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ASIEN/606: Prekäre Arbeitsbedingungen von Hausangestellten in China (Südwind)


Südwind Nr. 12 - Dezember 2009
Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung

"Wir brauchen geistige Unterstützung"

Die chinesische Feministin Sally Choi erforscht die prekären Arbeitsbedingungen von Hausangestellten in China. Mit Südwind-Redakteurin Michaela Krimmer sprach sie über eine geplante Konvention der International Labour Organisation (ILO) und kreative Organisationsmethoden in China.


SÜDWIND: Die ILO arbeitet an einer Konvention zu Hausangestellten. Wie geht der Prozess voran?

SALLY CHOI: Wir wollen, dass formelle und informelle Arbeit vom Gesetz her gleich behandelt werden. Theoretisch sollten Haushaltsangestellte die gleichen Rechte genießen wie angestellte Arbeiterinnen und Arbeiter. Viele Regierungen und Arbeitgeber, sogar Gewerkschaften erkennen Hausangestellte nicht einmal als Arbeiter an. Das heißt, es gibt keine Sozialversicherung, keine Arbeitsgesetze, die die Arbeit regulieren, keine Möglichkeit, eine Gewerkschaft zu bilden. Die meisten Beschäftigten in diesem Sektor sind Frauen, mit einem sehr hohen Anteil Migrantinnen. Eine Schicht, für die sich wenige einsetzen wollen. Sehr viele der Frauen sind sexueller Belästigung ausgesetzt. Bis August 2009 konnten weltweit Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ihre Meinung und Vorschläge einbringen, was eine ILO-Konvention zu Hausangestellten beinhalten sollte. Jetzt läuft gerade das Lobbying: Die Gewerkschaften in den jeweiligen Ländern müssen überzeugt werden, dass sie sich starkmachen für diese Konvention, die die einzelnen Länder dann ratifizieren sollten. Bis 2011 soll die Konvention stehen.

SÜDWIND: Wie stehen die Chancen, dass China die Konvention ratifiziert?

SALLY CHOI: Die Chance ist sehr gering. Als ersten Schritt hat die ILO in Peking die Gewerkschaft, die All Women Federation und NGOs eingeladen, um ihnen die Konvention zu erklären. Die chinesische Gewerkschaft ist nicht sehr begeistert. In den Medien und den Gewerkschaftszeitungen wurde kein einziges Wort über die geplante Konvention verloren. Bei einem Treffen im Juni in Genf haben die europäischen und US-amerikanischen Gewerkschaften die Konvention sehr positiv aufgenommen. Die asiatischen Gewerkschaften waren jedoch skeptisch.

SÜDWIND: Was ist der Grund für die Ablehnung?

SALLY CHOI: In China sind Hausangestellte nicht einmal als Arbeiterinnen registriert. Sie sind dadurch extrem von Ausbeutung bis hin zu Sklaverei betroffen. Die meisten Mitglieder der chinesischen Gewerkschaft beschäftigen selbst - sehr billige - Hausangestellte. Es gibt da einen Interessenskonflikt. In anderen asiatischen Ländern sind die meisten Hausangestellten, vor allem die, die permanent bei den Familien wohnen, Migrantinnen. Deswegen will die Gewerkschaft sich nicht zuständig fühlen.

SÜDWIND: Wie ist es um die Zivilgesellschaft in China bestellt?

SALLY CHOI: Das Konzept der Zivilgesellschaft ist in China noch sehr neu. Früher bestand China nur aus Planwirtschaft und einem autoritären politischen System. Seit der Öffnung der Wirtschaft in den 1980er Jahren ist auch die Zivilgesellschaft gewachsen. Natürlich gibt es noch immer nur eine Partei und das wird sich in naher Zukunft auch nicht ändern. Alle NGOs, die sich um Arbeitsrechte kümmern, sind unter genauer Beobachtung und Kontrolle. Die Hälfte unserer Partnerorganisationen hat keinen legal registrierten Status zugestanden bekommen. Sie konnten sich nur als Unternehmen eintragen lassen, müssen jetzt Steuern zahlen und ihre Förderungen werden von der Regierung überwacht. Sobald sie Forschungsergebnisse zu Arbeitsbedingungen publizieren, kann der Vorwurf, Staatsinteressen zu unterwandern, kommen. Sogar wenn NGO-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ausland sind, passen sie auf, was sie sagen. Die Selbstzensur ist teilweise schon stärker als die staatliche.

SÜDWIND: Welche Strategien wählt die chinesische Zivilgesellschaft, um weiterarbeiten zu können?

SALLY CHOI: Die chinesische Zivilgesellschaft braucht geistige Unterstützung. Es ist wichtig zu wissen, dass wir nicht alleine und isoliert sind. Der Geist der Solidarität ist wichtig für die, die ums Überleben kämpfen. Das Wissen, dass andere Arbeiterbewegungen auch ihre Kämpfe hatten und nicht alles immer leicht war, ist auch für unseren Kampf wichtig.

Sie nimmt auch viele Strategien des Auslands auf, um Arbeiterinnen und Arbeiter zu organisieren, obwohl sie sie meist umformen muss. Um mit den Schranken des Systems umzugehen, müssen wir flexibel und kreativ sein. Die chinesische Zivilgesellschaft entwickelt innovative Wege, um die Arbeiter - Frauen und Männer - zusammenzubringen, vor allem die Wanderarbeiter. Zum Beispiel wird QQ, ein freies Computerprogramm, genutzt, um die Arbeiter via Handy und Internet auf dem Laufenden zu halten, Treffen auszumachen und sie im ganzen Land zu erreichen. Andere Arbeiterbewegungen in asiatischen Ländern haben diese Methode gleich aufgegriffen. Es gibt also einen echten Austausch und eine echte Vernetzung zwischen der Zivilgesellschaft innerhalb Asiens und mit anderen Kontinenten.

Auch kreativ ist eine andere Art der Organisierung: Es gibt einen unter Wanderarbeitern sehr berühmten Sänger. Er war selbst früher Wanderarbeiter und singt über das Leben, Leiden, Lieben und die Erfahrungen der Wanderarbeiter. Es gibt nun Chöre von Wanderarbeitern, die seine Lieder nachsingen, und sich so strategisch vernetzen und organisieren - unter dem Deckmantel der Kultur.


Sally Choi ist Koordinatorin des Chinaprogramms des in Hong Kong ansässigen Asia Monitor Resource Center, einer NGO, die v.a. Forschungen zu Arbeitsbedingungen und Fortbildungen für (Wander-)ArbeiterInnen in ganz China betreibt.


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Quelle:
Südwind - Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung
30. Jahrgang, Nr. 12/2009 - Dezember 2009, Seite 10
Herausgeber: Südwind-Entwicklungspolitik (ehem. ÖIE)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2010