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AFRIKA/924: Liberia - Mit Flüchtlingen aus Côte d'Ivoire überfordert, doch keiner wird zurückgeschickt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Dezember 2010

Liberia: Mit Flüchtlingen aus Côte d'Ivoire überfordert - Doch keiner wird zurückgeschickt

Von Tamasin Ford


Nimba, Liberia, 21. Dezember (IPS) - Albertine Yahwah sitzt auf einer Holzbank und schaukelt ihren Säugling. Die 20-Jährige ist zusammen mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann zu Fuß über die ivorische Grenze in den Norden Liberias geflohen. Drei Tage lang schlug sich die Familie durch den Busch, bevor sie hungrig und erschöpft im Landkreis Nimba ankam.

"Als wir zu den Wahlen gingen, fanden sich die Leute von (Staatspräsident Laurent) Gbagbo in unserem Dorf ein, um uns zu zwingen, für sie zu stimmen", berichtet Yahwah. "Danach hätten uns die Anhänger Ouattaras unter Druck gesetzt, sie zu wählen. Das hat uns Angst gemacht, und deshalb sind wir weg."

Yahwah kommt aus Danane, einer Hochburg der Rebellen von Allassane Ouattara. Der ehemalige Ministerpräsident war zwar als Sieger aus den Novemberwahlen hervorgegangen, doch wurde das Ergebnis von den Gerichten des Landes annulliert.

Staatschef Gbagbo, der vom christlichen Süden unterstützt wird, beanspruchte den Wahlsieg für sich. Der UN-Sicherheitsrat hingegen kannte Ouattara als neuen Präsidenten an. Seither ist das Land gespalten. Armee und Sicherheitskräfte stärken Gbagbo den Rücken, während Ouattara den Rückhalt der Rebellen, der UN, der afrikanischen Führer und des Westens genießt.

"Wenn du Gbagbo wählst, er aber nicht gewinnt, geht es dir ebenso an den Kragen, wie wenn du Alassane wählst und er verliert", berichtet Albertine. Sie und ihre Familie wissen nur zu gut, was es heißt, Zeuge eines Kriegs zu werden. Vor acht Jahren kostete der ivorische Konflikt zwischen den Rebellen im muslimischen Norden und dem von der Regierung kontrollierten christlichen Süden Tausenden von Menschen das Leben.

Die Auseinandersetzungen führten dazu, dass einige Teile von Yahwahs Heimatstadt völlig dem Erdboden gleichgemacht wurden. Eine Wiederholung von 2002 wollte die Familie nicht noch einmal erleben. Mindestens 20 Menschen fanden bereits in der ivorischen Hauptstadt Abidjan den Tod. Die Angst vor einem erneuten Krieg geht um.

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) schätzt die Zahl der ivorischen Flüchtlinge in Liberia auf bisher rund 4.500. Doch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie der Dänische Flüchtlingsrat und 'Equip Liberia' berichten, dass seit dem Ausbruch der Gewalt rund 5.000 Menschen - mehrheitlich Frauen, Kinder und ältere Menschen - aus dem westafrikanischen Land nach Liberia gekommen sind. Die meisten von ihnen leben nicht in Flüchtlingslagern, sondern bei liberianischen Familien.

"Seit der Ankunft der Ivorer ist die Situation schwierig geworden", berichtet Samuel Woleh, der Vorstand einer zehnköpfigen liberianischen Familie in der Stadt Karnplay. Er hat fünf Flüchtlinge in die kleine Lehmhütte seiner Mutter einquartiert. "Dass unsere landwirtschaftlichen Erträge nach wie vor mager sind, macht die Lage nicht leichter. Vor der Ankunft der Ivorer kochten wir sechs Tassen Reis, heute sind es zehn", erzählt er.

Bisher produzieren Liberias Bauern seit dem Ende des 14-jährigen Bürgerkriegs im Jahre 2003 noch nicht genug, um den Eigenbedarf zu decken. Der Zustrom der Flüchtlinge stellt deshalb für die liberianischen Städte und Dörfer eine große Belastung dar.

"Liberia will keine Flüchtlingslagersituation", berichtet George Francis vom Dänischen Flüchtlingsrat. "Freunde und Verwandte aus Côte d'Ivoire können sie für den Anfang noch versorgen. Dennoch ist die Situation kritisch." UNHRC und Welternährungsprogramm (WFP) haben nach eigenen Angaben Lebensmittelvorräte, die für die Versorgung von bis zu 10.000 Menschen reichen.

Eine Stunde von Karnplay entfernt liegt die Kleinstadt Kissiplay, deren Bevölkerungszahl sich seit dem Ausbruch der Flüchtlingswelle im Nachbarland mehr als verdoppelt hat. "Wir haben das Problem, dass wir nicht über ausreichende Nahrung verfügen, die wir mit den Menschen teilen könnten", schildert der Bürgermeister Peter Duo. "Wir haben keine Toiletten und kein sauberes Trinkwasser. Alle Menschen hier haben Hunger."

Mehr als 1.000 Flüchtlinge leben in den kleinen Lehmhütten der Stadt. Liberianische Familien unternehmen alles Mögliche, um ihren bedrängten Nachbarn zu helfen, wissen sie nur zu gut, was es heißt, Opfer eines Krieges zu werden.

Während die Hilfsorganisationen mit der Versorgung der Betroffenen begonnen haben, fehlt es vor Ort nach wie vor an sauberem Wasser und an medizinischem Fachpersonal. "Wir haben das UNHCR informiert, dass wir angesichts des Zustroms so vieler kranker Menschen noch mehr Ärzte brauchen", sagt J. Romax Zizi Junior, der für das regionale Gesundheitszentrum zuständige Beamte. Die meisten Patienten litten an Malaria und akuten Atemwegserkrankungen infolge von Husten und sexuell übertragbaren Krankheiten.

Auch die NGO Equip Liberia, die mehrere kleine Kliniken in Grenznähe betreibt, berichtet über einer Zunahme der Patienten. Hilfsorganisationen und die liberianische Regierung arbeiten daran, um den Flüchtlingen aus Liberia zu helfen.

Obwohl sich das westafrikanische Land selbst noch nicht vom letzten Krieg erholt hat, ist die liberianische Regierung fest entschlossen, keinen Flüchtling zurückzuschicken. Um sie versorgen zu können, sollen Nahrungsmittel und andere Güter aus den Lagerhallen der Städte ins liberianisch-irvorische Grenzgebiet geschafft werden. (Ende/IPS/kb/2010)


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2010