Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/781: Südafrika - Die Oligarchen sind noch an der Macht (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, Oktober/November 2009

Die Oligarchen sind noch an der Macht

Von Moeletsi Mbeki


Mit der Politik des "Black Economic Empowerment" (BEE) sollte die von der Apartheid benachteiligte schwarze Bevölkerungsmehrheit gefördert werden. Tatsächlich hat BEE aber nur eine kleine, extrem reiche Klasse schwarzer Amigo-Kapitalisten aus den Reihen des ANC geschaffen. Das Problem, so der Autor, liegt darin, dass BEE eigentlich ein Geistesprodukt des weißen Kapitals ist. Es geht aber nicht um den Transfer von vorhandenem Reichtum - es geht um die Transformation der Gesellschaft.


Black Economic Empowerment (BEE) ist nicht der Gegenwind gegen Südafrikas Oligarchen, den Nelson Mandela und die schwarzen Nationalisten in frühen Zeiten angekündigt hatten. Tatsächlich bläst der Gegenwind ins Gesicht der schwarzen Unternehmerschaft, da eine kleine Klasse unproduktiver, aber reicher schwarzer Amigo-Kapitalisten in den Reihen von ANC-Politikern geschaffen wurde - manche haben sich aus der Politik zurückgezogen, andere sind noch in der Politik tätig. Sie wurden enge Verbündete der alten wirtschaftlichen Oligarchie, die so paradoxerweise zum Verwalter der Entindustrialisierung Südafrikas mutiert ist. BEE ist in Südafrika nur ein weiterer Versuch, Rücklagen aus den Unternehmen des Privatsektors anzuzapfen in einem Umfeld, das keine Kleinbauern kennt und wo der Privatsektor überwiegend in heimischem Besitz ist.

Dass BEE eine Steilvorlage für Südafrikas politische Elite geworden ist, ist dem Geschick des Privatsektors zu verdanken, sich der Enteignung zu widersetzen. Doch das alles gehört in die Anfangsjahre von BEE. Erst die Zeit wird zeigen, wer als Sieger hervorgeht aus diesem Titanenkampf der politischen Elite - dem sich nun auch die organisierte Arbeiterschaft angeschlossen hat - und wer den Reichtum des derzeitigen Eigentümers zu konfiszieren versteht. Eine noch wichtigere Frage ist es, welche Folgen dieser Kampf auf das Wachstumspotenzial der südafrikanischen Wirtschaft haben wird.

Die gängige naive Meinung in Südafrika, in Afrika und im Rest der Welt ist, BEE sei ein Kind der schwarzen Nationalisten Südafrikas, vor allem des ANC, der 1994 unter Nelson Mandela als ersten schwarzen Präsidenten die ersten demokratischen Wahlen in Südafrika gewonnen hat. Nichts ist weiter von der Realität entfernt. BEE ist vielmehr ein Kind der alten Wirtschafts-Oligarchen Südafrikas, einer Handvoll weißer Wirtschaftsfamilien, die im Kommandostand der Wirtschaft des Landes sitzen - im Bergbau und den damit verbundenen chemischen und technischen Industrien und in der Finanzwelt.


Einbindung der politischen Aktivisten

Flaggschiff des BEE ist NAIL: New Africa Investments Limited. NAIL begann 1992, zwei Jahre vor der Machtübernahme durch den ANC. Es war eine Schöpfung der zweitgrößten Versicherungsgesellschaft Südafrikas Sanlam. Unterstützt wurde die Gesellschaft dabei durch die Industrial Development Corporation (IDC), eine von der Apartheidsregierung kontrollierte, 1940 gegründete staatliche lnvestmentbank. Auf NAIL folge schon bald RAIL (Real African Investment Limited). Deren Fördergelder kamen vom Bergbaugiganten Anglo American Corporation, der seinen Finanzdienstleister Southern Life zwischenschaltete. Ziel dieser BEE-Transaktionen war die Einbindung von führenden Leuten der schwarzen Widerstandsbewegung, die buchstäblich gekauft wurden, wobei es so aussah, als ob hier Vermögenswerte ohne Gegenleistungen auf sie übertragen wurden.

