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AFRIKA/822: Südafrika, ein Beispiel für gendergerechte Politik? (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 112, 2/10

Frauen im Parlament
Südafrika, ein Beispiel für gendergerechte Politik?

Von Verena Bauer


Weltweit ist der Anteil der Frauen in der Legislative äußerst gering. In Südafrika beläuft sich der Frauenanteil im Parlament seit Ende der Apartheid konstant bei 30 Prozent. Dieser Beitrag untersucht die Signifikanz von Frauenpräsenz im Südafrikanischen Parlament, deren Einfluss auf politische Prozesse, Entscheidungsfindungen und Entwicklung von Richtlinien.


Im Kampf gegen das Apartheidsregime in Südafrika war eine große Anzahl von Frauen aktiv. Als Mitstreiterinnen gelang es ihnen, die Interessen der Frauenbewegung in die Freiheitsbewegung zu integrieren. Die ständige Anwesenheit von Frauen während der Verhandlungen sicherte eine gendersensible Verfassung, welche einen einzigartigen gesetzlichen Rahmen für wahre und erfolgreiche Gleichberechtigung bietet. Die Existenz von gesetzlichen Rechten bedeutet aber nicht automatisch, dass es den Frauen möglich ist, diese in Anspruch zu nehmen oder diese auszuüben, denn Patriarchat und die gesellschaftlich verankerte Unterordnung von Frauen sowie kulturelle und religiöse Praktiken bleiben bestehen.


Frauen in der Apartheid

2009 feierte Südafrika 15 Jahre Demokratie nach 40 Jahren Apartheid. Eine Demokratie, für die 30 Jahre lang im bewaffneten Widerstand gegen die "weiße" Vorherrschaft angekämpft wurde. (Der bewaffnete Widerstand begann 1960 und endete 1990, als das Verbot des African National Congress ANC und anderen Befreiungsbewegungen aufgehoben wurde.) Frauen haben sich am Kampf für die Demokratie auf verschiedene Art und Weise beteiligt, auch als militante Aktivistinnen. Dabei haben sich Frauen zu Beginn separat organisiert und sich ab 1950 den antirassistischen Bewegungen angeschlossen. In Anerkennung an den Beitrag der Frauen im politischen Widerstand gegen die Apartheid wird jedes Jahr mit dem Marsch vom 9. August 1956 gedacht, bei dem mehr als 20.000 Frauen vor den Gebäuden der UNION(1) gegen die schlechte Bantu-Bildung demonstriert haben.

Während der Verhandlungen für eine neue Verfassung zwischen 1992 und 1994 spielten Frauenorganisationen eine entscheidende Rolle, um die Bedürfnisse und Interessen der Frauen in die Debatte um Rechte mit einzubeziehen. Eine nationale Frauenkoalition (Women's National Coalition - WNC) wurde gebildet, welche nach zwei Jahren ihres Bestehens und der Einbeziehung von mehr als zwei Millionen Frauen eine Charta(2) für die effektive Gleichstellung von Frauen erstellte, ein Dokument, das die Hoffnungen und Wünsche der Frauen in Südafrika repräsentiert. Die Beteiligung von Politikerinnen der unterschiedlichen Parteien bei der WNC hatte nicht nur zur Folge, dass weibliche Führungspersonen der Politik mit dem gemeinsamen Anliegen Gender-Gleichstellung zusammenkommen, sondern hat in den verschiedenen Parteien generell zu einem breiten Konsens geführt, dass nicht nur die Notwendigkeit besteht, die Bedürfnisse und Interessen der Frauen zu berücksichtigen, sondern auch weibliche Kandidaten bei der Parlamentswahl aufzustellen sind. Für das Voranbringen und für den Schutz der Gender-Gleichstellung wurde in den darauf folgenden Jahren ein Büro (Office on the Status of Women) und eine unabhängige Kommission für Gender-Gleichstellung (CGE) gegründet.

Ein Ad-hoc-Komitee für die Förderung der Lebensqualität und Stellung der Frauen wurde etabliert und nach drei Jahren zu einem parlamentarischen Komitee (JMC) umgewandelt. Die Aufgabe dieses Komitees ist die Beaufsichtigung der Legislative und die Förderung von Studien, um die Wege zur völligen Gleichstellung herauszufinden. Im Jahr 1998 sorgte es für die Durchsetzung des Gesetzes gegen häusliche Gewalt, für das Gesetz zur verpflichtenden Unterhaltszahlung und zur Anerkennung der traditionellen Vermählung.


