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AFRIKA/746: Marokkanische Medien und Westsahara - Wie der Konsens produziert wird (Denis Vericel)


Marokkanische Medien und Westsahara

Wie der Konsens produziert wird

Von Denis Vericel - 9. Juli 2009


Überblick über die Berichterstattung in marokkanischen Zeitungen: Die französischsprachigen Zeitungen sind "Le Matin", "Aujourd'hui" und "Au fait"; die arabischsprachigen sind "Al Alam" und "Al Maghribia". Die internationale Berichterstattung sieht so aus, wie sonst überall auch. Die Lokalnachrichten berichten über Politik, viele bedeutungslose Ereignisse, Sport, Fernsehen. Keine Eigenheiten. Nichts, das absticht, außer einem Thema: Seit nunmehr 30 Jahren befassen sich alle marokkanischen Zeitungen jeden Tag mit einer bestimmten Frage: der Westsahara. Aber es ist keine Frage. Es ist die ausschließliche Gewißheit: Westsahara ist ein Teil von Marokko, das für eine nationale Union und um die Einheit seines Territoriums kämpft.

Abb.: http://www.zcommunications.org/FCKFiles/690445/sahara2.jpg


Die Geschichte der Westsahara

Westsahara wurde zunächst von Spanien kolonisiert, das dieses Wüstengebiet als Schutz für seine, wenige Kilometer vor der Küste gelegenen, Kanarischen Inseln gewinnen wollte. In den 60er Jahren begannen die Demonstrationen gegen diese Besetzung, die von der spanischen Armee mit harter Hand unterdrückt wurden. Die Situation änderte sich in den 70ern, als ein anderer Protagonist beschloß, dieses Gebiet zu seinem Eigentum zu erklären und für die Rückkehr dieses Landstrichs in ein "Großmarokko" zu kämpfen.

Als König Hassan II den "Grünen Marsch" organisierte, bei dem 350.000 Marokkaner in die sogenannte "Spanische Sahara" eindrangen, "ohne jede Waffe außer dem Heiligen Koran", wie der König erklärte, steckte hinter seiner Strategie wesentlich mehr, als der friedliche Wunsch, Sahara zu befreien. Nach zwei Staatsstreichen und zahlreichen Demonstrationen gegen die Monarchie mußte Hassan II nicht nur das marokkanische Volk hinter einer gemeinsamen Sache vereinen, sondern sich darüber hinaus vor Mitgliedern der militärischen Führung schützen, die bereits zweimal versucht hatten, ihn zu töten. Die Lage in Sahara schien das perfekte Ereignis zur Lösung beider Probleme zu sein.

Aber der friedliche Grüne Marsch, der von der internationalen Gemeinschaft begrüßt wurde, hatte die Gestalt einer militärischen Annektion. Nachdem die Teilnehmer des Marsches die symbolische Grenze überquert hatten, rückten General Dlimi und die marokkanische Armee unverzüglich in das sahrauische Territorium vor. In Hassans Plan war lediglich ein Faktor unberücksichtigt geblieben: der sahrauische Widerstand. Seit 1973 als Front für die Freiheit der Sahara, namens Polisario, organisiert, wurde die sahrauische Erhebung gegen diese neue Kolonisation zu einem 16 Jahre währenden Krieg. Die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) wartet im algerischen Exil im Wüstengebiet Tindouf auf das von den Vereinten Nationen versprochene Unabhängigkeitsreferendum. Heute ist Westsahara das einzige afrikanische Territorium, das noch immer auf das Ende der Kolonisation nach UN-Kalender wartet.

