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AFRIKA/1078: Interview mit dem angolanischen Schriftsteller Agualusa (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, September/Oktober 2011

"Demokratie und Intelligenz werden sich durchsetzen"
Interview mit dem angolanischen Schriftsteller Agualusa

Jorge Eurico vom "Semanario angolense" sprach im September mit José Eduardo Agualusa über seine Vision zu Angola, über die Jugend, die beiden wichtigsten Akteure der angolanischen Politik (MPLA und Unita) und die aktuelle Situation in Angola.


AGUALUSA: Die demokratischen Aufstände in Nordafrika haben den gesamten Kontinent aufgeschreckt. In Angola haben sie eine Jugend aufgeweckt, die sich außerhalb der traditionellen politischen Parteien bewegt. Ich denke, das ist etwas Neues. Die angolanische Regierung war erschrocken.

EURICO: Glauben Sie wirklich, das Regime hat Angst?

AGUALUSA: Ja, die erste Reaktion war Schock und Verwirrung. Dann hat es sich etwas erholt. Die totalitären Regime in Afrika und weltweit wissen nicht, wie sie auf die neuen Informationstechnologien reagieren sollen. Es ist eine Revolte der Jugend.

Immer mehr junge Angolaner greifen auf das Internet zu, um Informationen und Wissen auszutauschen. Um mit der Jugend aus anderen Ländern Informationen zu teilen, die es geschafft hat, erfolgreich mit gewaltfreien Methoden wie in Ägypten ihre Forderungen durchzusetzen.

Es geht um Wissen, um die Demokratisierung von Informationen. Man kann eine solche Bewegung nicht aufhalten, das ist unmöglich. Kein Regime kann das. Mittelfristig bedeutet das einen Anstieg des Widerstands. Je niveauvoller sich dieser zeigt, desto mehr neigen totalitäre Regime auf Grund ihrer eigenen Struktur, ihres eigenen Charakters, zur Stupidität. Das fördert Inkompetenz und Unterwürfigkeit, und im Grunde einen Kampf zwischen Intelligenz und Dummheit. Am Ende siegt wie immer die Intelligenz.

Ich mag transparente Haltungen. Es gibt sogar hochrangige Mitglieder des Regimes, die ich bewundere, weil sie transparent sind. Sie vertreten eine Meinung und zeigen ihr Gesicht. Und sie sind offen und direkt. Personen, die eine gute Debatte zu schätzen wissen, die mit ihrem Ansinnen nicht hinter dem Berg halten. Solche Personen gibt es. Doch in der Regel herrscht in einem Regime wie dem angolanischen Opportunismus vor. Namen möchte ich nicht nennen. Es würde ihnen schaden.

EURICO: Jeden falls können Sie es mit der angolanischen Regierung nicht.

AGUALUSA: Ich bin für Demokratie und Intelligenz. Ich bin für eine gerechtere Entwicklung. Ich mag kein Elend in Angola sehen. Es schmerzt mich, die extreme Armut, in der viele Angolaner leben, in einem Land mit so vielen natürlichen Reichtümern zu sehen. Ich mag es nicht. Ich glaube an die Menschen. Ich glaube, dass in einem gerechten und demokratischen System auch die Menschen, die heute an der Macht sind, glücklicher wären.

EURICO: Fühlen Sie sich in Angola verfolgt? Seit wann konkret und warum?

AGUALUSA: Seit ich eine öffentliche Stimme bin. Wie auch immer, ich bin nicht wichtig. Ich bin nur ein Schriftsteller.

EURICO: Nur? Heißt das, sich in Bescheidenheit zu üben?

AGUALUSA: Nein, ich habe keine politischen Ambitionen, noch arbeite ich mit sensitivem Material wie zum Beispiel Rafael Marques. Seither hat mich im Übrigen niemand mehr belästigt. Die politische Macht hat mehr zu befürchten. Eine Jugend in Aufruhr, die Unzufriedenheit der benachteiligten Bevölkerung. Korruptionsvorwürfe. Das beschäftigt das Regime.

EURICO: Wie sähe in Ihrer Phantasie ein demokratischeres, gerechteres Angola aus, wo man frei sprechen kann?

AGUALUSA: Mit Parlamentswahlen, einem Präsidenten der Republik und lokalen Regierungen. Mit einer freien und pluralistischen Medienlandschaft, wo sich niemand bedroht fühlt, wo alle Geschäfte transparent sind. Wo die Politik nicht dazu dient, dass sich ein paar Leute bereichern, sondern für die Menschen da ist.

