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ASIEN/704: Pakistan - "Die Taliban vernichten!", Einheimische im Nordwesten für Drohnen-Einsätze (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Januar 2011

Pakistan: "Die Taliban vernichten!" - Einheimische im Nordwesten für Drohnen-Einsätze

Von Ashfaq Yusufzai


Nord-Waziristan, Pakistan, 4. Januar (IPS) - Jehangir Alam, Professor für politische Wissenschaften am staatlichen College im nordpakistanischen Mardan in der Provinz Khyber Pakhtunkh ist überzeugt: "Bei den Menschen hier finden die Drohneangriffe immer mehr Zustimmung. Weil sie ihre Ziele immer genauer treffen, verringert sich die Gefahr, dass Unschuldige dabei zu Schaden kommen."

Ähnlich schätzen auch andere politische Analysten der Region die Stimmung der Bevölkerung in den nordpakistanischen Stammesgebieten (FATA) im Grenzgebiet zu Afghanistan ein, die seit Jahren unter Krieg, islamistischem Terror, Flüchtlingselend und Naturkatastrophen zu leiden haben.

"Die USA können auf eine lange und eindrucksvolle Erfolgsliste verweisen, seitdem sie unbemannte Flugzeuge einsetzen. Die Leute schätzen die Drohnenangriffe, weil sie sich gegen El-Kaida und die Taliban richten", betonte Taza Gul. Er unterrichtet am College in Bannu, einem der 24 Bezirke der Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Seit Beginn der massiven Operation der pakistanischen Streitkräfte gegen Aufständische in Süd-Waziristan 2007 haben sich etwa 100.000 Menschen hierher geflüchtet.

"Die USA sollten die Drohnenangriffe ausweiten und Taliban möglichst bald vernichten, damit wir in unsere Heimat zurückkehren können", erklärte Shah Wali. "Die Taliban sind für unser Elend verantwortlich", klagte der Flüchtling empört. Er hatte in Süd-Waziristan einen Laden besessen.

Mit den Angriffen unbemannter, raketenbestückter Drohnen auf vermutete Rückzugsgebiete afghanischer Taliban und auf Hochburgen von Al-Kaida-Anhängern in den schwer zugänglichen Gebirgstälern von Nord- und Süd-Waziristan, Khyber und Bajaur versuchen die USA seit fast sieben Jahren, Anführer der militanten Islamisten zu eliminieren. Beim ersten Angriff durch US-Drohnen am 18. Juni 2004 starb in Süd-Wasiristan der charismatische Paschtunenkämpfer Nek Muhammad Wazir.

2005 kamen Abu Hamza Al Baseer, die Nummer drei des islamistischen Terrornetzes Al-Kaida, und vier weitere Personen durch US-Drohnen ums Leben. Seit 2007 verstärkten die USA von Afghanistan aus den Einsatz von Drohnen. Immer wieder starben und sterben dabei auch zahlreiche unbeteiligte Zivilisten. Allein seit Jahresbeginn 2011 wurden bei Drohnenangriffen auf Nordpakistan 37 Menschen getötet. Eine Woche zuvor hatte es nach Angaben von Mitarbeitern des pakistanischen Geheimdienstes (ISI) bei Raketenangriffen 37 Tote gegeben.

Insgesamt wurden in den nordpakistanischen Stammesgebieten bislang 2.049 Personen bei immer massiver werdenden, international kritisierten Drohnenangriffen getötet. 2009 gab es bei rund 50 Angriffen durch US-Drohnen mindestens 415 Tote, darunter nach amtlicher Darstellung zahlreiche ausländische Kämpfer.


2010: 123 Drohnenangriffe mit 605 Toten

2010 wurden bei insgesamt 112 Raketenangriffen auf westliche Stammesgebiete überwiegend in Nord-Waziristan 605 Menschen getötet: 507 Pakistaner und 98 Ausländer. Als US-Drohnen am 28. Dezember im Nordwesten Pakistans mehr als 15 mutmaßliche Aufständische töteten, äußerte sich die pakistanische Nationalversammlung außerordentlich besorgt. Die Volksvertreter verlangten von der US-Regierung die sofortige Einstellung der Raketenangriffe.

Die unabhängige, in Washington ansässige politische Denkfabrik 'New America Foundation' aktualisierte zur Jahreswende ihren nach eigenen Angaben auf zuverlässigen Pressequellen gestützten Bericht über die Drohnenangriffe in Pakistan (2004-2011). Darin wird die Zahl der dabei zu Tode gekommenen Menschen auf 1.372 bis 2.125 geschätzt, die Zahl der getöteten Kämpfer auf 1.061 bis 1.584.

"Drohnen sind hier ungeheuer beliebt", versicherte Hameed Akhtar, ein Journalist aus Miramshah, Nord-Waziristan gegenüber IPS. "Die einheimische Bevölkerung begrüßt jeden Angriff. denn die Gefahr, ins Visier von Drohnen zu geraten, raubt den Kämpfern den Schlaf. Alle drei bis fünf Tage schweben unbemannte Flugkörper über Nord-Waziristan und feuern Raketen ab, sobald sie ihre Ziele ausgemacht haben."

Pakistan, dessen Streitkräfte die Taliban-Rebellen bislang wenig erfolgreich bekämpfen, würde die Raketenangriffe gern in eigener Regie übernehmen und hat die US-Regierung um Drohnen gebeten. Die Antwort auf dieses Ansinnen steht bislang aus.

Washington setzt offenbar kein großes Vertrauen in die Regierung in Islamabad. Im Juni vergangenen Jahres veröffentlichte die Londoner 'School of Economics' die Ergebnisse einer eigenen Untersuchung, die auf enge Beziehungen zwischen Mitarbeitern pakistanischer Geheimdienste und afghanischen Taliban hinwiesen. So hatten Feldkommandeure der Taliban in Interviews behauptet, Agenten des pakistanischen Geheimdienstes (ISI) hätten sogar an Zusammenkünften des obersten Taliban-Rates teilgenommen. Die US-Regierung bestätigte später den Bericht.


Pakistanische Militärs kollaborieren mit Taliban-Kämpfern

Nach Angaben von Regierungsbeamten in Washington können die im Süden Afghanistans operierenden Talibankämpfer ihre Angriffe nur mit direkter Unterstützung pakistanischer Militärs ausweiten. Dabei hatte die pakistanische Regierung versprochen, sie werde die Beziehungen zu in Afghanistan kämpfenden militanten Gruppen abbrechen.

"Die USA wollen von Pakistans Regierung nichts mehr wissen und tun alles, um gegen die Taliban in den Stammesgebieten vorzugehen", erklärte der politische Analyst Jafar Hussain. "Weder die USA noch ihre NATO-Verbündeten geben sich mit Pakistans Terrorismus-Bekämpfung zufrieden. Deshalb verlassen sie sich jetzt ausschließlich auf den Einsatz von Drohnen", stellte er fest. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2011