Für die Oligarchen waren diese Wertübertragungen keine große Sache. Sanlam schuf NAIL, indem es die Kontrolle über eines ihrer kleineren Tochterunternehmen, Metropolitan Life, an etliche zum ANC und PAC gehörige Führungskräfte übertrug; 85 Prozent der Versicherten von MetLife sind Schwarze. Sanlam nutze dabei den Kunstgriff, MetLife in kleine Einheiten zu zerschlagen und hohe Stimmenanteile - und somit die Kontrolle - an die Politiker zu übertragen; finanziert wurde die Transaktion durch Kredite von IDC. Über Nacht wurden Politiker Millionäre, ohne auch nur einen Finger gerührt zu haben, denn all diese Tricks wurden von der Chefetage von Sanlam eingefädelt. Alles, was die Politiker zu tun hatten, war auf der Eröffnungsparty von NAIL aufzukreuzen und den Wohltätern zu danken. Auch die Schulden, auf die diese Politiker sich scheinbar einließen, waren überwiegend fiktiv, denn es ist MetLife, das diese bei der IDC bedienen muss.


Finanzielles Blendwerk

Mit diesem finanziellen Blendwerk sollten eine Reihe von Zielen erreicht werden. Es diente dazu:

1. den ANC von radikalen wirtschaftlichen Ambitionen - etwa die zentralen Sektoren der südafrikanischen Wirtschaft zu nationalisieren - abzubringen, indem den Politikern Geld in ihre privaten Taschen gesteckt wurde. Dabei wurde der Anschein erweckt, es handele sich um eine Sühne für die Sünden der Apartheid, eine Reparation an die Schwarzen;

2. den Oligarchen einen prominenten und einflussreichen Stuhl am wirtschaftspolitischen Tisch der ANC-Regierung zu verschaffen;

3. den Oligarchen zu ermöglichen, ihre Börsennotierung und Hauptquartiere von Johannesburg nach London oder sonst wohin zu verlegen;

4. den Oligarchen und ihren Unternehmen zu ermöglichen, den ersten Zugriff auf Regierungsverträge zu erhalten;

5. die Oligarchen gegen ausländische Konkurrenz zu schützen und gleichzeitig die restliche Wirtschaft zu öffnen, vor allem bei den Verbrauchsgütern.

All diese Machenschaften wurden schließlich in die südafrikanische Verfassung aufgenommen, wobei eine bestimmte Kategorie von Bürgern definiert wurde - die historisch benachteiligten Personen (previously disadvantaged individuals, PDIs) -, die über 90 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Diese Rechtsdefinition erweckte den Eindruck, alle schwarzen Südafrikaner und Südafrikanerinnen würden die Nutznießer von BEE sein. Das Programm legitimierte den Aufkauf einer schwarzen politischen Elite, bevor die Masse der Schwarzen Forderungen nach Entschädigungen für die Leiden durch die Apartheid geltend machen konnte.

BEE und die Ableger affirmative action und affirmative procurement begannen als defensive Instrumente der ökonomischen Oligarchie, ihre Interessen zu sichern. Das hat sich mittlerweile geändert. Das Programm ist Kernstück der schwarzen politischen Elite geworden und darüber hinaus Triebkraft und Mittel zur Bereicherung. Erreicht werden soll das durch ein Maximum an Einkünften aus den angelaufenen Entschädigungszahlungen an die politischen Elite. Das hat sich für das Land als desaströs erwiesen. Die schwarze Elite, die sich selbst als historisch benachteiligt begreift, sieht ihre vordringliche Aufgabe darin, sich Reparationen von jenen zu verschaffen, die sie in eine benachteiligte Lage gebracht haben. Dafür muss ein Ressourcentransfer in Gang gesetzt werden von den Missetätern - den weißen Unternehmern und dem Staat - an die Opfer, die historisch Benachteiligten. Nach dieser Logik schuldet der Staat diesen Benachteiligten hochbezahlte Jobs. Dieser Transfer von den Starken zu den Schwachen ist das, was man unter BEE versteht.


Juniorpartner statt Führungskräfte

Diese offensichtlich simple Formulierung hat schwerwiegende Folgen:

Damit der Missetäter die Reparationen zahlen kann, muss er seine privilegierte Stellung behalten - nach dem Prinzip: Mäste die Gans, die goldene Eier legt.

