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AFRIKA/801: Die Bürde der Arbeitslosigkeit in Namibia (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Februar / März 2010

Die Bürde der Arbeitslosigkeit

Von Ali Hensel


Die Arbeitslosigkeit in Namibia ist gestiegen. Eine aktuelle Studie aus dem Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge liefert schockierende Zahlen: Über die Hälfte der namibischen Erwerbsfähigen ist ohne Arbeit. Nach Meinung von Experten dürfte sie aufgrund der internationalen Wirtschaftskrise aktuell sogar noch höher liegen. Eine Bürde für die Regierung.


Nach 20 Jahren Unabhängigkeit muss sich die seither ununterbrochen regierende Swapo fragen lassen, wie es um das wirtschaftliche Wohlergehen der namibischen Bürger bestellt ist. Nimmt man die Arbeitslosigkeit als Indikator für diese Frage, dann ist die Antwort scheinbar schnell gegeben. Lag die Arbeitslosenquote zu Beginn der Unabhängigkeit noch bei ca. 35 Prozent und wurde dann aufgrund einer offiziellen Einkommenserhebung von 2004 mit offiziell 36,7 Prozent angegeben, so liegt sie aktuell deutlich über 50 Prozent. Nach den jüngst bekannt gewordenen Zahlen des Namibian Labour Force Survey (NLFS) lag die Quote im Jahr 2008 bei 51,2 Prozent. Die Zahlen erfassen alle Namibier ohne Arbeit, eingeschlossen auch diejenigen, die nur teilbeschäftigt sind und nach einer Vollzeitbeschäftigung suchen, sowie diejenigen, die ihre Bemühungen um eine Beschäftigung eingestellt haben.

Nach Aussage des in der Allgemeinen Zeitung vom 3. März zitierten Arbeitsministers Immanuel Ngatjizeko hält sich die Regierung bei ihren alle vier Jahre anfallenden Studien an internationale Normen und Festlegungen. So würden in den Haushalten alle Personen über 15 Jahre befragt, ob sie "in den letzten sieben Tagen mindestens eine Stunde gearbeitet und dafür eine Bezahlung erhalten haben". Werde mit Ja geantwortet, gelte die Person als beschäftigt, bei einem Nein als arbeitslos.

Für das Jahr 2009, das auch in Namibia durch die internationale Wirtschaftskrise geprägt war, dürften die Zahlen noch weitaus schlechter aussehen. Durch Entlassungen, besonders in der Minenindustrie, haben wegen der sinkenden Nachfrage nach Rohstoffen (Ausnahme Uran) viele Namibier ihren Arbeitsplatz verloren.

Die Untersuchung des NLFS, die seit September 2009 vorliegt - jedoch erst kürzlich öffentlich wurde - malt ein besonders düsteres Bild für die Jugend und für Frauen in Namibia. So sind 83 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren unbeschäftigt und 67 Prozent der jungen Menschen zwischen 20 und 24 Jahren suchen bisher vergeblich einen Arbeitsplatz. Während in der männliche Bevölkerung eine Arbeitslosenrate von knapp über 40 Prozent herrscht, sind 58,4 Prozent der namibischen Frauen ohne Beschäftigung.

Regional ist die Arbeitslosigkeit naturgemäß sehr unterschiedlich verteilt. Während im industriearmen, aber bevölkerungsreichen Norden des Landes die höchsten Quoten (Omusati 78,6%, Ohangwena 76,4%, Okavango 70%) erreicht werden, bleibt die Arbeitslosigkeit in den Regionen mit stärkerer Wirtschaftsstruktur vergleichsweise niedrig (Khomas 33,5%, Erongo 32,6%). Die Zahlen belegen in großer Deutlichkeit, warum die Abwanderung der Menschen aus dem traditionell von einer Subsistenzlandwirtschaft geprägten Norden ungebremst weiter geht.

Wenn als einzige Form der Einkommenserzielung die Subsistenzwirtschaft (72 Prozent der Haushalte verfügen über keine weitere Einkommensquelle) bleibt, dann fällt die Entscheidung, sein Glück in den Ballungszentren der Mitte des Landes zu suchen, leicht. Immerhin ist dort, trotz der großen Konkurrenz mit anderen Arbeitssuchenden die Chance auf eine Erwerbstätigkeit relativ gut. Für die Hoffnung auf eine Arbeitsstelle werden prekäre Arbeitsverhältnisse und menschenunwürdige Wohnsituationen in den wild wuchernden informel settlements der großen Städte in Kauf genommen.


