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AFRIKA/1158: Südafrika - Vom Häuten der Zwiebel (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, September/Oktober 2012

Vom Häuten der Zwiebel

Die Todesschüsse auf Streikende der Platinmine bei Marikana brachten harte Wahrheiten im Südafrika nach Apartheid an den Tag - Wahrheiten, die die neuen Eliten bisher zu ignorieren versuchten.

von Roger Southall



Südafrika ist entsetzt über den gewalttätigen Zwischenfall am 16. August 2012. Er erinnert das Land an seine dunkelsten Tage zu Zeiten der Apartheid. Die Polizei erschoss über 40 Bergleute, die in einer Platinmine in der Nähe von Rustenburg im Norden des Landes arbeiteten. Die Mine gehört dem in London ansässigen Konzern Lonmin (früher Lonrho). Minister und hochrangige Vertreter der Regierungspartei ANC äußern Schock, Empörung und Ratlosigkeit über den Zwischenfall, der als "Marikana-Massaker" durch die Medien ging. Gebetsmühlenartig wiederholen sie, dass es zunächst einmal darum gehen müsse zu verstehen, was zu der Tragödie geführt habe, ehe man "mit dem Finger" auf vermeintliche Schuldige weise. Präsident Jacob Zuma hat mittlerweile eine Untersuchungskommission mit weitreichenden Befugnissen eingesetzt.

Die offiziellen Äußerungen sind - kurz gesagt - eine Mischung aus Überraschung, Verwirrung und schlechtem Gewissen der herrschenden Elite. Aber warum die Überraschung? Die Zeichen an der Wand hätten die Mächtigen schon lange lesen können; allein es fehlte der Wille, sie zu entziffern. Die Tragödie hat sich seit geraumer Zeit angekündigt. Die Untersuchungskommission täte gut daran, den Fall Marikana wie eine Zwiebel Schale für Schale zu enthäuten. Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, dass der Bericht der ANC-Führung noch vor dem Wahlparteitag des ANC im Dezember in Mangaung (Bloemfontein) vorliegen wird.


Die Gewerkschaften

Die erste, äußere Haut der Zwiebel betrifft die Rivalität zwischen der "National Union of Mineworkers" NUM und der "Association of Mineworkers and Construction Union" (AMCU). Die NUM ist die größte Einzelgewerkschaft im Dachverband des "Congress of South African Trade Unions" (Cosatu), der zur Dreierallianz der Regierung mit ANC und Kommunistischer Partei SACP gehört. Die AMCU hat sich 1998 aus der NUM abgespalten. Sie konnte sich in den letzten zwei oder drei Jahren immer stärker in den Vordergrund spielen, besonders in Bergwerken der Platinunternehmen Implats und Lonmin im Platin-Gürtel bei Rustenburg in der Nord-West-Provinz.

Der Aufschwung der AMCU ging auf Kosten der NUM. Das Wachstum nahm rasant zu, nachdem die NUM sich von ihrer Rivalin abzusetzen versuchte, was von den Bossen goutiert wurde, die den Einfluss der AMCU eindämmen wollten. Lonmin informierte die NUM eigenen Angaben zufolge im März 2012 darüber, dass die NUM-Mitgliedschaft in der Belegschaft des Unternehmens auf weniger als 51 Prozent gesunken sei. Dies hieß für die NUM, binnen sechs Monaten die Mitgliedschaft zu erhöhen, da andernfalls der Tarifvertrag mit dem Unternehmen hinfällig würde und neue Verhandlungen mit den Gewerkschaften (unter Einschluss der AMCU) aufgenommen werden müssten. Die Folge war eine aggressive Rekrutierungskampagne der NUM, die von der AMCU mit gleicher Aggressivität beantwortet wurde. AMCU beansprucht eine Mitgliedschaft von rund 20 Prozent, vor allem bei den Steinhauern. Damit sitzt sie bei Arbeitskonflikten mit am Tisch.