In der Konsequenz heißt das, die Unternehmen, die für die Schikanierung der historisch Benachteiligten verantwortlich sind, dürfen nur soweit transformiert werden, dass sie ein paar schwarze Individuen in die Kommandospitzen aufnehmen. Der Schutz für diese Unternehmen geht so weit, dass ihnen erlaubt wird, ihr Hauptquartier und Börsennotierung von Johannesburg nach London zu verlegen, wo sie vor einem möglichen wirtschaftlichen und politischen Umsturz in Südafrika geschützt sind.

Auf der größeren Ebene sorgt die ganze Batterie der politischen Maßnahmen des Washington Consensus (IWF, Weltbank) - darunter die Forderung nach Handelsliberalisierung, ausgeglichenen Haushalten, Privatisierung, Inflationsbekämpfung und schlankem Staat-, all das sorgt dafür, die Interessen des südafrikanischen big business, einem der beiden Hauptzahler von Reparation, zu schützen.

Damit nun das Opfer weiter Reparationen einfordern kann, muss er oder sie weiterhin als Opfer und als schwach wahrgenommen werden. Das heißt, der ehemalige Freiheitskämpfer muss von einem Helden, der Südafrika befreit hat, zu einem Unterlegenen transformiert werden.

Die Entschädigungszahlungen an die schwarze Elite erreichten damit genau das Gegenteil von dem, was sie angeblich sein sollten, nämlich ihre Mitglieder zu Führungskräften in der Wirtschaft zu machen. Tatsächlich aber sind die Mitglieder der schwarzen Elite auf unabsehbare Zeit lediglich Juniorpartner der von Weißen kontrollierten Unternehmen.


Staat als Mittel zur Selbstbereicherung

Eine der destruktivsten Folgen dieser Reparationsideologie ist das Verhältnis der schwarzen Elite zum Staat und ihr Verhalten ihm gegenüber. Da dem Staat nachgesagt wird, ebenso für die Lage der historisch Benachteiligten verantwortlich gewesen zu sein, wird er folglich als Schuldner wahrgenommen. Als Reparationsleistung soll der Staat diesen Benachteiligten hoch dotierte lobs verschaffen. Das staatliche Vermögen wurde sogar als Freiwild gesehen. Die neue Elite erhebt deshalb an den Staat nicht den Anspruch, die Bedürfnisse der Menschen zu bedienen, sondern zuvorderst den materiellen Interessen der historisch Benachteiligten zu dienen.

Da überrascht es nicht, dass die Korruption unter der ANC-Regierung sprunghaft gestiegen ist. Transparency International, der weltweite Wachhund gegen Korruption, hat Südafrika folglich in der Korruptionsskala immer weiter nach unten eingestuft. Im TI-Korruptionswahrnehmungsindex ist Südafrika zwischen 2000 und 2008 vom 34. auf den 54. Platz von 180 gerutscht.

Paradoxerweise wird die Selbstbereicherung am Staat durch die schwarze Elite von den weiß-kontrollierten Unternehmen gebremst - den erwähnten goldene Eier Legenden. Denn diese Unternehmen brauchen einen funktionierende Staat als stabile Grundlage, brauchen funktionierende Transportsysteme und Kommunikationsstrukturen. Auch die Gerichtsbarkeit und die unabhängigen Massenmedien spielen in dieser Hinsicht eine bedeutende Rolle.

Mit der Ideologie der Reparationen tappen die Mitglieder dieser neuen Elite in die Falle, sich selbst als Nutznießer der Produktion anderer gesellschaftlicher Gruppen und damit vornehmlich als Konsumenten zu betrachten. Um diese Rolle als Konsumenten durchzuhalten, sehen sie den Staat eher als Verteilungsagentur und nicht als einen Entwicklungsmotor. Die Mitglieder der schwarzen Elite sehen sich entschieden nicht als Produzenten; sie verstehen sich nicht als Unternehmer, die neue Geschäftsideen initiieren und durchführen.

Im besten Fall gehen sie Verbindungen mit bestehenden Betrieben ein. Eine solche Verbindung aber muss abgesichert werden durch einen Verteiler-Staat und eine auf Reparationen ausgerichtete Gesetzgebung. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen der schwarzen Elite Südafrikas und den Eliten in Asien, wo die treibende Ideologie das Unternehmertum ist.


Der Text ist ein Auszug aus Moeletsi Mbekis neustem Buch "Architects of Poverty: Why Africa's Captalism needs Changing". (Pan Macmillan South Africa, April 2009.)


