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AFRIKA/701: Globalisierung und ethnische Konflikte (IPPNWforum)


IPPNWforum | 113 | 08
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des
Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Globalisierung und ethnische Konflikte
Was kann eine Mobilisierung von unten bewirken?

Von Dr. Neville Alexander


Der Prozess der Globalisierung hat einen neuen Aufschwung der panafrikanischen Einheit ermöglicht. Die gegenwärtigen Versuche der politischen Führungskräfte des Kontinents, die in Misskredit geratenen Strukturen und das Funktionieren der Organisation für Afrikanische Einheit aufzupolieren und eine neue Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinentes zu entwickeln, resultieren aus der Erkenntnis, dass unregulierte Kapitalflüsse und andere Aspekte der "Globalisierung", die Tendenz zur Stagnation und den Rückfall in die Barbarei, in dem der Kontinent heute steckt, für immer festschreiben werden.

In einer schockierend ehrlichen und sezierenden Analyse der afrikanischen Situation, demonstrierte Colin Leys vor fast 15 Jahren, dass das koloniale Erbe viele Jahre und eine Kombination von unwahrscheinlichen Entwicklungen benötigen wird, um beseitigt werden zu können. Er unterstreicht besonders die Tatsache, dass unter kolonialer Herrschaft "die häusliche Produktion von Waren die häusliche Produktion von Verbrauchsgütern zum Lebensunterhalt und lokalem Tausch ersetzt hat..." und dass dies resultierte in der Zerstörung der "vorkolonialen Ökonomien und der sozialen Ordnung auf der sie beruhten, ohne sie durch Ökonomien oder soziale Systeme zu ersetzen, die fähig sind, sich gegen die 'weltweiten Marktmächte' nach der Unabhängigkeit zu verteidigen". Fünf Jahre später beschreibt er zusammen mit John Saul das Afrika südlich der Sahara (ohne Südafrika) als einen Ort, wo es "einiges Kapital aber keinen Kapitalismus" gäbe. Das Scheitern des postkolonialen afrikanischen Staates und die ursprünglich populistische Orientierung der meisten afrikanischen Regierungen nach der Unabhängigkeit gipfelte in dem dominogleichen Zusammenbruch der meisten von ihnen, ausgelöst durch die Ölpreiskrise Mitte der siebziger Jahre. Die strukturellen Anpassungsverordnungen der Bretton Woods Institutionen, die die Ökonomien dieser Staaten wieder gesund machen sollten, verschlimmerten bekanntermaßen ihren Zustand und katapultierten die meisten von ihnen in die Schuldenfalle, in der sie bis heute sitzen.

Heute gibt es kaum einen Publizisten oder Analytiker, der nicht die Marginalisierung des Kontinentes beschreibt und beklagt. Es ist unvermeidlich, dass Lösungsvorschläge schwanken zwischen der Akzeptanz einer Art Rekolonialisierung des Kontinents mit einer effektiven Regierung und dem Fällen von Entscheidungen vom Sitz der Hauptstädte des Nordens aus, und dem, was als "ein gemeinsames Selbstvertrauen in eine wirtschaftliche Erholung und Wachstum" bezeichnet wird. Die Grundzüge als auch die Einzelheiten dieses Programms der "Afrikanischen Renaissance" sind bereits in einer langen Reihe von Studien vorskizziert worden, die sowohl von afrikanischen als auch von UN-gestützten Forschungsinstituten und Beraterstäben vorgenommen wurden. Das schmälert aber nicht den Kredit, den man Präsident Mbeki geben muss.

