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ASIEN/648: Pakistan - Erst der Krieg, dann die Flut - kaum Hilfe für afghanische Flüchtlinge (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. September 2010

Pakistan: Erst der Krieg, dann die Flut - Kaum Hilfe für afghanische Flüchtlinge

Von Ashfaq Yuzufzai


Peschawar, 8. September (IPS) - Die Flutkatastrophe im Nordwesten Pakistan hat nicht nur Einheimische schwer getroffen. Auch die auf 1,7 Millionen geschätzten Flüchtlinge aus dem benachbarten Afghanistan stehen vor dem Nichts. Sie haben zum zweiten Mal alles verloren, was sie besaßen.

Unzählige Häuser sind bei den Überschwemmungen zerstört worden. Viele Afghanen versuchen nun über die 'Great Trunk Road', eine der ältesten und wichtigsten Fernstraßen in Asien, aus der Provinz Khyber Pakhtunkhwa in die Hauptstadt Islamabad zu gelangen.

Andere müssen an Ort und Stelle bleiben, um kranke Verwandte zu versorgen. Auf der Suche nach den dringend benötigten Gütern kam es bereits zu tragischen Unglücken. Fünf Frauen wurden überfahren, als sie Lastern nachliefen, in denen sie Hilfslieferungen vermuteten.

Nach offiziellen Schätzungen sind etwa 20 Millionen Menschen in Pakistan von den seit mehr als einem Monat anhaltenden Überschwemmungen betroffen. Dies entspricht rund einem Zehntel der gesamten Bevölkerung des Landes.

Unklar ist, ob die Afghanen bereits in die Statistiken eingerechnet wurden. Den Flüchtlingen ist bewusst, dass ihre Nöte für die pakistanischen Behörden keine Priorität haben.

Der Zustrom von Vertriebenen aus Afghanistan hatte bereits vor drei Jahrzehnten eingesetzt, nachdem das Land von sowjetischen Truppen besetzt worden war. Alle registrierten Flüchtlinge haben ein Bleiberecht bis Dezember 2012. Mit Hilfe der Vereinten Nationen kehren inzwischen jedes Jahr mehrere Hunderttausend in die Heimat zurück.


17 Flüchtlingslager überschwemmt

Wie der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) mitteilte, wurden bei den heftigen Monsunregenfällen Lager in 17 Distrikten von Khyber Pakhtunkhwa überflutet. Über 12.600 Unterkünfte wurden zerstört, etwa 85.800 Flüchtlinge haben nun kein Dach mehr über dem Kopf.

Das zerstörte Flüchtlingslager Azhakhel - Bild: Ashfaq Yusufzai/IPS

Das zerstörte Flüchtlingslager Azhakhel
Bild: Ashfaq Yusufzai/IPS

Hunderttausenden Menschen stehen so gut wie keine Lebensmittel und wenig Trinkwasser zur Verfügung. Infolgedessen sind viele von ihnen inzwischen erkrankt. Medizinische Hilfe erhalten die meisten nicht.

"Ich habe überall versucht, Geld aufzutreiben, um meine Kinder im Krankenhaus behandeln lassen zu können", berichtete der Afghane Rasool Shah. Der 31-Jährige hatte in einem Camp einen kleinen Laden, der von den Wassermassen fortgespült wurde. Nun steht er völlig mittellos da.

"Ärzte hier am Ort rieten mir dazu, die Kinder wegen ihres chronischen Durchfalls in eine Klinik zu bringen", sagte er. "In den Krankenhäusern werden wir jedoch nicht kostenlos behandelt."

Lubna Hassan, die Vorsitzende der pakistanischen Vereinigung der Gynäkologen und Geburtshelfer, bemerkte eine deutliche Ungleichbehandlung von Pakistanern und Ausländern. Die Einheimischen erhielten reichlich medizinische Hilfe, sagte sie IPS. Die afghanischen Flüchtlinge würden dagegen offensichtlich von der Regierung im Stich gelassen.

Ärzte in einer Krankenstation nahe dem überschwemmten Flüchtlingslager Azhakhel warnten davor, dass sich die ohnehin schon schlimme Lage in den kommenden Tagen weiter zuspitzen könnte.

"Die meisten ehemaligen Bewohner des Lagers leiden an Diarrhö, Typhus, Krätze und Malaria, weil sie kein sauberes Trinkwasser bekommen", sagte der Arzt Riaz Alam. Er und seine Kollegen versorgten täglich mehr als 300 Patienten, zumeist Frauen und Kinder, die aufgrund der Flutfolgen erkrankt seien.

Hassan berichtete zudem von rund 700 Schwangeren, die nicht ausreichend versorgt würden. Viele von ihnen seien anämisch, sagte die Frauenärztin. Da sie weder die erforderlichen Medikamente noch ausgewogenes Essen erhielten, würden ihre Babys wahrscheinlich krank geboren.


Zahlreiche Kinder an Durchfällen erkrankt

Auch ein Großteil der Flüchtlingskinder hat gravierende Gesundheitsprobleme. Laut dem Vizepräsidenten der pakistanischen Vereinigung der Kinderärzte, Sabir Ali, leiden 75 Prozent dieser Kinder an Durchfällen und 35 Prozent an Hautentzündungen. Etwa 85 Prozent seien mangelernährt. Wegen der mangelnden Hygiene hat Ali wenig Hoffnung, dass sich die Situation der afghanischen Flüchtlinge in nächster Zeit bessert.

Die meisten der von der Flut zerstörten Lager befanden sich im Umkreis der Provinzhauptstadt Peschawar. In Azhakhel lebten vor der Katastrophe etwa 23.000 Menschen. UNHCR stellte ihnen inzwischen 1.100 Zelte zur Verfügung - zu wenig für alle Obdachlosen. Zudem gibt es in dem Überschwemmungsgebiet keine Möglichkeiten, die Zelte überhaupt aufzustellen.

Viele von den Wassermassen vertriebene Afghanen harren nun am Rand der 'Great Trunk Road' aus und warten auf Fahrzeuge, die sie mitnehmen können. Einige Familien haben in ihrer Verzweiflung ihre Zelte sogar mitten auf der Straße aufgeschlagen. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2010