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AFRIKA/931: Brotaufstände in Maputo - Zeit, sich von Versöhnung zu verabschieden (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, September/Oktober 2010

Zeit, sich von Versöhnung zu verabschieden
Kommentar zu den Brotaufständen in Maputo

Von Claudia und Dirk Haarmann


Die Sirenen heulen auf, als der leere Bus neben uns durch die Matola-Mautsperre in Maputo rast. Wir schnell hinterher. Niemand ist da, der dies Warnsignal beachten würde, und wenn doch, dann kümmert es ihn herzlich wenig. Pastor Mabasso betätigt den Warnblinker an seinem Pickup vor uns, und wir antworten - dieses Zeichen der Erleichterung verstehen wir. Wir haben es geschafft mitten durch die am Morgen trostlose Stadt, vorbei an den Überresten von drei Tagen Straßenschlachten zwischen den Einwohnern und der Polizei. Nur noch 10 Kilometer, und wir können die Hauptstadt von Mosambik mit ihren zwei Millionen Einwohnern hinter uns lassen. Endlich können die Kinder ihre Schlafsäcke wieder wegpacken, die sie auf ihren Knien hatten, um sich gegen mögliche Attacken oder auch Querschläger zu schützen.

Es ist Freitag, der 3. September 2010, um 5:45 Uhr, und dies sind die letzten Minuten unseres Fünf-Tage-Besuchs bei der Lutherischen Kirche in Mosambik. Die letzten drei Tage haben wir eingeschlossen in einer Wohnung im Stadtzentrum zugebracht. Durch die Proteste gegen den Anstieg der Lebensmittelpreise um etwa 30 Prozent war die Stadt komplett lahmgelegt. Die Proteste wurden gewalttätig. Sie begannen am 1. September, als die Preiserhöhungen für Brot, Reis und andere Grundnahrungsmittel wirksam wurden. Die Taxifahrer hatten ihren Streik weit im Voraus angekündigt, aber die Regierung hatte die Auswirkungen unterschätzt oder kümmerte sich einfach nicht darum.

An diesem Donnerstagmorgen ist die Luft in der Stadt zum Schneiden dick, voller Rauch von brennenden Reifen, und die Menschen protestieren in den Straßen, sie schreien ihren Hunger heraus. Beim Verlassen des Hotels wurden wir schon gewarnt, uns vorzusehen. Als wir dann aber bei Pastor Mabasso, nur ein paar Straßenzüge weiter, ankamen, war völlig klar: Man konnte weder raus aus Maputo noch hinein. Die Slums rund um die Hauptstadt schlossen sich alle dem Streik an.


"Kein Problem"

Pastor Mabasso sagte: "Kein Problem", ihr könnt so lange hier bleiben - der Präsident wird eine Rede an die Nation halten, wird zum Dialog aufrufen und die Preise wieder senken, ganz wie vor zwei Jahren, als es schon einmal so war. "No problem", der Präsident wird schon verstehen, dass die Leute sich einfach das tägliche Brot nicht mehr leisten können... Aber ein ganzer Tag vergeht, und nur Gewehrfeuer unterbricht die Ruhe des so ungewohnt ruhigen Zentrums. Berichte des privaten TV-Senders über sechs Tote werden gezeigt zusammen mit Bildern von brennenden Reifen, Protestierende, die Autos und Passanten mit Steinen angreifen.

An diesem ersten Tag bringt das nationale Fernsehen Soaps und keinerlei Nachrichten. Am Abend, endlich, spricht der Präsident in den Medien, und wir können die Erschütterung und wachsende Fassungslosigkeit in den Gesichtern derer sehen, mit denen wir unseren Zufluchtsort in der Kirchenwohnung teilen. Der Präsident verurteilt die Gewalt, ruft auf, die Anstifter des Streiks dingfest zu machen. Unnachgiebig hält er daran fest, dass die Polizei schon mit ihnen fertig werden wird, und die Preise werden so hoch bleiben, wie sie sind, keine Senkung. Erschütterung und Fassungslosigkeit, denn jedermann weiß, dass es nicht um einige Anstifter geht, sondern um Menschen, die nichts mehr besitzen, um das tägliche Brot einzukaufen.

