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AFRIKA/1193: Südafrika - Nach den Streiks... Ratlosigkeit (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2013

Nach den Streiks - Ratlosigkeit

von Benjamin Fogel



Die Streiks der Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Farmen und Plantagen im Westkap sind zu Ende. Jedenfalls in gemeinsamer und organisierter Form. Der Gewerkschaftsverband Cosatu hat am 22. Januar 2013 "auf Rat der Arbeiter" den Arbeitskampf offiziell für beendet erklärt. Im Januar kam es noch zu vereinzelten Aktionen und Zusammenstößen mit der Polizei, die ein Todesopfer forderten. Helen Zille, Ministerpräsidentin im Westkap, forderte darauf hin erneut den Einsatz von Militär. Die Ziele der Streikenden - spürbare Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen - wurden nicht erreicht. Ihr Dilemma ist: Sie sind Spielball von Politik und anderen Interessengruppen.


Der 4. Dezember 2012 zeigte noch einmal eine kurze Wiederbelebung der Streiks und Auflehnung der Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Weinplantagen im Westkap. Zehn Tage hatte man die Arbeitskämpfe eingestellt, die Anfang November begonnen hatten, um Zeit für Verhandlungen zu gewinnen. Sie endeten ergebnislos. Die Arbeiterinnen und Arbeiter im Boland nahmen die Streiks wieder auf. Doch schon am nächsten Tag wurden sie abgeblasen; scheinbar mit Zustimmung aller Beteiligten. Doch dem war nicht so. Wie man heute weiß, war es allein Tony Ehrenreich, Vorsitzender des Gewerkschaftsverbandes Cosatu im Westkap, der das Ende der Streiks ausgerufen hatte - ohne dazu ein Mandat zu besitzen, ohne Rücksprache mit den Sprechern und Vertretern der Streikenden zu halten.

So wurde diese zweite Streikrunde zu einem Desaster, eine Offenbarung der Schwäche, die den Kampf der Farmarbeiter auf Jahre hin zurückwerfen könnte.


Die Hinterstubenpolitik der Gewerkschaft

In keinem Wirtschaftssektor Südafrikas werden die Arbeiterinnen und Arbeiter so ausgebeutet und brutal behandelt wie in der Landwirtschaft. Als sie im November die Arbeit niederlegten, erfuhren sie ihre Macht und die Stärke der Organisation. Dieser Elan ist nun weitgehend gebrochen. Das ist auch eine Folge der Hinterstubenpolitik der Gewerkschaften, die sich schon bei den Auseinandersetzungen an der Platinmine Marikana im August vergangenen Jahres abzeichnete. Wer am 4. Dezember mit den Arbeiterinnen und Arbeitern im Boland sprach, bekam von den Streikenden wie auch von denen, die an ihre Arbeit zurückgekehrt waren, immer dasselbe zu hören: Es gab weder einen Konsens über die Ziele des Streiks noch eine Verständigung zwischen den Unterhändlern der Arbeiter, noch zwischen den Arbeiterinnen und Arbeitern selbst.

Während in der Gegend von Robertson die Mehrheit der gewerkschaftlich Nicht-Organisierten die Arbeit wieder aufgenommen hatte, setzten die Mitglieder von Gewerkschaften wie CSAAWU (Commercial Stevedoring, Agricultural and Allied Workers Union) am Vik Rivier, bei Voorspoed, Wonderfontein und der Farm La Collione ihre Streiks fort. Unmittelbar vor Robertson stießen wir auf eine Gruppe Streikender, die vor der Tankstelle hockten. Sie waren von der Polizei von ihren Streikposten auf der La Collione Farm vertrieben worden. Der Besitzer zahle ihnen nur 65 Rand pro Tag, berichteten sie. Drei Arbeiter waren durch Gummigeschosse verletzt worden. Die Polizei verwies uns auf Nachfrage an einen Vorgesetzten, der, ostentativ mit der Waffe spielend, jegliche Auskunft über den Streik verweigerte.

Wesley Booison, ein Vertrauensmann der CSAAWU, den wir bei Voorspoed interviewten, erzählte uns, seine Gewerkschaft habe vor drei Jahren begonnen, Arbeiter von Voorspoed zu organisieren - gegen den Widerstand des Farmbesitzers, der nicht mehr als magere 69 Rand pro Tag zu zahlen bereit war. Dieser Farmer war eine Woche zuvor bei der Polizei angezeigt worden, weil er gedroht habe, jeden Arbeiter zu erschießen, der sich an seinem Eigentum vergriffe. Die Streikposten auf der Farm hielten Plakate hoch, auf denen sie 150 Rand pro Tag forderten; das sei jedoch "erst ein Anfang".

