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AFRIKA/1413: Frauen und die Parlamentswahlen in Kenia (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 142, 4/17

Die Grenzen des Patriarchats
Frauen und die Parlamentswahlen in Kenia

von Anaïs Angelo


Am 26. Oktober 2017 wurden zum ersten Mal in der kenianischen - und afrikanischen - Geschichte Präsidentschaftswahlen wiederholt. Die Resultate des Wahlgangs, der am 8. August abgehalten worden war und den Präsident Uhuru Kenyatta für sich reklamierte, wurden vom Höchstgericht aufgehoben, nachdem Oppositionschef Raila Odinga(1) die Wahl angefochten hatte. Während der vermeintliche Sieg Kenyattas eine Kontinuität der Präsidentschaft bedeutet, lassen die lokalen und regionalen Wahlresultate der Parlamentswahlen - deren Wahl nicht wiederholt wird - auf große politische Veränderungen schließen. Zum ersten Mal wurden drei Frauen in ein Gouverneursamt gewählt - eine historische Entwicklung. Gleichzeitig verloren 79% der 2013 ins Parlament gewählten Frauen ihr Amt wieder. Diese beiden bemerkenswerten Resultate weisen auf die vielen Hindernisse hin, mit denen Frauen in Kenias Politik noch immer zu kämpfen haben.


Frauen in Kenias Politik

Die Rolle von Frauen in Kenias Politik ist ein rezentes Phänomen und vielleicht aus diesem Grund immer noch fragil. Im Jahre 1963, als Kenia die Unabhängigkeit erlangte, wurde keine einzige Frau in das neue Parlament gewählt. Sechs Jahre später, 1969, zogen zwei Frauen (eine wurde gewählt, die andere nominiert) ins Parlament ein. Trotz einer geringen Steigerung von weiblichen Abgeordneten in den folgenden Jahrzehnten und dem politischen Aufstieg einiger aufstrebender Frauen wie Wangari Mathaai und Charity Ngilu, die 1992 und 1997 Präsidentschaftskandidatinnen waren, wurden 2002 nur vier Frauen zu Abgeordneten ins Parlament gewählt.

Die politische Landschaft hat sich 2010, nach der Verabschiedung der Verfassungsreform zur Dezentralisierung, stark verändert. Diese Reform stärkte regionale und lokale Behörden mit dem Ziel, den nationalen Zusammenhalt zu fördern und die sogenannte imperiale Präsidentschaft zu demokratisieren. Der Senat wurde wiedereingeführt (er war im Jahr 1966 abgeschafft worden), und es wurden die Befugnisse der regionalen Gouverneur_innen und der Vertreter_innen der County Assemblies erweitert. Diese Reformen hatten einen positiven Einfluss auf die Rolle von Frauen in Kenias Politik. Im Jahr 2013 wurden 65 Frauen ins Parlament gewählt. Obwohl die Wahlen im August 2017 die Rolle von Frauen in der Politik bestätigt haben, zeigen die Ergebnisse nur einen Teil der Realität. Wie die kenianische Journalistin Dorothy Otieno kurz nach der Wahl erklärte, waren die Kandidatinnen erfolgreicher als ihre männlichen Amtskollegen: 40% der Frauen, aber nur 20% der Männer, die sich um ein Gouverneur_innenamt bewarben, wurden gewählt. Auch im Senat, in den drei Frauen und 44 Männer gewählt wurden, sind Frauen jetzt sichtbarer: In die County Assemblies, die durch die Dezentralisierungsreform an Attraktivität gewannen, wurden mehr als hundert Frauen gewählt. Ins 289 Abgeordnete zählende Parlament zogen 22 Frauen ein - mehr als 2007, als nur 16 Frauen gewählt worden waren, doch deutlich weniger als die 65 weiblichen Abgeordneten, die ab dem Jahr 2013 im Parlament saßen.


Regierungsnahe Politikerinnen

Viele Frauen, die gewählt wurden, so Dorothy Otieno, hatten schon lange und teilweise kontroversielle politische Karrieren hinter sich. Unter den drei 2017 gewählten Gouverneurinnen sind zwei ehemalige Regierungsvertreterinnen, Anne Waiguru und Charity Ngilu. Waiguru, eine Vertraute Uhuru Kenyattas, wurde im April 2013 als Kabinettssekretärin des Dezentralisierungsministeriums (Ministry for Devolution and Planning) nominiert. Während ihrer Amtszeit stand sie im Zentrum eines riesigen Finanzskandals. Sie wurde beschuldigt, Millionen aus dem National Youth Service Programme gestohlen zu haben.

