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ASIEN/630: China - Prostituierte stehen nicht mehr am Pranger, Regierung lenkt ein (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. August 2010

China: Prostituierte stehen nicht mehr am Pranger - Regierung lenkt nach Protesten ein

Von Kit Gillet


Peking, 9. August (IPS) - Die chinesische Regierung hat ihre harte Haltung gegenüber Prostituierten gelockert. Käuflicher Sex bleibt in der Volksrepublik zwar verboten, jedoch darf die Polizei Huren nicht mehr öffentlich diskriminieren. Tausende Menschen hatten kürzlich in Internet-Foren dagegen protestiert, dass zwei Sexarbeiterinnen in Handschellen durch die südchinesische Stadt Dongguan geführt wurden.

Das Ministerium für öffentliche Sicherheit reagierte mit seinem Beschluss Ende Juli offenbar auf massiven öffentlichen Druck. Politische Beobachter sehen die Beschwerden als Zeichen dafür, dass sich die Einstellung der Gesellschaft zur Prostitution zu ändern beginnt.

Im Zuge der chinesischen Kulturrevolution wurden ab Mitte der sechziger Jahre zahlreiche mutmaßliche Kriminelle der Öffentlichkeit vorgeführt und in Schauprozessen verurteilt. In den achtziger Jahren nahmen die Behörden allerdings von solchen Maßnahmen Abstand. Nur Prostituierte wurden nach wie vor durch eine öffentliche Zurschaustellung gedemütigt.

Noch vor vier Jahren verhöhnte eine aufgebrachte Menge in der südlichen Stadt Shenzhen mehr als hundert Prostituierte, die an den Schaulustigen vorbeigeführt wurden. Eine zunehmende Zahl von Chinesen beschwerte sich allerdings in der letzten Zeit darüber, dass die Polizei beispielsweise Journalisten erlaubte, Sexarbeiterinnen zu fotografieren und diese Bilder zu verbreiten.

Der berühmte Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte, war die umstrittene Polizeiaktion im vergangenen Monat in Dongguan. Die beiden Prostituierten wurden barfuß und an den Händen gefesselt an einem um ihre Hüften geschlungenen Seil durch die Stadt geführt und dabei fotografiert. Die öffentliche Entrüstung über diese erniedrigenden Praktiken war so groß, dass der verantwortliche Polizeibeamte für einen Monat vom Dienst suspendiert wurde.

"Glücklicherweise kann die Regierung nicht mehr so weitermachen. Nur noch wenige Leute im Land unterstützen ein solches Vorgehen", sagte He Weifang, der an der renommierten 'Peking University' Rechtswissenschaften lehrt. Die Behörden hätten damit ohnehin nur erreicht, dass Prostituierten endgültig jede Rückkehr zu einem normalen Leben verwehrt blieb.

Ähnlich äußerten sich diejenigen, die nach dem Zwischenfall in Dongguan ihrem Zorn im Internet Luft machten. "Prostituierte sind auch Menschen. Wo bleibt der Respekt?" hieß es in einem Eintrag in einem Online-Forum. "So darf es nicht weitergehen", forderte ein anderer Kritiker. "Entweder das Sexgewerbe wird legalisiert, oder die Regierung muss andere Jobs für die Prostituierten finden."

Die Regierung kam nicht umhin, die Polizei zu ermahnen, künftig auf eine "rationale, ruhige und zivilisierte Weise" vorzugehen.

Vorerst bleibt Prostitution allerdings illegal. Bei der ersten Verurteilung können eine Geldstrafe von umgerechnet bis zu 739 US-Dollar und Haft bis zu zwei Wochen verhängt werden. Im Wiederholungsfall drohen sogar zwei Jahre Umerziehungslager.

Der Menschenrechtsanwalt Gao Fuguo aus Shandong berichtete von weiteren Diskriminierungen, denen Prostituierte hinter Gittern ausgesetzt seien. "Einige von ihnen werden im Gefängnis angegriffen. Manchmal müssen sie dort sogar nackt herumlaufen", sagte er.

Wie viele Sexarbeiterinnen jährlich verhaftet werden, ist nicht öffentlich bekannt. Chinesische Medien berichteten, dass allein in Peking im Mai etwa 1.100 Verdächtige festgenommen wurden.

In der Stadt Wuhan sahen sich im folgenden Monat auch zahlreiche Freier an den Pranger gestellt. Ihre Identitäten wurden zusammen mit den Namen mehrerer festgenommener Prostituierter auf einem Plakat außerhalb der zuständigen Polizeiwache publik gemacht. Ein Sicherheitsbeamter, der anonym bleiben wollte, hat sich inzwischen aber in der Zeitung 'People's Daily' von solchen Maßnahmen distanziert.

Die Reaktion der Behörden auf die Polizeiaktion in Dongguan hat kürzlich mehrere Frauen dazu ermutigt, in der Stadt Unterschriften für eine Petition zur Legalisierung der Prostitution zu sammeln.

Sie habe immer gehofft, dass sich die Situation von Prostituierten allmählich verbessern würde, sagte die Initiatorin der Petition, Ye Haiyan, dem Nachrichtenportal 'Global Voices Online'. "Die irrsinnigen Razzien in diesem Jahr haben mich jedoch entmutigt", gestand die Gründerin der Organisation 'Chinese Women's Rights Workshop'. Daraufhin habe sie sich zu dem Protest entschlossen. Ye wurde von der Polizei festgenommen, kam aber wenig später wieder frei. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2010