Seit dem Waffenstillstand von 1991 hat Marokko seine Politik der Besetzung und Kolonisierung verschärft. Neben den offensichtlichen politischen Vorteilen dieser Kolonisation profitiert Marokko auch von vielen Gütern dieses Landes, wie Phosphat und Fische. Mehr noch als die Soldaten ist die marokkanische Polizei omnipräsent in Westsahara und versucht, jeden Atemzug der sahrauischen Bevölkerung zu kontrollieren. Demonstrationen sind verboten, Journalisten werden kontrolliert, Aktivisten überwacht. Heute, 34 Jahre nachdem Marokko die Westsahara besetzt hat, bricht das Königreich noch immer internationales Recht, weil es das Referendum verweigert, das Land seiner Ressourcen beraubt (siehe Western Sahara Resource Watch http://www.wsrw.org) und die Menschenrechte mißachtet, indem es die sahrauische Bevölkerung unterdrückt.

Es gibt jedoch noch einen weiteren Punkt: Marokko belügt täglich die eigene Bevölkerung. Eine der Hauptstrategien des Königreichs war und ist es, die Marokkaner davon zu überzeugen, daß seine Politik die gute ist, legal und anerkannt durch die internationale Gemeinschaft. Seit Jahren erzählen marokkanische Zeitungen, Fernsehen und Radio die Geschichte: darüber, daß Marokko das Opfer der Angriffe der Polisario ist, daß es allein im Sinn hat, dieses Land im Namen der Freiheit zu befreien und daß Marokko die Marokkaner in den Sahara-Provinzen lediglich von einer ungerechten Teilung erlösen will. Tag für Tag, Jahr für Jahr hat das immer gleiche Gerede in den Zeitungen dazu geführt, daß ein nationaler Konsens über Westsahara geschaffen wurde.


Was sagen die Zeitungen über Westsahara?

Wenn wir täglich marokkanische Zeitungen lesen, bemerken wir als erstes, daß es fast jeden Tag einen Artikel über Sahara gibt. Meistens kommen sie von demselben Journalisten (wie Latifa Cherkaoui von "Le Matin") oder unsigniert von der Maghreb Arab Press, der nationalen Nachrichtenagentur. Die Artikel handeln von der Sahara-Krise und schildern zumeist, wie Marokko sich darum bemüht, das Problem zu lösen; was die Polisario unternimmt, um die Verhandlungen ins Wanken zu bringen; wie schrecklich die humanitären Bedingungen in den Flüchtlingslagern von Tindouf sind; wie die Vereinten Nationen und andere Staaten den von Marokko vorgeschlagenen Autonomieplan unterstützen.

Journalisten haben ihr eigenes Vokabular für Westsahara geschaffen (ein Ausdruck, den sie nie benutzen würden, sie ziehen "marokkanische Sahara" oder Sahara-Provinzen" vor). Wenn wir uns die Begriffe ansehen, die in den Artikeln verwendet werden, erkennen wir schnell, daß dieses Thema nur eine Sichtweise erlaubt. Jedesmal, wenn ein Journalist über die "marokkanische Sahara" schreibt, wird der Begriff mit weiteren Worten verknüpft wie: "Unsere Provinzen, heilige Einheit, nationale Souveränität, Einstimmigkeit, territoriale Integrität, internationale Legitimation, marokkanisches Volk, Vaterland, Nationalstolz, Einheit, Opfer".

Wenn die Artikel sich um den Autonomieplan drehen, ist das Vokabular nicht nur tendenziös, sondern es läßt auch keine Möglichkeit für eine andere Meinung zu. Die marokkanische Position wird immer als "fair, ernsthaft, glaubwürdig, realistisch, vernünftig, eindeutig" bezeichnet.

Viele Begriffe wie: "politische und eindeutige Lösung; begrüßt vom Sicherheitsrat und der internationalen Gemeinschaft; ernsthafte und glaubwürdige Alternative; Friedensübereinkunft; einzige und endgültige demokratisch verläßliche und gültige Lösung" werden benutzt. Diese Wendungen werden Wort für Wort in allen unterschiedlichen Medien gebraucht.