Sinkende Einkommen verschärfen die Situation

Als wäre die Arbeitslosigkeit, verbunden mit all der Frustration und Perspektivlosigkeit gerade der jungen Bevölkerung, nicht schon schlimm genug - seit der Unabhängigkeit sind zudem die Einkommen der Arbeiter relativ gesunken. Insbesondere die Löhne für ungeschulte und nicht ausreichend geschulte Arbeitskräfte seien ausbeuterisch, so die jüngste Veröffentlichung des namibischen Arbeitsforschungsinstitutes Labour Resource and Research Centre. Der Autor Iipumbu Sakaria identifiziert als eine der wesentlichen Ursachen für diese Entwicklung die seit der Unabhängigkeit verfolgte neoliberale Wirtschaftspolitik des Landes. Durch sie sei das hohe Maß der extrem ungleichen Einkommensverteilung beibehalten worden. Namibia zählt mit einem Gini-Koeffizienten von 0,70 zu den Ländern mit der ungleichsten Verteilung der Einkommen.

Die Abhängigkeit von den Konjunkturzyklen der Industriestaaten und den damit verbundenen starken Schwankungen der Rohstoffpreise macht Namibias Wirtschaft besonders anfällig, da ca. 13 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) im Minensektor erwirtschaftet werden. Dass die Einkommenseinbußen der Diamantenminen durch Steigerungen der Uranminen teilweise ausgeglichen werden, ist dabei nur ein schwacher Trost. Auch im Tourismussektor ist Namibia direkt an das wirtschaftliche Wohlergehen der Industriestaaten angekoppelt. Eine große Zahl von Arbeitsplätzen in der Gastronomie, dem Hotelgewerbe sowie im Handel und Kleingewerbe ist auf stabile Touristenzahlen angewiesen. Immerhin wird ein wesentlicher Teil des BIP, ca. 15 Prozent, in diesem Sektor erwirtschaftet.


Großaufträge gehen ins Ausland

Sicher kann man der Swapo-Regierung, die seit 20 Jahren alleine die Macht in Händen hält, die Verantwortung zuweisen. Aber es wäre ungerecht zu erwarten, dass sich die über Jahrzehnte zementierten Besitz- und Einkommensverhältnisse innerhalb eines Zeitraums von 20 Jahren grundlegend verändern würden. Es sei denn, durch eine radikale Umverteilungspolitik. Namibia ist und bleibt ein Land, das weitgehend von den Faktoren Bodenschätze, Tourismus und Landwirtschaft abhängig ist. Verarbeitende Industrie mit einer großen Zahl von Arbeitsplätzen ist nur in geringem Maße vorhanden.

Obwohl viele externe Faktoren (wie schwankende Rohstoffpreise) die wirtschaftliche Lage beeinflussen, die hausgemachten Probleme dürfen bei der Frage nach den Ursachen für Arbeitslosigkeit und sinkenden Einkommen nicht unter den Tisch gekehrt werden.

Was besonders schwer wiegt ist, dass ca. 70 Prozent der Investitionen (bezogen auf den Auftragswert), die von der Regierung finanziert werden, an ausländische Unternehmen vergeben werden. Oft "importieren" diese Firmen - vor allem aus China, Malaysia und Nordkorea - überdies ihre Arbeitskräfte und halten sich nicht an die Regeln und Mindeststandards des namibischen Arbeitsrechts. Auf diese Weise wandern, besonders in der Bauindustrie, viele Arbeitsplätze quasi ins Ausland und verhindern damit massiv die Beschäftigung von Namibiern.

Der Präsident des namibischen Arbeitgeberverbandes, Vekuii Rukoro, fordert, die Regierung müsse sich um eine "nachhaltige Arbeitsplatzbeschaffung" bemühen. Gemeint ist damit natürlich auch, dass Großaufträge nicht weiterhin aus politischen Gründen ins Ausland fließen, sondern von namibischen Unternehmen mit namibischen Arbeitskräften ausgeführt werden.


Wettbewerbsnachteile für Kleinunternehmer

Es sind jedoch nicht nur die ins Ausland fließenden Großaufträge, über die sich die namibische Geschäftswelt empört. Protest regt sich - vor allem im Norden des Landes - auch gegen chinesische Kleinunternehmer, die den Handel zunehmend zu dominieren beginnen. Mitte Februar 2010 legte die Namibische Kammer für Handel und Industrie (NCCI) eine detaillierte Schilderung dessen vor, welche Auswirkungen direkte Auslandsinvestitionen in den namibischen Kleinhandel und in mittelständische Dienstleistungsbetriebe haben. Die Untersuchung belegt, dass ein Verdrängungswettbewerb zu Lasten mittelständischer Unternehmen und Kleinunternehmer stattfindet. Die Nichteinhaltung der Arbeitsgesetze verschafft den ausländischen (in erster Linie chinesischen) Unternehmern einen Wettbewerbsvorteil und vernichtet zugleich die Existenzgrundlage von Namibiern, die im Kleinhandel und im Transportsektor tätig waren und sind.