*


Weitere Artikel in afrika süd Nr. 5, Oktober/November 2009


Frelimo forever?
Ein Kommentar zu den Wahlen in Mosambik von Lothar Berger.

aktuell

südafrika
Der tägliche Tod der Demokratie
Einen "stillen Staatsstreich" nennen Nigel Gibson und Raj Patel die jüngsten Übergriffe des Staates gegen die Interessenvertretung der Einwohner der Wellblechsiedlung "Kennedy Road" in Durban.

Der reduzierte Widerspruch
Der Gewerkschaftsbund Cosatu hat auf dem 10. Kongress im September sein Verhältnis zum ANC debattiert. Von Sigrid Thomsen.

simbabwe
Konfusion in Simbabwe
Simbabwes Premierminister Morgan Tsvangirai hatte seine Zusammenarbeit mit Staatspräsident Mugabe ausgesetzt, weil dieser sich nicht an die gemeinsamen Vereinbarungen hält. Einmal mehr versucht die Regionalgemeinschaft SADC zu vermitteln. Von Hein Möllers.

Zwischen Hoffen und Bangen
Ein Jahr nach Unterzeichnung des "Global Political Agreement" zwischen den Parteien in Simbabwe zieht Dumisani F. Nengomasha eine private Bilanz.

Testfall für den Kimberley-Prozess
Wegen der Verletzung der Menschenrechte in seinen Diamantenfeldern von Marange soll Simbabwe vom Kimberley-Prozess, mit dem der Handel mit Blutdiamanten unterbunden werden soll, suspendiert werden. Von Barbara Müller und Simone Knapp.


It's Africa's time: afrika süd zur WM 2010 - Folge 4

Satanische Verve
Mit den Vuvuzelas, den lautstarken Tröten, werden die Fußballfans bei der WM 2010 ihre südafrikanische Mannschaft anfeuern. Von Evans Macingwone

Fußball hat mein Leben verändert
Von Irene Lukassowitz

Viagra aus Affenfleisch
Von Jojo Cobbinah

Im Schatten der Weltmeisterschaft
Die Fußball-Afrikameisterschaften finden im Januar 2010 in Angola statt. Von Andreas Bohne


botswana
Same procedure as...?
Bei den Parlamentswahlen in Botswana im Oktober konnte die seit 1965 regierende BDP trotz Wirtschaftskrise und Flügelkämpfen ihre absolute Mehrheit ausbauen, berichtet Hein Möllers.

Funkelndes Strohfeuer
Von Refentse Moekena.

südafrika: eliten
Eine Geschichte - zwei Nationalismen
Südafrika steht heute vor einem VerteiIungskampf zwischen der schwarzen Elite, staatlichen Angestellten und der Masse der Armen. Moeletsi Mbeki blickt auf die Geschichte von zwei Nationalbewegungen, die diese Entwicklung begünstigt haben.

Die Oligarchen sind noch an der Macht
Die Politik des "Black Economic Empowerment" ist ein Geistesprodukt des weißen Kapitals und fördert nur eine kleine Klasse schwarzer Kapitalisten, meint Moeletsi Mbeki.

Bram Fischer und das heutige Südafrika
Er war ein unbeugsamer Kämpfer gegen Apartheid. Raymond Suttner, selbst ehemaliger Anti-Apartheid-Aktivist, ruft den Geist Bram Fischers für das heutige Südafrika wach.

südliches afrika: eliten
Sozioökonomische Entwicklungen im Südlichen Afrika
Mainstream-Modelle sozioökonomischer Entwicklungen im Südlichen Afrika konzentrieren sich auf die Eliten und vernachlässigen die Mehrheit. Henning Melber fordert deshalb fundamental neue Ansätze.

namibia
"Ein weißer Elefant, ein totes Projekt"
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Norman Paech hat das Herero-Kulturzentrum bei Okakarara besucht und seinen heruntergekommenen Zustand beklagt. Rolf-Henning Hintze hat Paech für afrika süd interviewt.

dr kongo
Scham, Schmerz und Verzweiflung
Für ein Ende der alltäglichen Gewalt gegen Frauen im Ostkongo setzen sich zwei Organisationen in Bukavu ein. Solveig Schurr hat sie besucht.

service
Nord-Süd-Infos, Rezensionen, Leserbriefe


*


Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
38. Jahrgang, Nr. 5, Oktober/November 2009, S. 27-29
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org

"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2010