den zurückliegenden beiden Jahrzehnten erschloss die Entwicklung der digitalen Projektionstechnik den Planetarien völlig neue Möglichkeiten der visuellen Darstellung. Leistungsfähige Rechner und Videobeamer ermöglichen es, kuppelfüllende Bildinhalte zu projizieren. Derartige Ganzkuppel-Videoprojektionssysteme, im Fachjargon auch »Full-Dome-Videosysteme« genannt, ersetzen die klassischen Diaprojektoren und Spezialeffekt-Projektoren praktisch vollständig. Sie erweitern die Visualisierungsmöglichkeiten in einem früher nicht gekannten Ausmaß: Astrophysikalische Sachverhalte lassen sich anschaulich darstellen, beispielsweise die Entwicklung von Sternen, das Verschmelzen von Galaxien, die Bildung großräumiger Strukturen im Universum kurz nach dem Urknall, die Eigenbewegung der Sterne, Reisen durch das Sonnensystem oder Effekte der allgemeinen Relativitätstheorie.

Die Darstellungsmöglichkeiten beschränken sich dabei nicht nur auf astronomische Themen. Sie bringen den Zuschauern auch die Welt des Mikrokosmos nahe, simulieren eine Tour durch die Blutbahnen eines Menschen oder eine Wanderung durch eine imaginäre Stadt. Kurz: Es lassen sich praktisch beliebige Bildinhalte präsentieren - und dies nicht nur statisch, wie bei den überkommenen Dia-Allsky-Systemen, sondern dynamisch wie auch bei Filmvorführungen. Dadurch kann ein Planetarium auch sein Angebot deutlich erweitern. Es müssen nicht mehr Diaprojektoren neu bestückt und Spezialeffekt-Projektoren ausgetauscht werden, wenn ein Programmwechsel ansteht, sondern alle Programme lassen sich als gespeicherte Dateien jederzeit abrufen.


Full-Dome-Projektion: Fluch oder Segen?

Nach und nach führten und führen Planetarien die neuen digitalen Full-Dome-Projektionssysteme ein. Hierbei tauchen aber bisher nicht gekannte Probleme auf, sowohl im Hinblick auf die Hardware als auch auf die inhaltliche Gestaltung der Vorführungen. Die Herstellung einer Full-Dome-Show erfordert einen erheblichen Aufwand an Personal und Rechenkapazität, und nur wenige Planetarien können dies leisten. Planetariumshows werden daher eingekauft, sei es von anderen Planetarien oder in verstärktem Maße von Firmen. Dabei sind die Produzenten häufig keine Astronomen und schon gar keine Planetarier, sondern sie kommen aus der Film- und Medienbranche. Dementsprechend gestalten sie dann auch die Shows. Es gibt eine bevorzugte Richtung, in der sich das gesamte Geschehen abspielt. Hektisch wechselnde Szenen werden von langatmigen Monologen oder Dialogen professioneller Schauspieler abgelöst.

Die Planetarien reagieren darauf: Die einst standardmäßig konzentrische Bestuhlung um den Planetariumsprojektor wird zugunsten einer unidirektionalen Sitzanordnung, oftmals im Auditorium ansteigend (englisch: tilted dome), ersetzt. Die Kuppel wird geneigt, und auf den teuren Sternenprojektor wird verzichtet. Wer den Raum betritt, gewinnt den Eindruck, in einem Kinosaal zu sein. Die Videotechnik birgt außerdem einen gravierenden Nachteil: Sie ist heute und wohl noch auf längere Zeit nicht in der Lage, einen naturgetreuen, realitätsnahen Sternenhimmel zu projizieren. »Wir sehen nur kleine verwaschene Lichtflecken, die Galaxien ähneln, aber keine Sterne«, bemerkten manche Besucher. Als Folge dieses gravierenden Mangels verzichten die Veranstalter zunehmend bei Full-Dome-Shows auf die Darstellung des Sternenhimmels zu Gunsten anderer Bildinhalte. Oft sind die Darstellungen so grell, dass sich die Augen der Besucher für die Wahrnehmung eines sternenübersäten Himmels überhaupt nicht adaptieren. Kurzum: Die Besucher glauben nicht, in einem Sternentheater zu sitzen, sondern in einem Kino.

Manche Betreiber von Full-Dome-Videosystemen vermeiden konsequenterweise die Bezeichnung »Planetarium« und nennen sich stattdessen »Mediendom«, »Ruimtetheater«, »Scientarium«, »Omnitheater« oder »Immersive Theater«. Derart ausgerüstete Einrichtungen, die ihrem Publikum nur vorproduzierte und eingekaufte Full-Dome-Shows vorsetzen und keine Eigenproduktionen anbieten, laufen Gefahr, dass die Geldgeber beziehungsweise Betreiber auf das wissenschaftliche Personal verzichten. Statt Astronomen oder Naturwissenschaftler als Leiter zu beschäftigen, genügen ein kaufmännischer Geschäftsführer und Hilfskräfte als Abspielpersonal.

