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AFRIKA/1357: Digitalisierung als Zukunftsvision in Kenia (Spektrum - Uni Bayreuth)


Spektrum 2/2015 - Universität Bayreuth

Digitalisierung als Zukunftsvision in Kenia
Vom mobilen Geldtransfer bis zur Techno-Utopie

von Johanna Riess


Beim Stichwort "Digitalisierung" denken die meisten Menschen hierzulande an die rasanten technologischen Fortschritte in den Ländern des globalen Nordens. Damit verbindet sich häufig die Vorstellung, die Länder des globalen Südens seien von dieser Entwicklung durch eine 'digitale Kluft' abgekoppelt. Doch eine solche Aufteilung der Welt wird mehr und mehr in Frage gestellt - durch immer preisgünstigere Computergeräte und verbesserte mobile Technologien, aber auch durch die Verlagerung von Innovationszentren. In Kenia, dem wirtschaftlich stärksten Land in Ostafrika, lassen sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts intensive Anstrengungen auf Seiten der Politik beobachten, für die kenianische Gesellschaft eine digitale Zukunftsvision zu entwickeln.


Geschichtliche Aspekte

Anfänglich waren es in Kenia vor allem Entwicklungshilfeorganisationen und einzelne Ministerien, die Zugang zu Computern hatten. Doch seit Mitte der 1990er Jahre entstanden öffentliche Internetcafés und Computerlabs in Schulen, so dass sich die Computer- und Internetnutzung auch in der Bevölkerung verbreitete. Allerdings vertrat die Regierung unter Staatspräsident Daniel Arap Moi (1978-2002) eine klare Anti-Computer-Haltung. Man befürchtete Arbeitsplatzverluste durch Computerisierung, Online-Kriminalität und Pornografie. Die Import-Zölle waren so hoch, dass sich kaum ein Privathaushalt einen Computer leisten konnte.

Erst unter Staatspräsident Mwai Kibaki (2002-2013) begann sich diese Anti-Haltung gegenüber digitalen Technologien grundsätzlich zu verändern. Die von seiner Regierung entwickelte Vision 2030 war ein Plan zur Wohlstandsentwicklung mit dem Ziel, Kenia bis 2030 in ein "Middle-Income-Country" zu verwandeln. Die Vision 2030 kann als Utopie einer neuen, sicheren, sauberen und - vor allem in ökonomischer Hinsicht - besseren kenianischen Gesellschaft verstanden werden. Die Digitalisierung der kenianischen Gesellschaft war Teil dieser Utopie und wurde zugleich als Wegbereiter dieser Entwicklung verstanden. Die Phase der Industrialisierung sollte übersprungen werden, um durch digitale Technologien neue Möglichkeiten der Wohlstandsgewinnung zu eröffnen. Als Vorbilder galten dabei Länder wie Indien, Costa Rica oder Mauritius.


M-pesa: eine kenianische Innovation

Warum setzte die Regierung Kibaki so entschieden auf das Potenzial einer 'digitalisierten Gesellschaft'? Ein wesentlicher Grund waren die Erfolge, die Mobilfunkfirmen wie Safaricom und Celtel zu diesem Zeitpunkt bereits in Kenia zu verzeichnen hatten. Als Safaricom im Jahr 2007 das mobile bargeldlose Bezahlsystem M-pesa auf den Markt brachte, gewann die digitale Erfolgsstory in Kenia weiter an Fahrt. Die Wortschöpfung "M-pesa" setzt sich zusammen aus "M" für Mobil und "pesa", dem Swahili-Wort für Bargeld. M-pesa ist ein System, das über Mobiltelefone einen bargeldlosen Zahlungsverkehr und Geldtransfer ermöglicht. Ein eigenes Bankkonto ist dafür keine notwendige Voraussetzung. Jeder Nutzer kann bei einem M-pesa-Händler Geld auf das Handy einzahlen. Dieses Guthaben kann dann nach Belieben zum Einkaufen in Supermärkten oder zum Bezahlen von Rechnungen verwendet oder auch auf Handys von Freunden und Verwandten weitergeleitet werden.