Es ist wenig überraschend, dass der Auslöser für die Erneuerung des Kontinents vom neuen Südafrika ausgegangen ist. Angesichts der Marginalisierung von Afrika ('dem vergessenen Kontinent'), die nur als ein de facto Abhängen von der Weltwirtschaft bezeichnet werden kann, wurde der kapitalistischen Klasse in Südafrika die Möglichkeit geschenkt, praktisch ungestört durch irgendwelche desillusionierten und nervösen Investoren im Norden in das "Afrikanische Hinterland" einzuziehen. In diesem Zusammenhang zwingen sich einem die demoralisierenden Worte von Colin Leys auf: "...wenn sich die globalen wirtschaftlichen und politischen Mächte, die auf Afrika einwirken, nicht radikal ändern, ist ein großer, wenn nicht sogar der größte Teil des Kontinents verurteilt zu einem weiteren Niedergang, materieller und moralischer Degradierung und Leid. Das soll nicht heißen, dass keine Region des Kontinentes, zumindest für eine Weile, ein Punkt für die Akkumulation von Kapital werden kann - dort wo es Ressourcen an Interesse an Kapital allgemein gibt und wo lokale Klassenmächte dazu im Stande sind, sich einige der Überschüsse, die aus der Ausbeutung dieser Ressourcen gewonnen werden, anzueignen, und die die Fähigkeit und Absicht haben, diese als Kapital für lokale Investition zu verwenden, und die in der Lage sind, politische Bedingungen zu schaffen, unter denen sie es vergrößern können."

Es ist eine der Paradoxien der Welt nach dem Mauerfall, in der die Anziehungskraft Osteuropas als ein Investitionsziel so unwiderstehlich für Investoren aus dem Westen wurde, dass die dadurch wachsende Marginalisierung Afrikas in der Weltwirtschaft eine historische Gelegenheit für südafrikanisches Binnenkapital darstellte. In einer der jüngsten Analysen dieses Prozesses, spüren Daniel et al (2003) die kolonial-apartheidlichen Ursprünge der Dominanz des südafrikanischen Großkapitals in Südafrika auf und entschlüsseln die Tiefe und das Gewicht des Eindringens südafrikanischer Firmen und Unternehmen in das kontinentale "Hinterland" in der Nach-Apartheidzeit. Ein flüchtiger Blick auf die Literatur zeigt, dass südafrikanische Unternehmen das nationale Eisenbahnnetz in Kamerun, die nationale Elektrizitätsgesellschaft Tansanias und die Flughäfen, die in oder in der Nähe von sieben afrikanischen Hauptstädten gelegen sind, betreiben. Sie halten die Aktienmehrheit von Telecom Lesotho und sind die führenden Anbieter von Handynetzdienstleistungen in Nigeria, Uganda, Swasiland, Tansania, Ruanda und Kamerun. Südafrikanische Unternehmen leiten Kraftwerke in Simbabwe, Sambia und Mali, bauen Straßen und Brücken in Malawi und Mosambik, und eine Gaspipeline zwischen Offshore-Ölbohrinseln in Mosambik und Südafrika. Sie kontrollieren Banken, Brauereien, Supermärkte und Hotels auf dem ganzen Kontinent und liefern Fernsehprogramme in mehr als die Hälfte aller afrikanischer Staaten.

Bei dieser Analyse sollte man nicht vergessen, dass der Übergang zu einer liberalen und demokratischen Verfassung in Südafrika zum Großteil das Ergebnis der Erkenntnis (seit Mitte der siebziger Jahre) der größten kapitalistischen Unternehmen in Südafrika ist, dass die ideologischen und institutionellen Fesseln des Apartheid-Paradigmas ihre eigene Expansion verhindert haben.