In vielen dieser Full-Dome-Kinos wird dann das gleiche Programm geboten. Touristen werden folglich in der Stadt A nicht das Planetarium besuchen, wenn die gleichen Programme in den Städten B bis Z ebenfalls zu sehen sind. Mit dem Verzicht auf wissenschaftliches Personal wird auch eine Fachbibliothek überflüssig. Diese Einrichtungen sind auch nicht mehr in der Lage, Funk, Fernsehen und Printmedien Auskünfte zu aktuellen astronomischen Fragen zu erteilen, Lehrer zu beraten, die mit ihren Schulklassen das Planetarium besuchen und interessierte Gäste zu eigenen astronomischen Aktivitäten anzuleiten. Nach einem anfänglichen Besucherstrom droht solchen Sternenkinos das Schicksal der IMAX-Filmtheater: Planetarien, die nur mehr fremdproduzierte und eingekaufte Shows per Full-Dome-Videosystem abspielen lassen, werden sich über kurz oder lang selbst abschaffen.


»Edutainment« ist angesagt!

Planetarien sollten keine Abspielkinos werden, sondern astronomische Institute bleiben, welche die Himmelskunde, aber auch andere naturwissenschaftliche Themen, einem breiten Publikum aller Alters- und Bildungsschichten vermitteln. Da ist zunächst die Frage zu klären: Was erwarten Besucher eines Planetariums? Viele haben keine Vorstellung davon, was ein Planetarium ist. Manche verwechseln es mit einer Sternwarte und möchten wissen, wann die Kuppel geöffnet wird. Aber im Allgemeinen besuchen Menschen ein Planetarium, um »Sterne zu schauen«. Dies ist die am weitesten verbreitete Vorstellung, wie Susanne Hüttemeister, Leiterin des Planetariums Bochum, betont.

Die klassische Aufgabenstellung einer solchen Kultureinrichtung gilt auch heute noch, bemerkt Wilfried Lang, Leiter der Planetarium Division bei der Firma Carl Zeiss: »... zu einer Institution, die sich Planetarium nennen will, gehört zunächst einmal ein Sternenhimmel, der der Natur sehr nahekommt. Das war die Intention von Walther Bauersfeld und von Oskar Miller, und diese Idee ist, nur weil inzwischen 90 Jahre vergangen sind, längst nicht überholt. Im Gegenteil, sie ist mehr denn je aktuell, da unsere Umwelt der heutigen jungen Generation einen ungetrübten Sternenhimmel vorenthält.«

Soll ein Planetarium ein astronomisches Institut bleiben und nicht zu einem Abspielkino degenerieren, dann muss seine Hauptaufgabe darin bestehen, astronomische und naturwissenschaftliche Kenntnisse sowohl einem allgemeinen Publikum als auch Schülern und Studenten zu vermitteln. Dies muss in einer ansprechenden und unterhaltsamen Form geschehen. Die neue, digitale Projektionstechnik bietet hier hervorragende Möglichkeiten. Die Programmmacher sollten sich nicht scheuen, das Element »Unterhaltung« in ihre Vorführungen als »Edutainment« einzubeziehen. Damit wird die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit keineswegs in Frage gestellt, wie Thomas W. Kraupe, Chef des erfolgreichen Hamburger Planetariums, stets betont. »Edutainment« ist angesagt.

Neben den großartigen Möglichkeiten, astrophysikalische Sachverhalte mit Full-Dome-Systemen zu visualisieren, in imaginäre Räume vorzustoßen und interstellare Reisen virtuell zu erleben, darf aber die klassische Astronomie nicht zu kurz kommen. Die Grundfunktion und Stärke des Planetariums besteht nach wie vor darin, den Himmelsanblick als Funktion von Zeit und Ort zu präsentieren, also insbesondere die tägliche Himmelsdrehung, die scheinbaren Bewegungen von Sonne, Mond und Planeten und den Himmelsanblick in verschiedenen geografischen Breiten zu demonstrieren, die Mitternachtssonne und die Zirkumpolarsterne vorzuführen sowie Entstehung und Ablauf von Finsternissen inklusive Venustransiten. Auch die Präzessionsbewegung der Erde und ihre Folgen sind ein wesentliches Element in der Vermittlung astronomischen Grundwissens. Man kann anschaulich die wechselnden Auf- und Untergangsazimute heller Fixsterne im Lauf von Jahrtausenden und ihre Bedeutung für die Ausrichtung von Megalithbauten zeigen. Ferner lassen sich die infolge der Präzession wechselnden Polarsterne vorführen und der astrologische Aberglaube erschüttern, wenn ein Laienpublikum mit der Tatsache konfrontiert wird, dass Tierkreiszeichen und Tierkreissternbilder zwei Paar Stiefel sind.


