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AFRIKA/1152: Mali - Interims-Regierungschef will Präsident werden, Ankündigung löst Kontroverse aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. November 2012

Mali: Interims-Regierungschef will Präsident werden - Ankündigung löst Kontroverse aus

von Soumaila T. Diarra


Fast 270.000 Menschen sind seit Ausbruch des Konflikts im Norden auf der Flucht - Bild: © William Lloyd-George/IPS

Fast 270.000 Menschen sind seit Ausbruch des Konflikts im Norden auf der Flucht
Bild: © William Lloyd-George/IPS

Bamako, 13. November (IPS) - Westafrikanische Staatspräsidenten haben erneut ihre Entschlossenheit bekräftigt, keinem Mitglied der malischen Übergangsregierung zu erlauben, für die kommenden Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Seitdem wird im Lande selbst eine heftige Debatte darüber geführt, wer sich für das höchste Amt im Staate bewerben soll.

Die Präsidentschaftswahlen sind für das nächste Jahr vorgesehen - nach einer Rückeroberung des Nordens, der derzeit von bewaffneten islamistischen Gruppen besetzt wird. Für den Anfang hat die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), am 11. November in der nigerianischen Hauptstadt Abuja die Bereitstellung von 3.000 Soldaten angekündigt, die die Kontrolle über den Norden wiedererlangen sollen.

Die Entscheidung, Mitglieder der Übergangsregierung nicht als Kandidaten zu den Wahlen zuzulassen, war auf einem Treffen der ECOWAS-Kontaktgruppe für Mali am 7. Juli in Ouagadougou in Burkina Faso gefallen. In Mali wurde ein nationaler Beratungsprozess zur Bekräftigung der Entscheidung eingeleitet. Vorangegangene Gespräche politischer Kräfte waren im April zu einem ähnlichen Entschluss gekommen.

Doch während einer Kabinettssitzung am 31. Oktober kündigte der Interims-Ministerpräsident Cheick Modibo Diarra an, sich für das Präsidentenamt zu bewerben. Er verhinderte die Veröffentlichung eines Kommuniques, das den Mitgliedern der Übergangsregierung untersagt, sich als Kandidaten aufzustellen. Im nationalen Fernsehen räumte Diarra am 10. November ein, kandidieren zu wollen, erklärte aber, dass es noch zu früh sei, um sich in dieser Frage festzulegen.


Malier uneins

Malier sind uneins in der Frage, ob es dem Ministerpräsidenten, dem Interimspräsidenten oder anderen Regierungsmitgliedern verwehrt sein sollte, als Präsidentschaftskandidaten ins Rennen zu ziehen. Diarras publik gemachten Absichten werden auf den Straßen der Hauptstadt Bamako inzwischen heftig diskutiert. In der lokalen Presse wird darüber spekuliert, ob er als Interims-Regierungschef nicht zurücktreten muss, um als Bewerber in Frage zu kommen.

"Der Ministerpräsident ist ein Bürger wie jeder andere. Er hat also das Recht, sich in den nächsten Wahlen als Kandidat aufstellen zu lassen", meint Cheick Koné, ein Englischlehrer aus Bamako, gegenüber IPS. Koné ist wie viele seiner Landsleute der Meinung, dass es unfair wäre, den Interimsregierungschef von dem kommenden Urnengang auszuschließen. "Er kämpft mit schweren Bandagen gegen die Korruption". so der Lehrer. "Allein schon aus diesem Grund sollte er aufgestellt werden."

Oumou Berthé vom Nationalen Bürgergesellschaftlichen Forum ist hingegen der Meinung, dass Diarra die ECOWAS-Position berücksichtigen sollte. Der malische Regierungschef ist mit der Durchführung der nationalen Beratungen zur Klärung dieser Frage betraut. Er wird von einigen Politikern verdächtigt, die Gelegenheit für eigene Zwecke zu nutzen.

"Der Ministerpräsident hat gemerkt, dass er die Macht liebt", meint Boubacar Diarra, ein Aktivist der Vereinigten Front zum Schutz der Demokratie und der Republik. "Er will kandidieren, während seine einstigen Förderer, die Mitglieder der ehemaligen Junta, seine Kandidatur nicht unterstützen."

Die Vereinigte Front war ein erklärter Gegner des Staatsstreichs vom 22. März gewesen, der zum Sturz der Regierung von Präsident Amadou Toumani Touré führte. Das Bündnis weigerte sich zunächst, an den vom Interims-Regierungschef organisierten öffentlichen Beratungen teilzunehmen.

Unzufriedenheit - sowohl innerhalb der Armee als auch in der Bevölkerung - mit der Antwort Tourés auf einen Aufstand im Norden Malis waren der entscheidende Faktor für den Coup gewesen. Doch Splittergruppen haben aus der allgemeinen politischen Instabilität Kapital geschlagen und den Norden des Landes okkupiert.

Der 60-jährige Astrophysiker Diarra, der sich für die ursprünglich im April 2012 geplanten Präsidentschaftswahlen bewerben wollte, wurde am 6. April im Rahmen eines Abkommens zwischen den Putschisten und der ECOWAS zum Interims-Regierungschef ernannt.


Kritik aus der Interimsregierung

Der Wunsch Diarras, an den kommenden Wahlen teilzunehmen, scheint innerhalb der Interimsregierung eine Krise ausgelöst zu haben. Vor Vertretern der politischen Parteien erklärte der Minister für territoriale Verwaltung, Moussa Sinko Coulibaly, der mit der Organisation der Wahlen beauftragt ist und angeblich der ehemaligen Junta nahesteht, er sei gegen eine Kandidatur Diarras. "Man kann nicht Teil der Übergangsregierung sein und gleichzeitig politische Ambitionen verfolgen. Das wird nicht funktionieren, weil (...) wir damit das Risiko eingehen, das Spiel zu verderben", sagte er unlängst.

Auf die Frage nach der Legitimität der Entscheidung, Mitgliedern der Interimsregierung eine Kandidatur zu verweigern, verweist Mahamadou Sangaré, Politologe an der Universität von Bamako, auf die Situation von 1992. "Es gibt einen rechtlichen Präzedenzfall, der auf den Übergang zurückgeht, den Amadou Toumani Touré 1992 nach dem Sturz der Regierung von General General Moussa Traoré vollzogen hatte. Der Präsident des Übergangs und sein Ministerpräsident Soumana Sacko waren damals zu keinem Zeitpunkt als Kandidaten für Wahlen aufgetreten."

Dazu meint Sangaré: "Am Ende des Tages befindet sich der Ministerpräsident in einer Zwickmühle, weil er die Vereinigte Front einerseits doch noch von der Notwendigkeit der Teilnahme an den Konsultationen überzeugt hat, andererseits einen Zusammenhalt innerhalb der Regierung in der Frage der Nichtwählbarkeit von Mitgliedern des Übergangs erreichen muss." (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/11/will-malis-prime-minister-resign/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2012