Die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften wurde zunehmend gewalttätig. NUM wie Lonmin behaupten, Opfer der Auseinandersetzungen zu sein. Die NUM wähnt sich von Schurken angegriffen, die die Einheit der Arbeiterbewegung schwächen wollen; Lonmin sieht sich als Leidtragende eines gewerkschaftsinternen Streites, dem der Konzern hilflos gegenüber stehe. Die Untersuchungs-Kommission wird gut daran tun, diese Dynamik der Konkurrenz zu analysieren. Eine Analyse dürfte die wachsende Kluft zwischen Arbeitern vor Ort und den Gewerkschaftsfunktionären aufzeigen.

Die NUM ist sich dessen unangenehm bewusst. Seit 1994 befragt sie alle fünf Jahre ihre Mitglieder, wie sie sich von der Gewerkschaft vertreten fühlten. Erst kürzlich hat sie beschlossen, diese Erhebungen alle zwei Jahre durchzuführen. Cosatu-Generalsekretär Zwelenzima Vavi beklagt im Jahresbericht, der Gewerkschaftsverband werde zunehmend von der ANC-Politik vereinnahmt. Zudem wirft er einflussreichen Kräften in der Cosatu (einschließlich Frans Baleni, Generalsekretär der NUM) vor, sich hinter die Kommunistische Partei SACP zu stellen, um die Wiederwahl von Jacob Zuma zum ANC-Präsidenten im Dezember 2012 zu betreiben. Vavis Bericht wurde von der Cosatu-Exekutive abgelehnt. Das war keine Überraschung; denn die Mehrheit der Exekutive fühlt sich von der lauter und immer eindringlicher werdende Kritik Vavis am ANC irritiert. Vavi geißelt vor allem den Korruptionssumpf, gegen den der ANC nichts unternehme.

Von anderer Seite wird der Cosatu vorgeworfen, sie vertrete nur die Interessen der privilegierten Arbeiter in formalen Arbeitsverhältnissen und vernachlässige die der großen Zahl von informell Beschäftigten und Arbeitslosen. Das ist zweifellos unfair, schon allein deshalb, weil der Durchschnittslohn auch der formal Beschäftigten kläglich niedrig ist. Mit diesen Hungerlöhnen müssen sie ihre Familien in der zermürbenden Armut über die Runden bringen.

Dennoch kann man davon ausgehen, dass die interne Politik der Cosatu zunehmend von einer Klassen-Dimension geprägt wird, wogegen auch die NUM nicht gefeit ist; nicht selten sind Gewerkschaftsfunktionäre mehr mit persönlichen Aufstiegschancen befasst als mit den Kämpfen der normalen Mitglieder.

In der Tat entbehrt es nicht der Ironie, dass durch die industriefreundlichen Arbeitsbeziehungen, die unmittelbar nach dem Ende der Apartheid aufgenommen wurden, die Kämpfe der Arbeiterschaft in den Betrieben und Bergwerken aus dem Blick gerieten und die Auseinandersetzungen sich in die Vorstandsetagen verlagerten. Die etablierten Gewerkschafter machen sich selbst in Chefsesseln breit und betreiben Unternehmen. Das öffnet der Bereicherung und Profitorientierung Tür und Tor. So überrascht es nicht, wenn die AMCU Unzufriedenheit, Wut und Frustration gegen jene zum Ausdruck bringt, von denen sie sich im Stich gelassen fühlt, ignoriert von den Mächtigen - nicht nur von Arbeitgebern, Regierung und ANC, sondern auch von der etablierten Gewerkschaftsbewegung. Kein Wunder, dass die AMCU Lohnerhöhungen von rund R 4.000 Rand im Monat auf bis zu 12.000 R sowie ein dreizehntes Monatsgehalt fordert und auf dem Recht eines angemessenen Lebensstandards besteht.


Die Polizei

Nach der Häutung der äußeren Schale stehen wir vor der zweiten: die Polizei und ihr beunruhigender "Apartheid-Stil". Das Fernsehen zeigte Bilder von bewaffneten Polizisten, einige in Tarnanzügen, vor ihnen die protestierenden AMCU-Arbeiter. Sicher, die Arbeiter trugen Pangas, Messer und anderes. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass - wie es die Polizei behauptet - einige mit Gewehren bewaffnet waren und vielleicht sogar die Schießerei begonnen haben, die so verheerende Folgen haben sollte.