Die gleiche Strategie wird verfolgt, wenn Journalisten die Unabhängigkeitsbewegung beschreiben. Wenn Polisario und die Lager in Tindouf erwähnt werden, verbindet man sie mit: "Söldner der Polisario; Polisario, indoktriniert von Kuba; terroristische Aktion; Pseudo-SADR; Verbindung zu terroristischen Bewegungen; Verletzung der Menschenrechte; Geheimgefängnisse; Spaltung der Bevölkerung; rassistische Behandlung; stalinistische Abschottung; Folter; keine Freiheit; Lager der Schande".

Das Vokabular ist gewalttätiger und agressiver, und auch die Themen. Die Journalisten bauen an einem neuen Bild der Polisario, einem "moderneren": Jüngste Artikel erklären, wie die Polisario Waffen an terroristische Gruppen verkauft, welche Verbindung zu El Kaida besteht, daß die Front sich in der Tat aus Drogendealern zusammensetzt, die aus Algerien nach Marokko kommen, um Drogen und Zigaretten etc. zu verkaufen.

Wenn wir sehen, wie aggressiv die Haltung der Zeitungen gegenüber Sahara ist, die täglich das gleiche einseitige Vokabular verwenden und es mit den populären Dämonen unserer Gesellschaft verknüpfen wie Drogen und Terrorismus, können wir uns einfach nur die folgende Definition ins Gedächtnis rufen:

Das Geheimnis der modernen Propaganda: Vereinfache komplexe Sachverhalte, damit die weniger Klugen verstehen können, was ich sage. Vereinfachen, dann täglich wiederholen. Vereinfachen und wiederholen, hier liegt das Geheimnis moderner Propaganda."

Diese Definition der Propaganda kommt von Fritz Hippler, dem Filmdirektor des 3. Reichs.


Keine andere Meinung möglich

Warum gibt es keine Alternative zu dieser täglich aufgezwungenen Meinung? Eine der Antworten liegt im marokkanischen Recht selbst begründet. Wenn man sich die marokkanische Verfassung und das Presserecht ansieht, wird deutlich, daß jedes Vergehen gegen den König oder gegen die "territoriale Einheit" verurteilt werden kann. Wenn man über Westsahara oder irgendeine sich von Marokko unterscheidende Meinung spricht, wird das unmittelbar unterdrückt. Dieses Gesetz existiert nicht nur, um den König und den marokkanischen Standpunkt zu schützen, sondern es ist der legale Weg, jeden Aktivisten strafrechtlich zu verfolgen, jeden Journalisten, jeden Bürger, der nicht bereit ist, der marokkanischen Vision zu folgen. Das Gericht verurteilt jetzt auf der Basis dieses Gesetzes viele Sahrauis zu mehreren Jahren Haft. Die Teilnahme an einer Demonstration reicht dann aus, um ins Gefängnis zu kommen, und Polizeiübergriffe werden durch dieses Gesetz legitimiert.

Marokkanische Journalisten sind die Opfer dieses Gesetzes. Ali Lmrabet, der Herausgeber des Magazins "Demain" wartet auf die Gerichtsentscheidung und den Urteilsspruch von drei bis fünf Jahren wegen "Beleidigung des Königs" (siehe den Artikel von Reporter ohne Grenzen: "Warning for the independent press" [Warnung an die unabhängige Presse]) http://www.rsf.org/Warnings-for-the-independent-press,6801.html). Das Recht auf Redefreiheit ist unter Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als Menschenrecht anerkannt (http://en.wikipedia.org/wiki/Human_right), (http://en.wikipedia.org/wiki/Universal_Declaration_of_Human_Rights), aber die marokkanische Verfassung hat eine Lösung gefunden, wie sie ihre Bevölkerung vor dieser Freiheit schützen kann. Marokko und der neue König Mohamed VI wollten eine neue Verfassung, die "modern", demokratisch" und "respektvoll" ist. Letztendlich können Presse und Journalisten immer noch nicht frei schreiben, Bürger können noch immer verurteilt werden, wenn sie über den König oder die "nationale Einheit" sprechen; sogar Homosexualität wird immer noch als Vergehen betrachtet.

