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AFRIKA/1252: Südafrika - Bröckelnde Loyalität zum ANC (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, August/September 2013

Bröckelnde Loyalität zum ANC

von William Gumede



Die Fragmentierung des African National Congress, der ältesten Befreiungsbewegung Afrikas und der daraus hervorgegangen Partei, hat begonnen. Dieser Prozess hat mit der Unfähigkeit der Partei zu tun, die Armut in Südafrika zu überwinden und Jobs sowie effektive öffentliche Dienstleistungen zu schaffen.


Der ANC hat den Gipfel seiner Wahlerfolge erreicht. Die Parteiführung macht nicht den Eindruck, den Niedergang stoppen und umkehren zu können. Da ist kein Wille zur Selbstreflexion erkennbar, über einen neuen Führungsstil oder neue Ideen nachzudenken.

Bislang wurde immer davon ausgegangen, dass sich der ANC in eine linke und eine zentralistische Fraktion aufspalten würde, wobei der Congress of South African Trade Unions (Cosatu) und die Südafrikanische Kommunistische Partei (SACP) als Linke ihre eigenen Wege gehen würden. Währenddessen würden die Zentralisten, also afrikanische Nationalisten und schwarze Geschäftsleute in Allianz mit Populisten und Afrikanisten, im ANC bleiben. Jetzt kristallisiert sich aber heraus, dass die Fragmentierung des ANC ähnlich wie die Aufspaltung der National Union of Mineworkers (NUM) verlaufen wird. Dort haben sich desillusionierte Mitglieder abgespalten und die Association of Mine Workers Construction Union (AMCU) sowie kleinere Bergarbeitergewerkschaften gegründet.

Kürzlich kündete der vom ANC ausgeschlossene, frühere ANC-Jugendliga-Leiter Julius Malema an, er werde eine neue Partei mit dem Namen Economic Freedom Fighters (EFF) gründen. Im April 2013 bildeten einige Veteranen des früheren bewaffneten ANC-Flügels Umkhonto we Siswe die Partei South Africa First. Bereits 2011 hatten sich Mitglieder der Kommunistischen Partei Südafrikas in der Nord-West-Provinz von der SACP abgespalten und die Lebaleng Communist Party gegründet. Während der Lokalwahlen 2011 hatten sich einzelne ANC-, SACP- und Cosatu-Mitglieder als unabhängige Kandidaten aufstellen lassen. Obwohl die von der früheren Black Consciousness-Aktivistin Mamphela Ramphele neu formierte Partei Agang im strikten Sinn keine ANC-Abspaltung ist, haben sich ihr viele verärgerte ANC-Mitglieder angeschlossen.

Auch im linken Spektrum entstehen kleine Parteien, die desillusionierte ANC-Mitglieder rekrutieren, so die Workers and Socialist Party (WASP). Sie nimmt für sich in Anspruch, nach dem Marikana-Massaker in den Minengebieten Zulauf erhalten zu haben. Nach der Abspaltung des Congress of the People (Cope) vom ANC 2008, die eine Folge der Wahl Jacob Zumas zum ANC-Vorsitzenden war, nahm die Fragmentierung des ANC ihren Lauf. Obwohl der Cope nach internen Machtkämpfen zwischen Mosioua Lekota und Mbhazima Shilowa im Chaos versank, ist damals ein unsichtbarer Wall gebrochen. Für ANC-Mitglieder wurde es jetzt akzeptabel, ein politisches Leben außerhalb des ANC zu suchen. Zwar inszenierte sich der ANC nach der Wahl Jacob Zumas als ANC-Präsident auf dem Parteikongress in Mangaung im Dezember 2012 als Einheit, dennoch hat Zuma die Unterstützung etlicher Mitglieder und der Parteibasis verloren. Viele ANC-Zweige auf Provinzebene distanzieren sich von zentralen Entscheidungen Zumas oder weigern sich sogar, diese umzusetzen.

Viele ranghohe ANC-Vertreter, die Ambitionen auf das Präsidentenamt oder einen Stellvertreterposten hatten und in Opposition zu Zumas Wiederwahl traten, gehen nun leer aus. Dazu zählen Tokyo Sexwale, Minister für Hausbau und Siedlungen, Mathews Phosa, früherer ANC-Schatzmeister, Fikile Mbalula, Minister für Sport, Kgalema Mothlanthe, stellvertretende ANC-Vorsitzender, und Zwelinzima Vavi, Cosatu-Generalsekretär. Die ANC-Parteiführer inklusive Zuma scheinen akzeptiert zu haben, dass sie viele Mittelschichtvertreter verlieren. Deshalb zweifeln sie kontinuierlich die Loyalität der schwarzen Mittelschicht an.

Wenn alle marginalisierten ANC-Funktionäre und Mitglieder sich zusammenraufen würden, könnten sie eine mächtige Opposition bilden. Sie könnten eine halbherzige Kampagne für den ANC im Vorfeld der nationalen Wahlen 2014 durchführen, die den Erfolg der Partei schwächen würde. Wir haben einen Wendepunkt erreicht, bei dem die Kluft zwischen der ANC-Spitze und der Bevölkerung so tief geworden ist, dass selbst ANC-Mitglieder, die eine große Affinität zur Partei haben, sich nicht mehr mit ihr oder der Führungsriege identifizieren. Hinzu kommt, dass sich viele ANC-Funktionäre nicht parteikonform verhalten. Sollte sich der Gewerkschaftsbund Cosatu weiter aufspalten, würde das zusätzliche Einschnitte für den ANC bedeuten. In Südafrika beginnt eine Zeit politischer Neuordnungen, mit denen die ANC-Mehrheit sich drastisch reduzieren könnte.



Der Autor ist südafrikanischer Politikwissenschaftler

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
42. Jahrgang, Nr. 4, August/September 2013, S. 17
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2013