Aber das alles war vorhersehbar. Nach der Apartheid-Ära unternahm die Polizei manches, um vom schlechten Image der alten Tage wegzukommen, als die Polizei in den aufständischen Townships patrouillierte und die schwarze Mehrheit der Feind war. Auch jetzt hört man wieder Lippenbekenntnisse mit so netten Begriffen wie Polizeiarbeit im Dienste der Kommune und der Öffentlichkeit. Sicherlich, es ist hart da draußen auf den Straßen. Viele Polizisten kommen gewaltsam um; ihr Lohn ist demoralisierend niedrig. Es gibt durchaus einige Fortschritte hin zu akzeptableren Formen der Polizeiarbeit, aber auch beunruhigende Anzeichen einer Rückkehr zu alten Verhaltensmustern.

Ein Beispiel ist die Verhaftung eines Sonderkommandos der Polizei in KwaZulu-Natal, die das Gesetz in die eigenen Hände genommen hatte. Die beunruhigend hohe Zahl von Todesfällen in Polizeigewahrsam (wenn auch weniger als unter der Apartheid) ist ein anderes Indiz. Das Massaker von Marikana nun zeigt unübersehbar, wie die Polizei sich in Richtung Militarisierung bewegt hat. Im Jahr 2010 forderte der stellvertretende Polizeiminister Fikile Mabalula die Transformation der Polizei in eine paramilitärische Truppe. Schon vorher hatte es eine Kontroverse um Äußerungen des Spitzenpolizisten Bheki Cele gegeben, die als Freigabe des "finalen Schusses" nach Entscheidungslage des jeweiligen Polizisten vor Ort interpretiert wurden. Cele wies diese Auslegung energisch zurück, aber zweifelsohne gaben seine Äußerungen den Ton für eine härtere Gangart der Polizeiarbeit vor. Knallharte Gewaltanwendung bei der Verbrechensbekämpfung wurde zunehmend akzeptabler.

In Marikana behauptete die Polizei, die streikenden Bergarbeiter hätten das Feuer eröffnet. Das mag stimmen. Aber das beantwortet viele andere Fragen nicht, insbesondere nicht den unverhältnismäßigen Einsatz von scharfer Munition. Vielleicht geriet die Polizei in Panik, wie in Sharpeville im Jahr 1960. Es ist von falschen Befehlen die Rede. Was auch immer der Fall ist - das Ausmaß der Abschlachtung ist unverzeihlich. Einige Tage vor "Marikana" wurde berichtet, die Zahl der Protestaktionen in Südafrika läge zwischen dem 1. Januar und dem 31. Juli 2012 höher als in jedem einzelnen Jahr seit 2004. Es scheint, dass die Polizei zunehmend in eine Konfrontation mit der wachsenden Revolte der Armen gebracht wird. "Marikana" ist nur eine weiteres Beispiel.


Die Politiker

Nun nähern wir uns mit der dritten Schale dem Kern der Zwiebel: Das Versagen der Politiker, ihre Weigerung, Verantwortung zu übernehmen. Der Streit bei Lonmin schwelt seit Monaten. Etwa eine Woche vor dem Massaker verstärkte die Leitung den Sicherheitsdienst und rief die Polizei. Zwei Polizisten wurden zu Tode gehackt, offenbar von Anhängern der AMCU. Das Polizeiaufgebot wurde vergrößert. Als der Todeszoll auf zehn Menschen gestiegen war, kam ein hoher Polizeioffizier aufs Gelände; aber immer noch ließ sich kein Politiker sehen. Das machte die Streikenden zusehends wütender.

Am 16. August stand die Polizei vor der Entscheidung, die wachsende Zahl militanter Arbeiter zu entwaffnen. Sie gingen nicht nur mit der üblichen Ausrüstung bei Massenveranstaltungen und Gummigeschossen vor, sondern auch mit scharfer Munition.