Planetarium oder Sternenkino?

Diese Darstellungsmöglichkeiten sind nur gegeben, wenn die Projektionskuppel flach und nicht geneigt ist. Zweckmäßigerweise sollte auch die Bestuhlung konzentrisch angeordnet sein (siehe Bild). So sieht ein Teil der Besucher den Nordhorizont bequem vor sich und kann beispielsweise die zirkumpolare Wanderung des Großen Wagens und des »Himmels-W« um den Polarstern verfolgen. Nach wie vor sind bequeme, dreh- und kippbare Einzelsessel die beste Lösung. Die konzentrische Bestuhlung bewirkt außerdem, dass die Gäste beim Betreten des Kuppelsaals mehr oder minder unbewusst das Gefühl haben, in eine völlig andere Welt einzutauchen. Bei einer unidirektionalen Sitzanordnung realisiert der Besucher: Jetzt bin ich in einem Kinosaal wie in 1000 anderen. Das A und O eines Planetariums ist aber die Projektion eines möglichst naturgetreuen Sternhimmels, denn die Besucher wollen ja »Sterne schauen«. Dazu sind aber die heutigen Full-Dome-Systeme nur unzureichend in der Lage.

Weit überlegen und bis heute unübertroffen sind die Planetariumsprojektoren mit lichtleitender Glasfaseroptik. Sie haben inzwischen einen kaum mehr zu überbietenden Stand erreicht. Eine optimale Kombination von Projektor und Full-Dome-System erfordert Beamer, die bei fehlendem Bildinhalt einen schwarzen Hintergrund garantieren, damit die Kuppel während der Darstellung des Sternhimmels nicht aufgehellt wird. Zudem muss die Software des Full-Dome-Systems mit der Steuersoftware des Planetariumsprojektors harmonieren.

Mit diesen technischen Voraussetzungen ist aber ein erfolgreicher Planetariumsbetrieb noch lange nicht gewährleistet: Den Besuchern muss die ganz besondere Atmosphäre einer Planetariumsvorführung vermittelt werden, denn sie möchten dem Alltag entfliehen. Sie sollen den Kosmos emotional erleben und das Gefühl verspüren, selbst im Universum zu schweben - kurz: Ein Planetariumsbesuch muss zu einem einzigartigen Erlebnis werden, das man sonst nirgendwo geboten bekommt.

Dies haben die Programmgestalter zu berücksichtigen. In allen Richtungen sollen wesentliche Darstellungen projiziert werden. Mal taucht ein Planet rechts auf, eine Raumsonde fliegt links vorbei, vorne erscheint der Mond und hinten startet eine Rakete. Wichtige Bildinhalte sind in Zenitnähe zu platzieren. Die Besucher müssen das Gefühl haben, in das Geschehen eingebunden zu sein. Wie bei einer Sternenführung in der freien Natur, sollen sie nach oben sehen, dann nach vorne, links, rechts und sich auch umdrehen, anstatt wie im Kino oder vor dem Fernseher starr in eine Richtung zu blicken. Dies vermindert auch die Zahl der Schnarcher.

Ein weiterer Gesichtspunkt für die Showproduzenten ist die Vermeidung langer, gerader Linien. Eine Rakete, die vom Horizont bis fast zum Zenit reicht oder ein ähnlich großer Wolkenkratzer, erscheinen infolge der Kuppelwölbung von den meisten Sitzpositionen aus gekrümmt oder verzerrt. Dadurch verliert der Betrachter das Gefühl der räumlichen Tiefe und ist irritiert. Besser ist es, viele, aber kleine Objekte in die Projektionen einzubinden. Grundsätzlich sollten die Programmgestalter das Auftreten von Personen und von wohl bekannten Gegenständen aus dem Alltag weitgehend vermeiden; Dialoge von Schauspielern, die zudem nur in eine Richtung projiziert werden, verstärken die Meinung »Das hätte ich auch zu Hause im Fernsehen anschauen können!«.

Den Besuchern darf also nicht der Eindruck vermittelt werden, einen Film zu betrachten, bei dem sie lediglich Zuschauer sind. Das Publikum muss sich direkt angesprochen fühlen und gewissermaßen durch die Welt der Sterne geleitet werden. Noch viele weitere Punkte sind bei der Produktion von ansprechenden Vorführungen zu beachten, die aber hier nicht alle aufgeführt werden können.