Die Krisensitzung des Kabinetts am nächsten Tag bringt die gleiche Meldung: Die Polizei wird es schon richten. Und in der Tat, das tut sie. Es gibt Berichte, dass sie alle ihre Gummigeschosse aufgebraucht haben und von nun an mit scharfer Munition schießen. Die Polizei dementiert das mit Nachdruck. Aber ein Kind, das von einem Querschläger getötet wird, beweist brutal das Gegenteil. Ganz dem Rat der Regierung entsprechend, war das Kind im Haus - oder besser in der Hütte - geblieben, und trotzdem von einer Kugel getroffen worden, die verzweifelte Polizeibeamte in die Luft geschossen hatten. Die Zahl der Toten beläuft sich jetzt auf 11 oder 12 Menschen - niemand weiß das genau. Zu dieser Zeit gibt es erstaunlicherweise in den meisten internationalen Medien überhaupt keine Nachrichten, in Namibia oder Deutschland erfährt man nur etwas durch Internet-Recherche.

Freitag, 3. September, 15 Uhr: Wir haben ein chaotisches Maputo hinter uns gelassen, haben die Grenze nach Südafrika sicher überquert und ein Verkehrspolizist hält uns an, fragt nach dem Führerschein und dem Woher. Wir sprechen von unseren Erfahrungen in Maputo und in aller Aufrichtigkeit sagt er: "Aber jetzt seid ihr in Südafrika, hier seid ihr sicher." "Obwohl, fügt er hinzu, wir streiken auch, aber wir kämpfen nicht." In Sekundenschnelle wird uns die Ironie dieses Satzes klar, denn Südafrika ist das Land mit der höchsten Verbrechensrate in der ganzen Welt, es ist eines der Länder mit den meisten Morden und Vergewaltigungen. Wir scherzen mit dem Polizisten darüber und machen uns Gedanken über die Menschen in Mosambik und ihr Schicksal.

Aber was lernen wir daraus? Die Hauptstadt eines südafrikanischen Staates wird von einem Tag auf den anderen lahmgelegt durch gewalttätige Proteste der Vielen, die es einfach nicht länger aushalten können. Da fallen uns die Gespräche der vergangenen Tage über Entwicklungspolitik ein: Ein Experte hat uns detailliert erklärt, wie er durch Bildung nachhaltige Lebensgrundlagen schaffen will. Dazu müssen die Dorfgemeinschaften ein dreijähriges Training absolvieren, um den Kurs in "Business-Leitlinien" zu bestehen und zu lernen, wie man ein Bienen-Projekt oder eine Baumpflanzung managt. Einige fallen durch, andere schaffen es. Der Entwicklungsexperte meint: "Dann können wir endlich auf Augenhöhe miteinander reden und ihnen Startkapital in die Hand geben." Er selbst muss aber zugeben, dass er Zweifel an der Effektivität der Methode hat. Noch kann er den Erfolg nicht messen. Die letzten zweieinhalb Jahre hat er gebraucht, um seine Mitarbeiter das "Umdenken" zu lehren, um die Gemeinden zu unterrichten - und in sieben Monaten endet sein Vertrag und er ist weg.

Ein weiterer Gedanke: Der stellvertretende Finanzminister von Namibia hat vor ein paar Wochen eine öffentliche Vorlesung gehalten, in der er über eine Stunde lang die entwicklungspolitischen Errungenschaften seiner Regierung anpries, ohne auch nur den Anstieg der Arbeitslosigkeit auf jetzt mehr als 51 Prozent zu erwähnen. Er endete mit einer einzigen zynischen Bemerkung in Richtung der Armutsbekämpfung und Umverteilungsstrategie durch ein Grundeinkommen (BIG / Basic Income Grant) Er zitierte das inzwischen überall bekannte Wort, nach dem man "die Leute das Fischen lehren muss und ihnen nicht Fisch geben soll." "Und das BIG ist ein Fisch!" ruft er. Man mag sich fragen, ob die Aussicht, Fisch zu essen, wirklich so schlimm ist, besonders für das eine Drittel der namibischen Kinder, die, nach UNDP unterernährt sind. Schließlich sollte Namibia, wie Mosambik, eigentlich ein fischreiches Land sein, wenn es nicht überfischt wäre von den industrialisierten Trawlern aus dem Norden.