Es ist anzumerken, daß viele marokkanische Zeitungen eng mit dem Regime verbunden sind. Ihre Leitung, die Eigentümer und die Aktionäre, die Firmen, die Anzeigen bezahlen - alle sind bereits Teil des Systems, an dessen Spitze König Mohamed VI die Entscheidungen trifft. Moulay Ahmed Alaoui zum Beispiel, der Cousin von Hassan II und Ex-Minister, ist Präsident des "Maroc Soir", der Pressegruppe, die den "Le Matin" veröffentlicht, für den er zusätzlich als "politischer Direktor" tätig ist. Eine weitere Tageszeitung, "Al-Anbaa", wird einfach gleich vom Informationsministerium geleitet.

Die Herstellung des Westsahara-Konsenses ist die tägliche Arbeit der marokkanischen Zeitungen und marokkanischen Behörden. Die Rolle der Medien ist es, die Bevölkerung durch die offizielle Meinung zu lähmen. Die Behörden können jede andere Meinung verbieten, indem sie die "nonkonformistischen" Denker verurteilt. Sie können auch andere Strategien benutzen, beispielsweise den Zugang von Marokko aus zu ARSO (www.arso.org), der wichtigsten Website über Westsahara, zu unterbinden.

Die Manipulation der öffentlichen Meinung und die sehr aktive und aggressive Lobbyarbeit, die das Königreich betreibt, um seinen Plan gegenüber den ausländischen Regierungen durchzusetzen, sind die wichtigsten Waffen Marokkos in diesem Konflikt. Sie sind aber auch die Gründe für die nimmerendende Situation und die Bremse für jede Lösung in Westsahara.


Der Schattenblick übersetzt und veröffentlicht diesen von der Kritischen Ökologie/ifak e.V. weitergeleiteten Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors. Die englische Originalfassung ist unter folgender URL auf ZNet zu finden:
http://www.zcommunications.org/znet/viewArticle/21934

sowie auf der Seite der Vereinigung der Sahrauischen Journalisten UPES (Union de Periodistas y Escritores Saharauis)
unter http://www.upes.org/body2_eng.asp?field=articulos_eng&id=361


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Stärke des Rechts - eine Initiative der Kritischen Ökologie / ifak e.V.

Bereits vor mehr als 30 Jahren dachte die spanische Kolonialmacht nicht im Traume daran, den Menschen der Westsahara ihr Recht auf Selbstbestimmung zuzugestehen und versuchte, mal mit falschen Versprechungen, mal mit brutaler Gewalt die "Hispanität" der Westsahara, der "Sáhara Español", zu verewigen. Durch das Ende der spanischen Diktatur und durch Druck seitens der USA und Frankreichs verschacherte Spanien die Westsahara an Marokko, das nun wiederum mit allerlei Tricks und brutaler Gewalt die "Marokkanität" der Westsahara, die "marokkanischen Südprovinzen", zu verfestigen versucht. Neben den USA und Frankreich kann sich Marokko einer darüber noch hinausgehenden "Koalition der Willigen" sicher sein, die es ermöglicht, dass Marokko auch weiterhin ungestraft das Völkerrecht beschädigen und die Menschenrechte massiv verletzen kann.

Diesem Recht des Stärkeren setzen wir die Stärke des Rechts entgegen!

Unsere Initiative haben wir zur deutschen Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat 2003/04 mit dem Ziel gestartet, den letzten Kolonialkonflikt auf afrikanischem Boden zu beenden und durch eine Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung im Maghreb zu ersetzen.

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Quelle:
"The manufacturing of the consensus -
Moroccan Medias and Western Sahara"
Denis Vericel, 9. Juli 2009
http://www.zcommunications.org/znet/viewArticle/21934
Denis Vericel's ZSpace Page:
http://www.zcommunications.org/zspace/denisvericel
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übersetzt vom und veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2009