EURICO: Ist das Land, selbst nach dem Krieg, nicht noch weit von dieser Realität entfernt?

AGUALUSA: Leider ja. Sehr weit. Weit von dem zum Beispiel, wofür die MPLA von Mário Pinto de Andrade schließlich gekämpft hat. Aber ich glaube, das wird sich ändern. Die Jugend fordert einen Wandel. Die Jugend kann nicht bekämpft werden. Die Jugend siegt immer.

EURICO: Haben Sie ein Rezept, um diese Situation umzukehren?

AGUALUSA: Bestimmung, Hoffnung, Liebe. Gewalt bekämpft man nicht mit Gewalt. Gewalt kann nur mit Intelligenz und Liebe bekämpft werden. Ich sage da nichts Neues. Das haben schon Christus, Martin Luther King, Gandhi etc. gesagt. Gewalt ist immer eine Kapitulation der Intelligenz.

EURICO: Haben die Methoden von Mahatma Gandhi und Martin Luther King im angolanischen Prozess Platz?

AGUALUSA: Sicher. Gewaltfreier Widerstand. Wir müssen unseren Gegner mit seinen eigenen Fehlern konfrontieren. Ich unterstütze das südafrikanische Beispiel, alles zu debattieren und zu diskutieren und schließlich zu vergeben.

EURICO: Besitzt die angolanische Gesellschaft diese Fähigkeit zur Toleranz?

AGUALUSA: Wir sind nicht dümmer als die Südafrikaner, warum auch? Ich habe in Angola großartige Beispiele der Nächstenliebe erlebt, der Hingabe, außergewöhnliche Geschichten von einfachen Menschen. Wir müssen den Hass besiegen, wir müssen eine Kultur der Integration bestärken. Nur so können wir tatsächlich den Bürgerkrieg überwinden. Schauen Sie, wenn die Nationalmannschaft spielt, sind wir alle vereint. Es ist dieser Geist, den wir nach drinnen bringen müssen, für alle unsere gemeinsamen Aktivitäten.

EURICO: Wird der Bürgerkrieg weiter wirken, solange der Hass nicht überwunden und die Kultur der Integration nicht gestärkt wird?

AGUALUSA: Sicher, der Bürgerkrieg wird erst dann vorbei sein, wenn wir in der Lage sind, uns zu umarmen und gemeinsam zu weinen. Wir haben eine große komba (Zeremonie) zu machen. Die angolanische Gesellschaft besitzt in sich ja all diese Strategien. Sie brauchen nicht mehr erfunden werden. Die Wunden und Narben des Bürgerkriegs schmerzen noch immer.

EURICO: Gibt es noch viel Ausschluss in unserem Land?

AGUALUSA: Ja, auf allen Ebenen. Gegen die Ärmsten. Gegen Ausländer. Gegen alle diejenigen, die in der einen oder anderen Weise etwas anders sind oder zu sein scheinen.

EURICO: Was kennzeichnet diesen Ausschluss?

AGUALUSA: Extreme Armut eines Großteils unserer Bevölkerung, während eine kleine Minderheit sich nicht schämt, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Fremdenfeindlichkeit, etc..

Man braucht nur die Zeitungen zu lesen. Schlimmer noch sind die Kommentare in den Online-Zeitungen: Sie sind voll von Hassbekundungen gegen chinesische Arbeiter, gegen Muslime, etc.. Menschen, die in ihrer überwältigenden Mehrheit helfen, Angola zu entwickeln. Der Hass gegen Homosexuelle ist ein weiteres Beispiel.

EURICO: Aber ich habe von vielen Ausländern gehört, die sich in Angola sehr gut empfangen und gut behandelt fühlen.

AGUALUSA: Ja, natürlich. Es gibt eine Tradition der Gastfreundschaft in Angola. Ich glaube, dass der Krieg und alles, was er mit sich gebracht hat, diese Tradition beschädigt, aber nicht getötet hat. Wir müssen sie nur neu beleben. Zum Beispiel die Visapolitik. In Namibia, diesem schönen Nachbarland, verlangt niemand nach einem Visum. Warum müssen wir den Ausländern die Einreise dermaßen erschweren? Ich denke, dies ist auch ein Vermächtnis des Krieges und der Zeit der marxistischen Diktatur. Mosambik ist auf dieser Ebene viel weiter fortgeschritten als wir.