Es liegt auf der Hand, und jeder weiß es, wir haben einfach zu viel Angst, unsere Ideologie fahren zu lassen, die einzige, die angeblich noch übrig ist: die marktorientierte Wirtschaft, der Kapitalismus - wie man es auch immer nennen mag. Sie schafft und verewigt die Ungerechtigkeit so weit, dass einige ohne etwas dastehen, mit dem sie arbeiten oder ihre Familien ernähren können, während einige wenige in absolutem Luxus und Überfluss schwelgen. Die es geschafft haben, glauben fest an ihre Rechtfertigung, und dass die Welt glücklicherweise oder auch unglücklicherweise so sein muss. Nach guter calvinistischer Überzeugung glauben wir noch immer, dass wir für unseren Reichtum gearbeitet haben und dass wir ihn deshalb verdienen. Der Umkehrschluss gilt dann auch als Wahrheit: Die Armen haben eben nicht genug gearbeitet, um aus ihrer Armut herauszukommen. Wenn der Minister in Namibia seine nächste mosambikanische Riesengarnele verspeist, wird er nicht im entferntesten realisieren, dass die Menschen dort wirklich gut fischen können.

Es gibt in dieser Ideologie zwar Raum für Wohltätigkeit, für gutgemeinte, aber häufig ineffektive Projekte und Startkapital für so genannte "Einkommen schaffende Maßnahmen", aber nicht für Umverteilung und einen Strukturwandel der Wirtschaft, um wirkliche Teilhabe zu ermöglichen. Die Analyse des Problems läuft auf die Abhängigkeitstheorie hinaus, in der der Reichtum armer Staaten von den reichen aufgesogen wird. Sie schaffen ein System von Handelsketten, das die petite Bourgeoisie mit Nachdruck lokal durchsetzt - das weiß eigentlich jeder und viele würden damit übereinstimmen. Aber wenn es darum geht, etwas dagegen zu unternehmen, stößt man auf beharrliche Untätigkeit.

Das Heilmittel ist einfach und liegt auf der Hand: Nur durch einen radikalen Wandel von Einkommen - ja, das heißt, den Leuten Mittel in die Hand zu geben, die sie anders nicht haben - wird man Chancen und Leben für die Massen schaffen. Der Generalsekretär des Kirchenrates in Mosambik sagte im Rundfunk, dass wir als Christen nicht zur Gewalt greifen dürfen. Recht hat er, aber ebenso richtig ist die Warnung Desmond Tutus, der nach der Wahrheitskommission (Truth and Reconciliation Commission) in Südafrika sagte: "Passt auf. Wir können uns von der Versöhnung und Vergebung verabschieden, wenn nicht die Kluft zwischen Reich und Arm - den 'Habenden' und den 'Nicht-Habenden' - schnell und radikal verringert wird." Wenn wir nicht damit aufhören zu begründen, warum die Armen so offensichtlich aus eigener Schuld so arm sind (sie könnten ja etwas herstellen, und es verkaufen, dann etwas sparen...); wenn wir nicht aufhören mit Argumentieren, was noch passieren muss, ehe wir umverteilen; wenn wir nicht anfangen, denen, die nichts haben, Einkommen und Sicherheit zu geben anstatt Auflagen, dann sollten wir uns die Zeit nehmen, genau hinsehen und uns von der Versöhnung verabschieden. Am besten mit einem guten Fisch aus Mosambik und einem eisgekühlten Chardonnay, um unsere Herzen und Sinne zu betäuben!


Die Autoren sind Pastoren; sie haben in Entwicklungsoziologie promoviert und sind Direktoren des Theological Institute for Advocacy and Research in Africa (TARA).


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 4, September/Oktober 2010, S. 19 - 20
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2010