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AFRIKA/1085: Guinea-Bissau - Land ohne moralische Stütze, Tod des Präsidenten erhöht Putschgefahr (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Januar 2012

Guinea-Bissau: Land ohne moralische Stütze - Tod des Präsidenten erhöht Putschgefahr

von Mario Queiroz

Aktivisten aus Guinea-Bissau auf einer Demonstration in Lissabon - Bild: © Mario Queiroz/IPS

Aktivisten aus Guinea-Bissau auf einer Demonstration in Lissabon
Bild: © Mario Queiroz/IPS

Lissabon, 11. Januar (IPS) - Nach dem Tod des Staatspräsidenten von Guinea-Bissau, Malam Bacai Sanhá, wächst in dem westafrikanischen Land nach Einschätzung politischer Beobachter die Gefahr eines Militärputsches. Sanhá war es während seiner Amtszeit mehrfach gelungen, Machtkonflikte zu entschärfen. Die Stabilität des Landes wird auch dadurch bedroht, dass lateinamerikanische Drogenkartelle dort ihren Hauptstützpunkt in Afrika errichtet haben.

Der Präsident, der am 9. Januar in Paris starb, war einer der letzten überlebenden 'Helden' des Freiheitskampfes gegen die ehemalige portugiesische Kolonialmacht. Wiederholt hatte er nach der Unabhängigkeit 1974 als Schlichter in interne Machtkämpfe des Landes eingegriffen.

Bereits 1980 erhob sich das Heer unter Führung des Kommandanten João Bernardo Vieira gegen den Präsidenten Luis Cabral. Zwischen 1983 und 1993 kam es zu weiteren Putschversuchen gegen die Regierung. Vizepräsident Paulo Correia und fünf weitere hochrangige Personen wurden wegen Verrats hingerichtet.

Bei dem jüngsten Umsturzversuch am 26. Dezember planten Rebellen unter Führung des Marinegeneralstabschefs Admiral Bubo Na Tchuto die Ermordung des Regierungschefs Carlos Gomes Junior und des Oberbefehlshabers der Streitkräfte, General Antonio Indjai. Vom Krankenbett aus sandte Sanhá eine aufgezeichnete Botschaft an die Kontrahenten und konnte damit einen Putsch verhindern. Die Aufständischen wurden zu Haftstrafen verurteilt.


Ex-Rebellen unterhöhlen Staat

Politische Analysten in Portugal sehen nun die innere Stabilität von Guinea-Bissau nach dem Tod des Präsidenten akut bedroht. In der Vergangenheit hatten ehemalige Rebellen von der Afrikanischen Unabhängigkeitspartei von Guinea und den Kapverden (PAIGC) mehrmals versucht, einen Umsturz herbeizuführen. Mehr als 20 Jahre nach Einführung des Mehrparteiensystems sind die Ex-Guerilleros offensichtlich nicht bereit, die Spielregeln der Demokratie zu akzeptieren.

Im den vergangenen zehn Jahren hat sich das Land zudem zum Hauptumschlagplatz für Drogen in Afrika entwickelt. Nach Angaben von Beobachtern haben südamerikanische Drogenkartelle in Guinea-Bissau inzwischen ihren wichtigsten Stützpunkt auf dem Kontinent errichtet. Von dort aus wird Kokain in die Staaten der Europäischen Union geschmuggelt.

Militärs, Richtern, Polizei und Politikern in Guinea-Bissau wird vorgeworfen, nichts gegen diese illegalen Geschäfte zu unternehmen. Die wenig bewachten Küsten des kleinen Landes mit 1,5 Millionen Einwohnern, dessen Fläche nur rund 36.000 Quadratkilometer beträgt, sind wichtige Anlaufstationen für Drogenschiffe aus Lateinamerika, die von dort Kurs auf Portugal und Spanien nehmen.

Für die Rauschgiftbarone ist Guinea-Bissau ein Paradies. Sie sind zumeist Kolumbianer, die rasch Portugiesisch lernen, sowie Brasilianer, die der Sprache ohnehin mächtig sind. Sie müssen keine Strafverfolgung befürchten. Ohnehin ist Gewalt in dem Land verbreitet.

Guinea-Bissau ist zudem ein armes Land. Die Weltbank rechnet es gemeinsam mit dem Tschad, Äthiopien, Ruanda, Niger, Madagaskar, Bangladesch, Burundi, Laos und Pakistan zu den Ländern mit der weltweit schlechtesten Lebensqualität.

Sanhá, der 2009 für eine Amtszeit von zunächst fünf Jahren gewählt wurde, galt als "moralische Reserve" der Nation. Bereits in jungen Jahren hatte er sich an dem Unabhängigkeitskampf gegen Portugal beteiligt. Er folgte den Befehlen von Amílcar Cabral, der als Gründer der Afrikanischen Unabhängigkeitspartei von Guinea und Kapverden (PAIGC) als Vater des Staates Guinea-Bissau betrachtet wird. Der Krieg endete 1973 mit einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Landes, die von Lissabon im Folgejahr nach der 'Nelkenrevolution' gegen die jahrzehntelange Diktatur anerkannt wurde.


Armut idealer Nährboden für Mafia

Der Vorsitzende der unabhängigen Vereinigung Guineas für soziale Solidarität, Fernando Ka, sagte im Gespräch mit IPS, die chronisch vorherrschende Gewalt im Land könne bald wieder an die Oberfläche treten. Sie stehe nicht nur im Zusammenhang mit Machtkämpfen, sondern auch mit der enormen Korruption innerhalb der politischen Klasse, die sich immer weiter bereichere.

"Ohne eine richtige Entwicklungspolitik, die der völlig verarmten Bevölkerung den Wohlstand bringt, darf man sich nicht über die zunehmende Präsenz internationaler Mafia-Organisationen wundern", sagte er. Bisher könne sich das organisierte Verbrechen auf seine lokalen Komplizen verlassen. (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.paigc.org/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2012