Wir werden mehr und nicht weniger von der "Revolution wachsender Frustrationen" sehen, die typisch für den afrikanischen Kontinent während der Zeit der Globalisierung nach 1973 war - so wie die IMF-Unruhen, ethnische Konflikte, Bürgerkriege, Fremdenfeindlichkeit und - am vernichtendsten - der Genozid, gezeigt haben. Die Diskussion über radikale Alternativen zu den vorgegebenen Kursen, die angeblich unausweichlich von der "Globalisierung" bestimmt werden, stecken noch in den Kinderschuhen. Obwohl das Weltsozialforum, als eine Art Anti-Davos, einen Raum geschaffen hat, in dem alle möglichen Alternativen geschaffen und erörtert werden können - unter dem Slogan: Eine andere Welt ist möglich - auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen, aber untereinander verbundenen geografischen und politischen Räumen. Tatsächlich ist dies das erste Mal in der Geschichte des Kampfes, dass eine wirklich internationale, globale Bewegung gegen das kapitalistische System entstanden ist. Es ist nicht eine Bewegung für eine sozialistische Alternative aber sie stellt ein Podium dar, von dem aus diese Alternative, wie nie zuvor, gefördert werden kann.

Solange die Gegner der Globalisierung dazu gezwungen sind, innerhalb der Parameter des kapitalistischen Systems zu argumentieren, wird es ihnen auf der Wirtschaftsebene nicht möglich sein, über taktische Anpassungen an die gegenwärtige hegemoniale Politik hinauszugehen. Das heißt, eine stärkere Einmischung durch den Staat, größere Haushaltsdefizite und einige andere klassische keynesianische politische Werkzeuge sind alles, was sie gegen die neoliberalen Annäherungsversuche unternehmen können. Dies sollte jedoch nicht belächelt werden, da es zumindest zeigt, dass es in der Tat Alternativen gibt, auch wenn diese nicht weltverändernd sind.

Es ist jedoch klar, dass der lange Weg zu einer anderen Welt woanders beginnen muss. Welche länderübergreifenden und taktischen Forderungen auch immer zu Gunsten der Armen und Enteigneten der Welt erhoben werden - und jede Reform, die die Lebensbedingungen der Enteigneten und Armen verbessert, muss unterstützt werden - werden sie doch nur legitim, wenn sie im Kontext und zur Förderung von langfristigen Programmen radikaler sozialer Veränderung gemacht werden. Heute sind wir gegenüber monistischen Entwürfen skeptisch geworden, die mit einem fundamentalistischen Satz von Formeln stehen oder fallen. Wir bevorzugen da eher die einfache Logik des verstorbenen Ernest Mandel. Er stellte bei einem erinnerungswürdigen Besuch in Südafrika kurz vor dem Ende des Apartheidregimes fest, dass zu Beginn des neuen Jahrtausends das sozialistische Programm biblisch in seiner Einfachheit sei, da es sich im Wesentlichen nicht von den Forderungen der Bergpredigt unterscheide. Wir streben nach einer Welt, sagte er, in der folgende Forderungen verwirklicht werden können: Speisung der Hungrigen, Bekleidung der Nackten, Unterbringung der Obdachlosen und Sorge für die Alten, die Jungen und die Kranken.

Der Punkt ist natürlich, dass diese Situation nicht einmal in den fortschrittlichsten kapitalistischen Ländern verwirklicht werden konnte, trotz des Überflusses an finanziellen Mitteln. Während wir gegen die Globalisierung und ihre Auswirkungen besonders im Süden kämpfen, müssen wir gleichzeitig danach streben, Modelle der alternativen Welt in allen Bereichen des sozialen Lebens, sei es auf lokaler oder nationaler Ebene zu schaffen. Durch soziale Netzwerke ist es durchaus machbar, die Rahmenlinien für eine andere Welt aufzuzeigen, ohne dabei sein Ziel aus den Augen zu verlieren. Die Menschen werden intellektuell und politisch mobil, sobald sie dazu im Stande sind, die Möglichkeit einer Alternative zu erkennen oder zu spüren. Alle Revolutionen, die die Weltzivilisation verändert haben, beweisen die Richtigkeit dieser Einsicht.

Dies ist ein Auszug aus einem Vortrag von Dr. Neville Alexander, gehalten am 13. September 2008.


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Quelle:
IPPNWforum | 113 | 08, S. 20-21
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2009