Ähnliches hörten wir auch am folgenden Sonntag bei einer Versammlung in Ashton. Auch hier war auffällig, dass die entschlossensten und am stärksten politisierten Arbeiterinnen und Arbeiter der Region der kleinen unabhängigen Gewerkschaft CSAAWU angehörten. Eine Fahrstunde weiter liegt De Doorns. Hier lag der Schwerpunkt der Streiks, hier wurde am deutlichsten politisch diskutiert und darum gerungen, welche Forderungen gestellt werden sollen. Lokale Politiker und bis dahin unbekannte Größen der Gemeindeverwaltungen witterten ihre Chance, für ihre Reputation zu werben. Auch nationale Politiker fanden sich bald ein, Gewerkschafter und ewig Kampfbewegte, die neue Mitglieder zu gewinnen trachteten. Die Streiks selbst erlahmten jedoch; viele dachten an Weihnachten und an die Geschenke und kehrten an die Arbeitsplätze zurück. Etwa 6.000 hielten jedoch durch. Die meisten, die aufgaben, waren Festeingestellte, weniger die Saisonarbeiter.

Charakteristisch sowohl in der Region Robertson-Ashton wie in De Doorns war: Die Streikenden wollten sich nicht mit einem Tageslohn unter 150 Rand zufrieden geben; doch die Verantwortungsbereiche und Absprachen zwischen der Arbeiterschaft und ihren Vertretern wurden nie definiert. Im Stadion von De Doorns hatten sich gut tausend Arbeiter versammelt. Die meisten harrten in der Dezemberhitze der Dinge, die da kommen sollten, während viele ihrer Mitstreiter gute Gründe hatten, zu Hause zu bleiben.

Das Erschreckendste bei dieser Versammlung war der Aufruf eines gewissen Sandile Kenny. Im Beisein von führenden Gewerkschaftern forderte er den Tod von Braam Hanekom, sollte er nach De Doorns kommen. Hanekom ist Leiter von Passop. Diese Organisation wurde 2008 als Reaktion auf die fremdenfeindlichen Ausschreitungen gegen Flüchtlinge in Südafrika gegründet. Sie setzt sich für die Rechte dieser Menschen ein, die in Südafrika unter noch schwereren Bedingungen leben als die Einheimischen.

Vor seinem Aufruf stimmte Sandile mit einer Gruppe das unsägliche Lied "Kill the Boers" an. Neben ihm auf der Bühne stand der ehemalige Gewerkschafter Nosey Pieterson. Der leitet heute die Black Association of Wine und Spirit Industrie (Bawsi). Das ist ein Verband, der die Werbetrommel für den ANC rührt und unter seinem Dach sowohl Arbeiter als auch Farmer und Plantagenbesitzer vereinigt. Praktischerweise hält er sich auch eine eigene Gewerkschaft, die Bawusa (Bawsi Agricultural Workers Union of South Africa). Ihr Vorsitzender ist Nosey Pieterson. Tony Ehrenreich von der Cosatu im Westkap traf erst nach dem Aufruf ein. In seiner Rede am Nachmittag rief er nicht direkt zur Beendigung des Streiks auf, sondern stellte zwei zentrale Forderungen in den Raum:

  • gliedert euch in die Cosatu ein, um eure Interessen zu wahren;
  • vertraut auf die Macht und Weisheit eurer Repräsentanten am Verhandlungstisch. Nur sie verfügen über die notwendigen Verbindungen zu den verantwortlichen Ministerien und können Verhandlungen mit höchsten Stellen durchsetzen.

Beide Forderungen wurden mittlerweile an prominenter Stelle angenommen. Das könnte nicht nur den Streik beenden, es gibt vor allem den in der Cosatu assoziierten Gewerkschaften für kommende Auseinandersetzungen einen Machtzuwachs auf Kosten der unabhängigen Gewerkschaften.

Offenkundig ist, dass die Spaltung der Arbeiterschaft sich im Verlaufe der Streiks vertieft hat. Viele der Streikenden hielten es für klüger, die Arbeit wieder aufzunehmen und sich nicht auf einen Streik ohne erkennbares Ende einzulassen. Diese Rücknahme der Eigeninteressen durch die Farmarbeiterschaft ist gerade im Hinblick auf einen Demokratisierungsprozess schwer nachvollziehbar. Damit wurden auch einer aufkeimenden neuen demokratischen und aktiv politischen Kultur unter den Arbeitern in Südafrika neue Steine in den Weg gelegt.

Anstatt einen demokratischen Neustart in den Gewerkschaften zu wagen, gilt das Interesse von Cosatu vornehmlich der Teilnahme an der Regierung und einem Wachstum auf dem Lande, das der Dachverband bisher sträflich vernachlässigt hat. Wie es im Augenblick aussieht, werden die Farmarbeiter und -arbeiterinnen vom Verhandlungstisch und anderen öffentlichen Foren verbannt. Damit wird ein System der Herabwürdigung und Ausbeutung verstetigt, das für die Agrarindustrie so kennzeichnend ist. Hier liegen die wirklichen Probleme, doch es wird geglättet, aber nichts gelöst.


Der Autor arbeitet bei den Political and International Studies der Rhodes University. Seine Schwerpunkte sind Marxismus, Geschichte der politischen Theorien, soziale Bewegungen und Revolution. Pambazuka, issue 609, 5.12.2012

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
42. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2013, S. 11 - 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2013