Auch Charity Ngilu blickt auf eine umstrittene politische Karriere zurück. Als sie im Jahr 1997 für die Präsidentschaft kandidierte, erhielt sie 7,89% der Stimmen - ein Rekord. Als Mitglied der Regierung Kenyattas von 2013 bis 2015 war sie Kabinettssekretärin des politisch heiklen Landministeriums, wo sie versuchte, gegen Korruption und Land Grabbing vorzugehen, und schließlich selbst der Korruption beschuldigt wurde. Für die Wahlen 2017 ist sie der Partei von Oppositionsführer Raila Odinga beigetreten. Diese zwei Karriereprofile zeigen, wie schwer es ist, eine Frauenpolitik außerhalb des Machtzirkels der Regierung, die von männlichen Politikern dominiert wird, zu etablieren. Es ist sogar so, dass alle bisherigen kenianischen Regierungen versucht haben, politische Frauenverbände zu vereinnahmen. Die mächtige Frauenorganisation Maendeleo ya Wanawake gilt seit der Unabhängigkeit des Landes als das Mittel der Regierungen, um Wählerinnen zu erreichen. Obwohl andere Frauenorganisationen existieren, haben sie es bisher nicht geschafft, ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Ein paar Monate vor den Wahlen im August 2017 klagte die kenianische Anwältin Marily M. Kamuru, dass die Medien kaum über die unabhängige und unparteiische National Convention der Frauen berichtet hätten. Doch auch die Unterstützung so mächtiger Organisationen wie Maendeleo ya Wanawake genügen oft nicht, um Machtpositionen zu erhalten. Schon 1992 wurde die ehemalige Abgeordnete für die Coast Region, Marere wa Mwachai, die von der Organisation unterstützt worden war, abgewählt. Ein Vorwurf, der ihr später gemacht wurde, war, dass sie nach den Wahlen auf Frauen, ihre größte Wählerschicht, vergessen hätte. Auch die Wahlen im August 2017 haben leider gezeigt, dass die Rolle von Frauen in der Politik immer noch fragil und unsicher ist, da 79% der weiblichen Abgeordneten ihren Sitz im Parlament wieder verloren haben.


Patriarchale Macht

Patriarchale Strukturen sind weiterhin mächtig und der politische Raum für Politikerinnen wie auch für Wählerinnen umkämpft. Laut Katherine Houreld, Journalistin bei Reuters, wurden viele Kandidatinnen vor und nach den Wahlen im August 2017 öffentlich beleidigt oder auch gewaltsam angegriffen. Diese Gewalt schreckt viele Frauen davon ab, in die Politik zu gehen, und kann eine Erklärung dafür sein, warum diese immer noch von Männern dominiert wird. Maina wa Mutonya nennt es eine "patriarchalische Grammatik", die Macht und Männer verknüpft.

Es sieht so aus, als ob der Ausspruch des ersten Präsidenten Kenias, Jomo Kenyatta, Vater des heutigen Präsidenten Uhuru Kenyatta, immer noch präsent ist: Frauen seien für Machtpositionen ungeeignet. Fast 50 Jahre danach hatte Uhuru Kenyatta einen Gesetzesentwurf, der die Geschlechtergleichstellung im Parlament etablieren sollte, mündlich befürwortet, doch nie erlassen. Obwohl der Ausgang der Präsidentschaftswahlen schwierig einzuschätzen ist, zeigen die Resultate der Parlamentswahlen im August keine Zeichen einer Veränderung dieser Situation. Im komplexen Zusammenspiel von Patriarchat, politischem Kalkül und politischen Emanzipationsbestrebungen von Frauen können Wahlen nur der Auftakt einer tieferen gesellschaftlichen Transformation sein, die sicherlich noch aussteht.


Zur Autorin:
Anaïs Angelo kommt aus Frankreich und ist Postdoc am Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien. Sie forscht über Gender und Afrikanische Politik.


Anmerkung:
(1) Der Oppositionsführer Raila Odinga hat am 9. Oktober seine Kandidatur zur neuerlichen Präsidentschaftswahl zurückgezogen.

Webtipps:
http://www.nation.co.ke/oped/Opinion/women-convention-political-power/440808-3868592-6nsvsi/index.html
https://theconversation.com/kenyas-parliament-continues-to-stall-on-the-two-thirds-gender-rule-79221
http://africanarguments.org/2017/08/18/kenya-voted-for-change-and-got-it-at-the-local-level-elections/

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Quelle:
frauen*solidarität Nr. 142, 4/2017, S. 24-25
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2018

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