In nur wenigen Jahren ist in Kenia ein landesweites dichtes Netz von M-pesa-Händlern entstanden. Viele Supermärkte, Straßenkioske, Internet-Cafés und Tankstellen besitzen M-pesa Lizenzen des Mobilfunkanbieters Safaricom. So wird der M-pesa Service fast flächendeckend in ganz Kenia angeboten. Viele Menschen in Kenia bezahlen auf diesem Weg fast alle ihre anfallenden Rechnungen, wie zum Beispiel für den Wasser- oder Stromverbrauch. Safaricom - heute die größte kenianische Mobilfunkgesellschaft - erklärte 2014, dass es in Kenia 19,3 Millionen M-pesa-Nutzer gebe. Dies sind 45 Prozent der rund 43 Millionen Einwohner des Landes. [1] Nach Angaben der kenianischen Zentralbank entsprach die Summe aller Geldbeträge, die zwischen Juni 2013 und Juni 2014 per M-pesa transferiert wurden, 39 Prozent des kenianischen Bruttoinlandsprodukts. [2]


Das Digitale im Politischen

Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2013, als Mwai Kibaki nicht wieder kandidierte, gewann die Idee der "Digitalisierung" der kenianischen Gesellschaft eine erneute Schubkraft. Sie hatte dabei längst nicht mehr eine rein technische Bedeutung, sondern wurde geradezu als Inbegriff eines gesellschaftlichen Lebensstils propagiert. "Being digital" lautete das Schlagwort. Präsidentschaftskandidat Uhuru Kenyatta, der Sohn des ersten kenianischen Staatspräsidenten Jomo Kenyatta (1964-1978), und sein politischer Mitstreiter William Ruto von der Partei "The National Alliance (TNA)" präsentierten sich während des Wahlkampfes als "The Digital Team". Um das darin ausgedrückte Versprechen einer Politik der Digitalisierung polemisch zuzuspitzen, wurde das Team des politischen Gegners Raila Odinga - er gehört dem Orange Democratic Movement (ODM) an - als "analogue team" betitelt. Alle Kandidaten, die sich 2013 um das Amt des Staatspräsidenten bewarben, hatten einen Facebook Account. [3]

Nachdem Uhuru Kenyatta und sein "Digital Team" gewählt worden waren, nutzten sie Facebook und Twitter, um weiterhin über ihre politischen Aktivitäten zu berichten. So wurde die neue Regierung von vielen als wirklich digital wahrgenommen - nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch im Sinne eines avancierten politischen Stils. Es kam dem neu gewählten Staatsoberhaupt dabei zugute, dass er der jüngste Präsident Kenias war, seit sein Vater das Land in die Unabhängigkeit geführt hatte. Bislang ist es ihm nicht gelungen, allen Wahlkampfankündigungen gerecht zu werden. Doch wurde die Idee des "being digital" zu einer neuen Identifikationsmöglichkeit für jüngere Generationen, die darin weiterhin ein Versprechen für eine andere, bessere Zukunft sehen.


E-Governance gegen Korruption und für mehr Service

Ein zentrales Problem in Kenia ist die weitverbreitete Korruption im Bereich der Regierungsservices, zum Beispiel in Verwaltungseinrichtungen oder bei der Polizei. Die Regierung verfolgt daher die Idee der E-Governance. Dadurch will sie einerseits die Korruption im öffentlichen Sektor zurückdrängen und andererseits den Bürgern mehr Service in kürzerer Zeit bieten. Von zentraler Bedeutung sind dabei öffentliche Zentren, die mit dem Swahili-Wort für "Service" als "Huduma Centers" bezeichnet werden. [4]

Diese Zentren fassen Services verschiedenster Regierungsstellen, die sich in der Regel auf räumlich weit verstreute Gebäude verteilen, unter einem Dach zusammen. Dazu zählen beispielsweise Anträge auf Geburtsurkunden, Führerscheine oder Personalausweise. Die Antragsteller können den Status ihrer Anträge über ihre Handys nachverfolgen; manche Anträge können sogar vollständig online gestellt werden. Die Huduma Centers sollen andere öffentliche Servicebüros der Regierung nicht ersetzen, aber ergänzen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten scheinen sie jetzt gut funktionierende Dienstleistungen anzubieten und wurden bereits mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet.