EURICO: Ist die Jugend, intellektuell und politisch betrachtet, heute eher hohl?

AGUALUSA: Da kann ich nicht zustimmen. Es gibt sicher junge Menschen mit großer intellektueller Armut, aber ich kenne ebenso hoch interessante, kultivierte, intelligente und gebildete Jugendliche, die gerne Bier trinken und feiern möchten. Wie ich schon sagte, ich glaube gerade an diese Jugend. Es sind diese jungen Menschen, die das Land verändern werden.

Die ursprüngliche MPLA hatte nichts mit der Struktur gemein, die heute vorherrscht. Ich denke, dass selbst die ältesten MPLA-Kämpfer mir zustimmen würden. Es gibt, im Sinne der Ideale, nichts, was die Bewegung, die Mário Pinto de Andrade, ein außergewöhnlich intelligenter, großzügiger und grundehrlicher Mensch, mitgegründet hat, und diejenige, die unter dem gleichen Namen heute existiert, gemein haben. Ich höre, was einige dieser älteren Aktivisten privat sagen. Auch sie sind desillusioniert.

EURICO: Was sagen sie zum Beispiel privat?

AGUALUSA: Seit Jahren höre ich sie immer wieder denselben Satz: "Dafür haben wir die Unabhängigkeit nicht gemacht." Einige dieser Personen haben schreckliche Fehler begangen, aber ich glaube, dass sie, zumindest zu Beginn, aufrichtig waren. Sie verfolgten Ideale.

EURICO: Ist die Unita eine Alternative zur regierenden Partei oder nicht?

AGUALUSA: Nein, mit einer Unita an der Macht wäre ich nicht glücklich. Aber ich denke, es gibt auch in der Unita ehrenwerte und kompetente Menschen.

Die Unita scheint keine Ideen zu haben. Sie hat nie erklärt, wie sie regieren will, und sie hat eine schreckliche Vergangenheit. Außerdem war die Unita, ich weiß nicht, ob sie es noch ist, eine totalitäre Partei. Die Unita von Jonas Savimbi erschien mir immer wie ein monströses Ungeheuer. Ich würde eine Regierung mit kompetenten Menschen bevorzugen, von der Unita, der MPLA, dem Demokratischen Block (BD), Unabhängige usw.. Ernsthafte Menschen ohne Verbindungen zu Korruption und Gewalt. Ich habe noch nie Korruptionsvorwürfe gegenüber Personen vernommen, die mit dem BD verbunden sind. Man kann durchaus eine gute Regierung in Angola bilden.

Wir müssen das Interview beenden, ok? Es tut mir leid.

EURICO: Ich habe etwas erfahren (lacht)

AGUALUSA: Wenn Sie etwas erfahren haben, ist es gut (lacht).


José Eduardo Agualusa

José Eduardo Agualusa alias Alves da Cunha wurde 1960 in Huambo geboren. Er lebt als Schriftsteller und Journalist in Portugal, Angola und Brasilien. Er hat bislang acht Romane, mehrere Bände mit Kurzgeschichten, drei Theaterstücke und einen Lyrikband veröffentlicht. Zudem ist er als freier Journalist für Radio und Zeitung tätig. Seine Bücher sind in mehrere Sprachen, darunter vier Romane in Deutsch, übersetzt worden.

Agualusa gilt unter MPLA-Anhängern als Nestbeschmutzer, weil er den in Angola als Hauptdichter verehrten ersten Präsidenten des Landes, Agostinho Neto, für keinen Poeten hält. Agualusa steht zu seiner Meinung: "Seine Verse sind äußerst spröde. Von einem im strengen Sinne literarischen Standpunkt aus gesehen haben sie keinen Wert." Agualusa hat Ende September in Lissabon mit Organisationen der angolanischen Diaspora in Portugal an einer Mahnwache zur Freilassung der politischen Gefangenen in Angola teilgenommen.

Agualusas Werke auf Deutsch:

Ein Stein unter Wasser (1999, DTV), Das Lachen des Geckos (2008, A1 Verlag), Die Frauen meines Vaters (2010, A1 Verlag) und Barroco Tropical (2011, A1 Verlag).


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 5, September/Oktober 2011, S. 22 - 23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2011