Genderpolitik in der Realität

Frauenspezifische Themen wie Sexualität, Reproduktion, Gewalt und traditionelles Recht wurden in die Gesetzgebung aufgenommen. Allerdings hat eine Evaluierung der Gender-Mechanismen in Südafrika eindeutig gezeigt, dass die Rolle des JMC-Komittees bezüglich der Vorantreibung eines gender-gerechten legislativen Wandels kritisch zu betrachten ist. Die Kommission für Gender-Gleichstellung machte dem Komitee zwar Vorlagen und baute Beziehungen zu Stakeholdern in der Zivilgesellschaft auf, war aber insgesamt weniger erfolgreich als erhofft. Obwohl öffentliche Bildung unternommen und Regierungsabteilungen zur Rechenschaft gezogen wurden, war ihr politisches Profil nicht sehr signifikant. Das Büro für den Status von Frauen, das sich innerhalb der Regierung befindet und gegründet wurde, um den Gender-Mainstreaming-Prozess zu leiten, entwickelte zwar eine nationale Gender-Gleichstellungspolitik, aber generell ist seine Rolle begrenzt, da es keine maßgebende Entscheidungen treffen kann und seine Ressourcen zu gering sind. Jedoch bringt es jedes Quartal die verschiedenen Gender-Institutionen zusammen und sorgt so für einen Ideen- und Erfahrungsaustausch.

Schlussendlich waren es zivilgesellschaftliche Aktivitäten, welche am effektivsten zum Aufgreifen von Frauenthemen durch die politischen Parteien geführt haben.
Nach 1994 waren die frauenpolitischen Aktivitäten also nicht nur charakterisiert durch formale parteipolitische Tätigkeit, sondern vor allem durch das Mobilisieren von Frauengruppen, welche sich mit den Problemen der Frauen rund um alltägliche produktive und reproduktive Interessen beschäftigten. Das beinhaltete Themen wie die Verteilung von Land, Anti-Privatisierung, Gesundheit und Reproduktion, HIV/ AIDS und geschlechtsspezifische Gewalt sowie unterschiedliche lokale Bedürfnisse, wie z. B. Unterkunft und Stromversorgung. Vor allem geschlechtsspezifische Gewalt und die hohe Verbreitung von HIV/AIDS stellten eine große Herausforderung dar.

Tag für Tag werden Frauen in Südafrika Opfer von Gewalt. Viele Frauen infizieren sich durch Vergewaltigung mit HIV. Dabei wissen die Opfer häufig nicht, an wen sie sich wenden sollen. Sie befürchten, dass die Polizei ihnen nicht glauben, sondern ihnen vorwerfen wird, sie hätten den Mann dazu ermuntert. So werden lediglich 2,8 Prozent aller Fälle aktenkundig. In der Tat werden Vergewaltigungsopfer im Gericht oft wie Angeklagte behandelt: Von 400 Vergewaltigungsprozessen führt im Schnitt lediglich nur einer zur Verurteilung des Täters.(3) Rita Schäfer weist in ihrem Artikel "Macht und Gewalt. HIV/AIDS und Geschlechterhierarchien in Südafrika" (Frauensolidarität 111(1/10)) auf die bestehende Widersprüchlichkeit der Frauenpolitik in Südafrika hin, wo auf der einen Seite die geschlechtergerechte Verfassung weltweit als Vorbild gilt und auf der anderen Seite das afrikanische Land Spitzenreiter in den Statistiken zu sexueller und häuslicher Gewalt ist.

Wie Südafrika und andere Länder gezeigt haben, führt die Teilnahme von Frauen in Parlamenten zu signifikanten Unterschieden in der Parlamentspolitik und in der legislativen Agenda, die gender-sensibler wird. Allerdings bedeuten diese Errungenschaften nichts, wenn die Frauen im Alltag ihre Rechte nicht nutzen können.


Anmerkungen:

(1) Die Südafrikanische UNION wurde 1910 aus den vier Kolonien Natal, Transvaal, Oranje-Freistaat und der Kapkolonie gegründet

(2) Die Charta gab die Richtung der Gender-Politik des neuen Südafrikanischen Staates vor. Die 12 Artikel beinhalteten die Forderungen nach voller und gleichberechtigter Partizipation von Frauen in der repräsentativen Politik.

(3) www.dw-world.de/dw/article/0,,2181453,00.html

Literaturtipps:

Ballington, Julie / Karam, Azza: Women in Parliament:
Beyond Numbers, International Institute for Democracy and Electoral Assistance - IDEA, (Stockholm 2005)
www.idea.int
The women's Charter for effective equality
(siehe www.anc.org.za/ancdocs/ policy/womchart.htm)

Zur Autorin:
Verena Bauer ist Kultur- und Sozialanthropologin. Sie lernte im Dezember 2010 VertreterInnen der Organisation IDEA bei einer Vortragsreihe in Manila (Philippinen) kennen. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 112, 2/2010, S. 14-15
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
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andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2010