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AFRIKA/1109: Mali zwischen Krieg und Frieden (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 15 vom 13. April 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Mali zwischen Krieg und Frieden
Ein neuer Konfliktherd in Afrika droht die ganze Region zu überfluten

von Pierre Poulain



Entwickelt sich der zentralafrikanische Staat Mali zu einem neuen potenziellen Kriegsherd in Afrika? Oder wird auf dem Weg von Verhandlungen doch noch eine friedliche Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien gefunden? Die Informationen über die Vorgänge in dem Land sind widersprüchlich, je nach Interessenlagen "gefiltert" und geschönt oder geschwärzt. Das gilt für Originalquellen aus dem Land selbst, noch mehr aber für die Darstellungen in den hierzulande vorherrschenden Medien, die die Interessen und Lesart von imperialistischen Staaten wie Frankreich und den USA bzw. der EU widerspiegeln. Deshalb beschränken wir uns hier auf die Darstellung der wichtigsten "Wendepunkte" in den jüngsten Entwicklungen:

Mitte Januar: Die hierzulande meist als "Tuareg-Milizen" bezeichneten Rebellengruppen im Norden des Mali, die unter der offiziellen Bezeichnung "Nationale Befreiungsfront des Azawad" (MNLA) operieren, beginnen teilweise gemeinsam mit dort operierenden Kampfgruppen einer radikalislamistischen Organisation namens "Ançar Dine", mit einem bewaffneten Aufstand. Zuvor waren monatelange Versuche, über Verhandlungen zu einer Vereinbarung mit der Zentralregierung über eine größere Unabhängigkeit der Nordprovinzen zu gelangen, ohne Ergebnis geblieben. Die Rebellen erobern eine Reihe von Militärstützpunkten der malischen Armee und kleinere Ortschaften an den Grenzen zu Algerien, Mauretanien und Niger.

22. März: Eine Gruppe jüngerer Offiziere unter Führung eines bisher unbekannten Hauptmanns, Amadou Sanogo, unternimmt in der Hauptstadt Bamako (im Süden des Landes) einen Militärputsch. Sie erklärt die Verfassung für außer Kraft und den bisherigen Staatschef Amadou Toumani Touré für abgesetzt. Zugleich erklärt das von den Militärs gebildete "Nationale Komitee für die Wiederaufrichtung der Demokratie und die Wiederherstellung des Staates" (CNRDRE), dass es die Macht so bald wie möglich wieder an die "Zivilgesellschaft" abgeben wolle. Begründung für den Putsch: der bisherige Staatschef und seine Regierung hätten sich als unfähig erwiesen, der Armee die nötigen Mittel und moderne Ausrüstungen zur Verfügung zu stellen, um den Aufstand im Norden erfolgreich bekämpfen zu können. Die Junta kann sich offensichtlich auf Zustimmung eines Teils der Bevölkerung stützen. Die als links geltende Oppositionspartei "Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit" (SADI) erklärt sich zur Zusammenarbeit mit der Junta bereit. Die Führungen der übrigen Parteien lehnen den angebotenen "nationalen Dialog" allerdings übereinstimmend ab. Sie schließen sich damit der Haltung der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Cedeao an, die den Putsch entschieden verurteilte, im Gleichklang mit den Regierungen der USA und Frankreichs sowie der EU-Außenbeauftragten Ashton. Die Cedeao verhängt die Schließung der Grenzen zu Mali und wirtschaftliche Sanktionen. Gleichzeitig droht sie mit einer militärischen Intervention.

29. März - 1. April: Ein unbeabsichtigtes Ergebnis des Putsches ist, dass sich die im Norden stationierten Einheiten der malischen Armee, deren Soldaten großenteils aus dem Süden stammen, praktisch auflösten und sich unorganisiert nach Süden zurückzogen. Das ermöglichte es den "Tuareg-Rebellen", innerhalb weniger Tage praktisch den ganzen Norden einschließlich der drei großen Städte Kidal, Gao und Timbuktu zu besetzen. Von besonderer Symbolwirkung war dabei die Einnahme von Timbuktu, einer Stadt am südlichen Rand der Sahara, die seit Jahrhunderten Kreuzungspunkt wichtiger Handelswege durch die Sahara und die Sahelzone war.

6. April: Die MNLA verkündet die staatliche Unabhängigkeit der "befreiten" Nordprovinzen als neuem souveränen Staat unter dem Namen "Azawad". Damit ist Mali praktisch in zwei Teile gespalten. Zugleich zeichnet sich ein scharfer Machtkampf zwischen der MNLA und den Islamisten der Ançar Dine ab, der enge Verbindungen zu der in ganz Nordafrika agierenden Al-Kaida des Maghreb (AQMI) nachgesagt werden. Die MNLA erklärt sich als "weltliche" Bewegung, die Religionsfreiheit zusichert und sich zur UNO-Menschenrechtscharta bekennt. Sie will nur im Norden den neuen Staat Azawad errichten. Ançar Dine dagegen verkündete als Ziel nicht die Unabhängigkeit des Azawad, sondern die Einführung des islamischen Rechts der Scharia in ganz Mali. Es wird berichtet, dass Ançar Dine die MLNA aus den Städten Timbuktu und Gao verjagt und dort selbst die Macht übernommen habe, obwohl die MNLA militärisch stärker ist. Es wird befürchtet, dass die Islamisten die MNLA "überrollen" könnten.