Man hätte von den Ministern der Regierung erwarten dürfen, dass sie schlichtend in einen Streit eingreifen, der aus dem Ruder zu laufen drohte. Doch keiner zeigte sich; sie betrachteten die Krise als eine reine Gewerkschaftsangelegenheit. Vielleicht schien es ihnen auch politisch zu gewagt, auf Hoheitsgebiet der Cosatu eine neutrale Haltung zwischen der AMCU und der NUM einzunehmen. Als die Bergwerkskammer im Vorfeld der Tragödie versuchte, die beiden Gewerkschaften an einen Tisch zu bringen, weigerte sich die NUM, mit der AMCU zu reden. Als - wenn auch spät - die Bergbauministerin Susan Shabangu die Parteien zusammenzubringen versuchte, verweigerte ihr Ministerium eine Einladung an die AMCU mit der Begründung, diese sei keine legitime Gewerkschaft.

Nach dem Massaker drängten sich Politiker mit großen Krokodilstränen ins Bild, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, während sie doch tief in der Patsche saßen. Die Krise unterstrich die politische Kluft. Symbolisch zeigte sich das bei den Besuchen von Präsident Zuma und seinem einstigen Schüler und heutigen Feind Julius Malema in Marikana. Zuma war auf einer Konferenz in Maputo, als das Massaker stattfand. Vielleicht konnte er nicht früher kommen. Er kam im Schutz der Dunkelheit, traf sich mit der Firmenleitung und besuchte die Verletzten im Krankenhaus. Seine Antwort war die Ernennung des Untersuchungsausschusses - ein vernünftiges, aber bürokratisches Vorgehen. Es dürfte die streikenden Arbeiter kaum beschwichtigen.

Ganz anders Malema. Er war nach einem Disziplinarverfahren im März vom ANC suspendiert worden, man warf ihm Kampagnen zum Sturz von Zuma vor. Malema reiste von Polokwane ohne formale Autorität an, verweigerte Polizeischutz und ging unbewaffnet und ohne Begleitung auf das große offene Feld, wo die streikenden Bergarbeiter auf ihn warteten. Er stänkerte gegen Zuma, der sich "nicht um die Bergleute kümmert, der letzte Nacht hier war und sich mit Weißen traf" (d.h. der Leitung). "Er sprach mit den weißen Menschen und nicht mit euch. Es waren aber nicht weiße Briten, die getötet wurden, ihr wart es."

Malema wetterte gegen die Polizei, er wetterte gegen Cyril Ramaphosa, den einstigen NUM-Generalsekretär, heute ein reicher Geschäftsmann, der die Disziplinarkommission gegen Malema leitete. Und er wetterte gegen die NUM: "Wenn die Arbeiter Probleme haben, betreibt die NUM ihren Ausverkauf."

Malemas Intervention spricht Bände und könnte noch an Bedeutung gewinnen. Als er aus dem ANC verwiesen und ihm anschließend das Finanzamt wegen seiner höchst fragwürdigen finanziellen Angelegenheiten auf den Hals geschickt wurde, glaubten viele an sein politisches Aus und an einen Sieg für Zuma. Das ist jetzt nicht mehr so klar. Lassen wir kurz mal außer Acht, dass Malemas populistische Politik Südafrika auf dem Weg von Robert Mugabes Simbabwe zu führen droht: Es gibt wohl keinen anderen Politiker in Südafrika, der sich unbewaffnet aufs Schlachtfeld begibt und es lebendig verlässt. Gewiss nicht die Koryphäen der SACP, die sich in Zumas Bett begeben haben und mit Macht seine Wiederwahl betreiben.

Zumas Stellvertreter im ANC, Kgalema Motlanthe - auch er ein ehemaliger Generalsekretär der NUM - hat sich bisher nur zurückhaltend geäußert, ob er gegen Zuma im Mangaung im Dezember antreten wird. Doch in dem Maße, wie Zuma an Ansehen verliert - und viele sagen, ihm laufe auch die Regierung aus dem Ruder - und gleichzeitig Malema die Masse der Armen dem ANC abspenstig macht, dürfte sich der Druck auf Motlanthe erhöhen, seinen Hut als Präsidentschaftskandidat für den ANC in den Ring zu werfen. Immer mehr im ANC sorgen sich um die Überlebenschancen des ANC.