Vorsichtiges Gegensteuern der Regierung

Mittlerweile beginnt die Regierung die massenhaften Beschwerden der namibischen Geschäftsleute ernst zu nehmen. Wirtschaftsminister Hage Geingob hat sich in den Regionen Oshana und Ohangwena informiert, die besonders unter den chinesischen Aktivitäten zu leiden haben. Dabei scheint sich auch für ihn der Wahrheitsgehalt der Beschwerden bestätigt zu haben. Erstmals wird damit von Regierungsseite eingeräumt und bemängelt, dass chinesische Staatsangehörige ihre Geschäfte mit illegalen Praktiken betreiben.

Bei einem Treffen mit chinesischen Regierungsvertretern hat Hage Geingob die Vorwürfe vorgetragen und den "Rat" erhalten, dass auch chinesische Bürger dem namibischen Recht unterworfen werden sollten, wenn sie sich illegaler Praktiken bedienen. Damit wird auch offensichtlich, dass chinesische Geschäftsleute bisher einen Sonderstatus genossen haben und auf sie der bestehende Foreign Investment Act (FIA) keine Anwendung fand. Der 1993 beschlossene FIA garantiert ausländischen Unternehmen eine Gleichbehandlung mit namibischen Investoren.

Ein weiterer Schritt zur Beseitigung von unlauteren Wettbewerbsvorteilen ist eine Anfang Februar veröffentlichte Mitteilung in der New Era. Dort war zu lesen, dass in Zukunft Firmen, die ihre Aufträge mit ungelernten und schlecht qualifizierten ausländischen Arbeitskräften erfüllen, von Staatsaufträgen ausgeschlossen werden sollen. Damit könnten die goldenen Zeiten des "pay back", wie man die in Geschäftsvorteile verpackte Dankbarkeit für die politische Unterstützung im Befreiungskampf auch nennt, für China und Nordkorea nun ihrem Ende zugehen.


Arbeitsplätze durch Landreform?

Die Umverteilung des Bodens geht sicherlich zu langsam voran. Im Finanzjahr 2008/2009 erwarb die Regierung nur drei Farmen mit einer Gesamtfläche von 15.366 ha zur Ansiedlung von landlosen Farmern. Wenn Umverteilung stattfindet, dann fehlen oft die Voraussetzungen (Kapital und Ausbildung), damit die Kleinfarmer erfolgreich wirtschaften können. Eine große Zahl von neuen Arbeitsplätzen, es sei denn als schlecht bezahlte Landarbeiter, ist jedoch selbst durch eine ambitionierte Landreform nicht zu erwarten. Nicht umsonst weist der Generalsekretär die Farmarbeitergewerkschaft Nafwu (Namibian Farm Workers Union), Alfred Angula, jetzt darauf hin, dass sich sowohl schwarze als auch weißen Farmer nicht an den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 560 N$ plus Naturalien von 300 N$ pro Monat halten. Im gleichen Zusammenhang beklagt Angula zudem, dass seit der Unabhängigkeit kaum Verbesserungen in den Lebensverhältnissen der Farmarbeiter erreicht werden konnten.

Doch auch die Landreform ist ein Thema, in dem Kritik schnell formuliert ist. Die Umsetzung dagegen, zumal wenn der soziale Frieden im Lande erhalten werden soll, ist schwierig. Das bislang praktizierte Prinzip des "willigen Verkäufers", welches dem Staat ein Vorkaufsrecht einräumt, braucht seine Zeit. Auch muss dabei berücksichtigt werden, dass sich viele der extensiv bewirtschafteten Farmen nicht zur Aufteilung in kleine Parzellen eignen und damit für eine Landreform nicht in Frage kommen.

Was benötigt wird, um in Zukunft vermehrt Einkommen und Arbeitsplätze zu generieren, sind Ausbildung und Kapital für die Kleinfarmer, die heute oft nur von der Substanz leben, jedoch mangels der beiden vorgenannten Faktoren nicht in der Lage sind, eine zukunftsfähige und nachhaltige Bewirtschaftung des ihnen übergebenen Bodens durchzuführen.

Rezepte zur Senkung der katastrophalen Arbeitslosigkeit sind politisch wohlfeil und die Versprechungen auf eine Besserung in der Zukunft, formuliert in der Vision 2030, sind das Papier kaum wert, auf dem sie gedruckt wurden. Verspricht doch diese Vision 2030 - formuliert als "nationales Konzept zur Entwicklung der namibischen Gesellschaft auf das Niveau eines Industriestaates" - eine nachhaltige Wirtschaft, hohes Einkommen und Arbeit für jeden.

Eines scheint klar zu sein: Namibia wird die Probleme auf sich alleine gestellt kaum lösen können. Nur eine gemeinsame politische und wirtschaftliche Kraftanstrengung der Staaten im Südlichen Afrika kann Besserung versprechen. Eine Politik, die weniger auf ausländische exportorientierte Direktinvestitionen setzt, sondern die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung im Fokus hat, könnte auf langem Weg ein erster Schritt sein.


Der Autor arbeitet seit 2008 ehrenamtlich in einer Nichtregierungsorganisation in Otjiwarongo/Namibia


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 1, Februar / März 2010, S. 10 - 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2010