6. April: Die Militärjunta sieht sich angesichts der Interventionsdrohungen der Cedeao, der Unabhängigkeitserklärung des Nordens und der gescheiterten Versuche, ihre Macht im Süden auf eine breitere politische Basis zu stellen, zu einem Rahmenabkommen mit der Cedeao gezwungen, das unter Vermittlung des Nachbarstaates Burkina Faso zustande kam. Darin verpflichtet sich die Junta zu einer unverzüglichen Rückkehr zur Verfassungsordnung und zur Abgabe ihrer Macht an den gewählten Vorsitzenden des Parlaments, Dioncounda Traoré, als "Interimspräsidenten". Ein präziser Termin dafür wird allerdings nicht festgelegt. Der Parlamentspräsident soll eine Übergangsregierung der "nationalen Einheit" bilden und die Durchführung von Neuwahlen organisieren, die laut Verfassung innerhalb von 40 Tagen stattfinden müssten. Im Gegenzug will die Cedeao die verhängten Sanktionen aufheben. Alle am Militärputsch beteiligten Offiziere und Soldaten sollen durch ein zu verabschiedendes Amnestiegesetz straffrei gestellt werden.

Gleichzeitig verkündet die Cedeao, dass sie die Unabhängigkeitserklärung des Nordens für "null und nichtig" ansieht. Sie betont, dass "Mali eins und unteilbar" sei und dass die Cedeao alle Mittel "einschließlich der Anwendung von Gewalt" einsetzen werde, um die territoriale Integrität des Landes zu sichern. Frankreichs Außenminister Juppé erklärt allerdings bereits, dass nur eine Regelung des Problems im Norden "über Verhandlungen mit der MNLA" in Frage komme.


Wirtschaftsinteressen im Hintergrund

Die französische kommunistische Zeitung "Humanité" hatte im Zusammenhang mit den Vorgängen kürzlich ein Interview mit dem französischen Anthropologen André Bourgeot, einem hervorragenden Afrika-Spezialisten für die Sahara-Sahel-Region veröffentlicht. Darin erklärte der Experte, dass der Militärputsch in Bamako "im Volk eine gewisse Unterstützung nationalistischer und sogar antifranzösischer Natur" gefunden habe. Die Rebellion im Norden sei "eine der Folgen der französisch-britischen und danach NATO-Militärintervention in Libyen". Denn diese Rebellion bestehe zu einem bedeutenden Teil aus malischen Tuareg, die aus der von der NATO-Koalition zerschlagenen libyschen Nationalarmee zurückkommen (wohin sie nach der Niederschlagung einer früheren Tuareg-Rebellion im Jahr 2006/7 geflohen waren).

Zu den Hintergründen verwies der Experte darauf, dass die Unabhängigkeitsforderung des Nord-Mali "im Rahmen einer Neugestaltung von Einflusszonen" zu sehen sei. Diese sei "durch sehr vielversprechende extraktive Industrien (Erdöl, Gas, Uran)" ausgelöst.

Die Region von Taoudenni im extremen Norden nahe zu Mauretanien, wo der französische Konzern Total bereits ein Erdöllager ausbeutet, habe "das Aussehen eines Dreiecks des schwarzen Goldes". Die algerische Firma Sonatrach-Sipex sei dort bereits mit Erkundungs- und Lokalisierungsarbeiten tätig.


Mali

Seit 1960 unabhängiger Binnenstaat in Westafrika, vorher französische Kolonie - 14,5 Millionen Einwohner - Fläche 1,2 Millionen qkm (dreimal so groß wie Deutschland) - Zwei Drittel des Landes sind Wüste (Sahara) - Rund 30 verschiedene Ethnien mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen - über 80 % Moslems, 18 % Naturreligionen, 2% Katholiken u. Protestanten - Offizielles BIP pro Kopf ca. 813 Euro/Jahr - 172. Stelle in der Liste der ärmsten Länder der Welt (von 175) - 74 % der Menschen über 15 Jahre Analphabeten - Über 30 % ohne reguläre Beschäftigung - 36 % unterhalb der Armutsgrenze - 44 % ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser - durchschnittliche Lebenserwartung bei 53 Jahren - 80 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft, wiederholte Dürren und Hungersnöte in der Sahel-Zone - geringe industrielle Entwicklung - Baumwollexport, seit einiger Zeit auch Abbau und Export von Gold.


Tuareg

Seit Jahrhunderten in ganz Nordafrika und der Sahara- und Sahelzone lebende nomadisierende Berberstämme. Ca. zwei bis drei Millionen Menschen mit eigener Sprache und Kultur, hauptsächlich in den Staaten Mali, Algerien, Niger, Libyen, Burkina Faso, Marokko und Mauretanien. Immer wieder Aufstände, ursprünglich gegen die französische Kolonialmacht, später gegen die Beherrschung durch die in den unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten an die Macht gekommenen Kreise der einheimischen Oberschichten, die vielfach mit in Afrika operierenden ausländischen Konzernen und imperialistischen Metropolen eng verflochten sind.


AMQI

"Al-Kaida im islamischen Maghreb" - ein in ganz Nordafrika und der Sahel-Zone südlich der Sahara operierendes islamistisches Netzwerk, das unter dem Deckmantel des "Dschihad" ("Heiligen Krieges") wiederholt in verschiedenen Staaten Nordafrikas Terroranschläge verübt und westliche Touristen als Geiseln entführt hat, um Lösegeld zu erpressen. Formell angeblich von der einst von Osama bin Laden geführten Al-Kaida unabhängig. Es gibt Hinweise, dass das Netzwerk in Nordafrika unter religiösem Deckmantel auch intensiv Geschäfte mit Waffen- und Drogenschmuggel betreibt.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 15 vom 13. April 2012, Seite 10
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2012