Das Planetarium als Bildungsinstitution

Planetarien sollten ein breites Spektrum von Programmen auf anspruchsvollem Niveau anbieten. Live-Veranstaltungen gehören ebenso dazu, wie eine nach Alters- und Bildungsgrad differenzierte Palette von Sternenvorführungen für unterschiedlichste Zielgruppen - von Kita-Kindern bis zu Studierenden naturwissenschaftlicher Fächer. Navigationskurse sollten ebenso wenig fehlen wie reine Unterhaltungsdarbietungen, beispielsweise Musik unter dem Sternenhimmel, Dichterlesungen oder Lasershows.

Das Planetarium als astronomisches Institut muss aber noch mehr bieten, um ein interessiertes Publikum an sich zu binden: Vortragsreihen mit hochkarätigen Fachleuten sowie astronomische Kurse und Seminare für ein Stammpublikum, das sich nicht mit allgemeinen Sternenvorführungen zufriedengibt. Die Zusammenarbeit mit der regionalen Amateurastronomen- und Sternfreundeszene ist dabei fast unerlässlich.

Freilich erfordern diese Aufgaben eine ausreichende Ausstattung der Planetarien mit Fachpersonal und einem Etat, der anderen Kultureinrichtungen wie Theatern oder Museen ohne Weiteres zugestanden wird, denn ohne Produktionsmittel wie Rechnersysteme und eine Fachbibliothek geht es nicht. Planetarien, die alle hier aufgezählten Kriterien erfüllen, werden als naturwissenschaftliche Bildungseinrichtungen auch in Zukunft eine wichtige Funktion im gesellschaftlichen und kulturellen Leben einnehmen. Ad multos annos!


Hans-Ulrich Keller ist Gründungsdirektor des Planetariums Stuttgart und Professor für Astronomie an der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik und Geodäsie der Universität Stuttgart. Ferner betreut er die Sternwarte Welzheim.


Literaturhinweise

Henseling, R.: Planetariums-Dämmerung? In: Die Sterne 4/1931, S. 75-77
Hüttemeister, S.: Wissenschaft, Bildung und Kultur im Planetarium. In: Habison, P. (Hg.): Himmel@All. Edition Volkshochschule, Wien 2010, S. 53-64
Krumenacker L.: High School Planetariums: Result of a Survey. In: The Planetarian - Journal of the International Planetarium Society 37, S. 17-25, 2008
Lang, W.: Hochwertig, modular und flexibel für Ihr Budget - die Zeiss Planetariumssysteme. In: Innovation, Spezial »Planetarien« 8, S. 5-6, 2010
Norton, R.O.: Will Planetariums Become Extinct? In: Sky & Telescope 70, S. 534-536, 1985
Shanks, S.: Save the Planetarium. In: The Planetarian - Journal of the International Planetarium Society 39, S. 8, 2010

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 82:
Zu Beginn der 1920er Jahre blickten die Besucher des Deutschen Museums noch in einen mechanischen Himmel. Die ausgefeilte Version eines Orrery-Planetariums veranschaulichte die Bewegungen der Planeten am Himmel und ihre Beleuchtungsphasen.

Abb. S. 83:
Die Vielfalt der digitalen Projektionstechniken verspricht nicht nur neue Chancen, sondern könnte nach Ansicht des Autors das Planetarium als astronomische Bildungsinstitution gefährden.

Abb. S. 84:
Die Full-Dome-Projektion lässt den Betrachter tief in das Geschehen eintauchen und vermittelt ihm auf diese Weise einen nachhaltigen Einblick in astrophysikalische Vorgänge (links). Selbst Reisen in den Mikrokosmos sind möglich, beispielsweise, um die atomare Struktur eines Nanokristalls zu veranschaulichen (unten).

Abb. S. 85:
Unterhaltende Elemente einer Full-Dome-Show können den Zuschauer in imaginäre Räume entführen und den bildenden Charakter der Vorführung unterstützen. Dargestellt ist eine Ansicht der Scrovegni-Kapelle in Padua.

Abb. S. 86:
Konzentrisch um den Projektor angeordnete drehbare Sitze gewährleisten ein bequemes Betrachten von Himmel und Horizont.

© 2012 Hans-Ulrich Keller, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 8/12 - August 2012, Seite 82 - 87
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528 150, Fax: 06221/528 377
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69117 Heidelberg
Tel.: 06221/9126 600, Fax: 06221/9126 751
Internet: www.astronomie-heute.de
 
Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2012