Die Arbeitgeber

Mit der vierten Schale kommen wir zum Kern der Marikana-Zwiebel: Vergangenheit und Gegenwart des Bergbaus. Südafrikas Wirtschaft wurde aufgebaut auf der berüchtigten Überausbeutung von Wanderarbeitern, die aus den Nachbarländern und den Bantustans importiert wurden. Anfang der 1970er Jahre begann sich das zu ändern. Aus wirtschaftlichen und politischen Gründen wurde die Wanderarbeit weitgehend abgebaut oder im Fall von Lesotho stark reduziert. Diese Umstrukturierung der Bergbau-Landschaft gewann nach 1994 an Stoßkraft. Der Goldbergbau verlor massiv, während Platin neben anderen Mineralien für die Außenwirtschaft an Gewicht gewann. Die berüchtigten Hostels, in die die Wanderarbeiter eingepfercht wurden, wurden geschlossen.

Heute rekrutieren die Bergbauunternehmen ihre Belegschaften vornehmlich aus Gemeinden der Umgebung. Viele der Arbeiter leben noch in den elenden Papp- und Blechhütten aus der Zeit der Bantustans. Da die Minen kapitalintensiver betrieben werden, ging die Zahl der Arbeitskräfte dauerhaft zurück. Viele Bergleute werden nur Teilzeit beschäftigt oder von Vermittlungsfirmen zur Verfügung gestellt.

Nun wird niemand die Abschaffung der Hostels beklagen. Doch damit wurden die Bergwerkbetreiber auch von - wenn auch noch so rudimentären - Sozialkosten für Unterbringung, Ernährung, Wasser und Sanitäreinrichtungen entlastet. Diese Kosten fallen nun bei den ohnehin überlasteten Kommunen an, zu einer Zeit, in der die meisten Kommunen vor dem Kollaps stehen.

Vielfach wird angenommen, dass die Bergwerksunternehmen ihr Verhalten nach 1994 zum Positiven verändert hätten. Immerhin haben die großen die "Mining Charta" unterzeichnet, die wunderbare Dinge verspricht. Doch ein Bericht der Bench Marks Foundation, der zufällig kurz vor dem Massaker veröffentlicht wurde, meldet eine riesige Kluft zwischen den vollmundigen Versprechen der Unternehmen und ihrer Praxis. Er weist unter anderem auch darauf hin, dass Einrichtungen für Aus- und Fortbildung fehlen, dass mit der Umwelt Schindluder getrieben wird und es nicht die geringste soziale Versorgung und Vorsorge gibt.

In Fall von Lonmin wurden 2011 über 9.000 Arbeiter entlassen. Mit der Entlassung verloren diejenigen, die sich an Wohnbauprojekten der Firma beteiligt hatten, ihre Anrechte. Lonmin, das wie andere Platin-Unternehmen angesichts der weltweiten Konjunkturabschwächung Einbrüche im Absatz erlebt, begründet ihr Vorgehen mit der schlechten Lage und der Verantwortung gegenüber den Aktionären. Das Management muss sich auch den Vorhalt gefallen lassen, dass es ihm zu pass kommt, dass AMCU und NUM sich gegenseitig an die Gurgel fahren, und dass es sich nicht einer einigen Gewerkschaft gegenüber sieht, der an einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Löhne gelegen ist.

Das Marikana-Massaker fällt in eine Zeit, in der viele Südafrikaner sich zunehmend unbehaglicher fühlen. Sie fürchten, dass die Versprechen von 1994 verblassen und das Land aus der Spur geraten ist. Man kann nur hoffen, dass nun ein Ruck durch das nationale Gewissen geht und jene bloßgestellt werden, die einzig in ausländischen Investitionen um jeden Preis zu Lasten der Arbeiter und deren Lebensbedingungen das Heil sehen. Verlassen darf man sich darauf nicht. Die Tragödie könnte die Ambitionen Zumas auf eine weitere Präsidentschaft untergraben. Aber es sind wohl noch mehr und größere Schocks erforderlich, bevor Regierung und Arbeitgeber tatsächlich ernst machen im Kampf gegen Armut und Ungleichheit.


Der Autor lehrt Soziologie an der Universität von Witwatersrand, Südafrika

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afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
41. Jahrgang, Nr. 5, September/Oktober 2012, S. 10 - 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2012