Konza City: eine Stadt der Zukunft

Das größte techno-utopische Projekt zur Digitalisierung der kenianischen Gesellschaft ist "Konza City" - ein Projekt, das von der Regierung unter Staatspräsident Kibaki konzipiert wurde. 60 Kilometer südlich von Nairobi sollte auf mehr als 20.000 Quadratkilometern eine ganz neue Stadt entstehen: eine afrikanische/kenianische Antwort auf das Silicon Valley in Kalifornien. "Silicon Savannah" sollte 200.000 Arbeitsplätze schaffen und ein ökonomischer Motor für eine von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien geprägte Stadt mit hohem Lebensstandard sein. [5] Die kenianische Regierung verstand sich in erster Linie als Ermöglicher dieser Vision und sah ihre Zuständigkeit darin, für die nötige Infrastruktur wie Straßen, Wasserleitungen, Strom und einen Schnellgeschwindigkeitszug zu sorgen. Konza City selbst sollte jedoch vorrangig von privaten Investoren errichtet werden.

Mit einer feierlichen Grundsteinlegung wurde das Konza City-Projekt im Januar 2013 von Mwai Kibaki eröffnet. Doch wenig später endete seine Amtszeit. Seitdem hat sich auf dem Gelände von Konza City nichts mehr getan. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung unter Uhuru Kenyatta das Großprojekt in die Tat umsetzen wird. In jeden Fall bleibt Konza City ein starkes Signal für den politischen Willen, die kenianische Gesellschaft neu zu gestalten. Als techno-utopisches Flaggschiff einer digitalen Vision für Kenia steht das Projekt für den Versuch, dem Land eine Zukunft zu eröffnen, die nicht vom Streben nach Industrialisierung geprägt ist, sondern auf Information und Wissen basiert.



Johanna Rieß ist Junior Fellow der Bayreuth International Graduate School of African Studies (BIGSAS) und arbeitet hier an einer Dissertation über Internet- und Computeraneignung in Kenia. Insgesamt zehn Monate lang hat sie bei Feldforschungen in Nairobi eine Vielzahl von Kontakten geknüpft.


Anmerkungen:

[1] www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Kenia_node.html,
aufgerufen am 19.11.2015.

[2] Siehe dazu den von Anja Bengelstorff auf der Homepage von "Credit Suisse" am 5. August 2015 veröffentlichten Beitrag "A Global Success from Kenya":
www.credit-suisse.com/ch/en/news-andexpertise/banking/articles/news-and-expertise/2015/08/en/a-global-success-from-kenya.html,
aufgerufen am 19.11.2015.

[3] Die Intensität der Nutzung variierte stark unter den Präsidentschaftskandidaten. Maratha Karua von der National Rainbow Coalition (NARC), die erste weibliche Präsidentschaftskandidatin Kenias, veröffentlichte als erste unter den Bewerbern ein eigenes Profil auf Facebook.

[4] Vgl. den Bericht vom 7. November 2013 über die Eröffnung des ersten Huduma Centers durch Präsident Kenyatta:
www.kenyaweeklypost.com/modules.php?name=News&file=article&sid=4300,
aufgerufen am 19.11.2015.

[5] Vgl. den Artikel von Präsident Mwai Kibaki: Why I believe in Konza Technology City, in der kenianischen Tageszeitung "The Standard" am 25. Januar 2003.

*

Quelle:
Spektrum-Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 2 - November 2015, Seite 74-77
Universität Bayreuth
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Spektrum erscheint ein- bis zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2016

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