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ASIEN/735: Bhutan - Keine Rückkehr ethnischer Nepaler, halbherziges Gesprächsangebot (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. April 2011

Bhutan: Keine Rückkehr ethnischer Nepaler - Halbherziges Gesprächsangebot

Von Sudeshna Sarkar


Katmandu, 21. April (IPS) - Das nächtliche Hämmern an seiner Tür machte aus dem bhutanischen Regierungsbeamten Balaram Paudyal über Nacht einen Flüchtling. Mit knapper Not entkam er der Polizei, die ihn wegen 'regierungsfeindlicher Umtriebe' festnehmen wollte.

Paudyal lebt seit 20 Jahren mit Tausenden Schicksalsgenossen in einem Camp in Nepal. Die Mitte des Monats von Bhutan neu bekundete Bereitschaft, die seit acht Jahren unterbrochenen Repatriierungsgespräche fortzusetzen, weckte bei vielen Lagerinsassen die Hoffnung auf eine Rückkehr ins Heimatland Bhutan. Doch am 17. April kam die Ernüchterung: So erklärte Bhutans Regierungschef Jigmi Thinley zum Abschluss eines dreitägigen Nepal-Besuchs, dass die Identität der Flüchtlinge erneut verifiziert werden müsste.

Die Betroffenen selbst halten die Forderung für eine alt bekannte Hinhaltetaktik. "Nepal und Bhutan haben die Flüchtlinge in Khudunabari, einem der sieben Lager in den nepalischen Bezirken Jhapa und Morang, bereits vor vielen Jahren überprüft", meinte dazu T. P. Mishra, der in den USA lebende Redakteur des 'Bhutan News Service' (BNS). "Obwohl sich die meisten als wahre Bhutaner herausstellten, wurde nicht einer repatriiert."

Mishra und Paudyal gehören zu den hinduistischen Flüchtlingen, die Bhutan nach Protesten gegen die in den 1980er Jahren vom damaligen König Jigme Singye Wangchuk eingeführte Eine-Nation-eine-Kultur-Politik verlassen mussten. Sie wehrten sich gegen die Oktroyierung der buddhistischen Drukpa-Kultur, der drei Viertel der Bevölkerung Bhutans folgen.

Beantwortet wurden die Proteste mit Verhaftungen für angeblich antinationale Aktivitäten, Repression durch Polizei und Armee und weitere Menschenrechtsverletzungen. Letztendlich führte der Druck zu einem Massenexodus aus dem südlichen Bhutan via Indien nach Nepal. Ethnische Nepalesen, die in Bhutan geblieben sind, werden nach wie vor als Bürger zweiter Klasse behandelt.


Entnationalisierungskampagne

Zehntausende nepalesische Lhotsampa wurden seit Ende der 1980er Jahre ihrer bhutanischen Staatsbürgerschaft beraubt. "Einige wurden aus Bhutan vertrieben, während andere das Land verließen, um einer Kampagne willkürlicher Festnahmen und Haft gegen ethnische Nepalesen zu entgehen", so die internationale Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) in ihrem 2007 veröffentlichten Bericht 'Last Hope'.

Etwa ein Fünftel der Bevölkerung sah sich gezwungen, ihr Heimatland zu verlassen. Die meisten erreichten Nepal in den 1990er Jahren, nach der Durchquerung Indiens, das die Himalajastaaten voneinander trennt. Der immer größere werdende Flüchtlingsstrom veranlasste Nepal schließlich, das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) um Hilfe anzurufen. 1992 startete das UNHCR mit dem Welternährungsprogramm WFP und anderen nichtstaatlichen Partnern ein Nothilfeprogramm für die Ankömmlinge, deren Zahl zwischen 2006 und 2007 auf 108.000 anstieg. Hinzu kamen weitere 20.000, die ihr Dasein damals außerhalb der nepalischen Lager fristeten.

Das Leben in den Flüchtlingscamps ist eine Geschichte von Not und Entbehrung. Viele Familien wohnen mehr schlecht als recht in Ein-Zimmer-Behausungen und müssen sich eine Latrine teilen. Sobald die Sonne untergeht, herrscht Nacht, denn Strom ist nicht vorhanden. Im Sommer kommt es immer wieder zu Bränden, in der Regenzeit setzen Wolkenbrüche die Hütten unter Wasser. Innerfamiliäre Gewalt, Alkoholismus, Prostitution und HIV/Aids sind verbreitet.

Nepal gewährt den Flüchtlingen zwar Asyl, erlaubt ihnen aber nicht, einer bezahlten Arbeit nachzugehen oder eigene Unternehmen zu gründen. Dadurch soll verhindert werden, dass sie auf dem lokalen Arbeitsmarkt eine Konkurrenz darstellen.

Bhutan und Nepal hatten sich vor Jahren auf einen international umstrittenen Prozess zur Verifizierung der Flüchtlinge geeinigt. So wurden die Camp-Insassen in vier Gruppen eingeteilt: Zwangsexilierte, freiwillig Ausgewanderte, Nicht-Bhutaner und Kriminelle, zu denen auch diejenigen gezählt wurden, die sich an vermeintlichen antinationalen Aktivitäten beteiligt und für die Einführung der Demokratie stark gemacht hatten. Die volle Verantwortung wollte Bhtuan nur für Flüchtlinge der ersten Kategorie übernehmen. Doch bisher wurde nicht einem einzigen Lhotsampa die Heimkehr erlaubt.


Erfolgreiche Ansiedlung in Drittstaaten

Der Stillstand des Repatriierungsprozesses veranlasste westliche Staaten unter Führung der USA schließlich dazu, sich für eine Drittstaatenlösung einzusetzen, die sich zur größten Erfolgsgeschichte des UNHCR herausstellen sollte. Mit Unterstützung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verließen bis 2010 rund 40.000 Flüchtlinge die nepalischen Lager. Von den 72.733 verbliebenen Flüchtlingen haben zudem 55.000 Interesse an einer Umsiedlung angemeldet, die laut UNHCR bis 2014 abgeschlossen sein soll.

Bei seinem Nepal-Besuch erklärte Bhutans Ministerpräsident Jigmi Thinley: "Sie (die in Nepal verbliebenen Lhotsampa) sind Wirtschaftsflüchtlinge, Umweltflüchtlinge und Flüchtlinge politischer Instabilität. Und sie sind Opfer von Umständen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen." Dennoch, so Thinley auf einer Pressekonferenz zum Abschluss seines Nepal-Besuchs am 17. April, müsse geprüft werden, wer nach Bhutan zurückkehren dürfe.

Für die Flüchtlinge ist das Verhandlungsangebot Bhutans Teil eines elendigen politischen Spiels, in dem sie selbst die Verlierer sind. Sie haben eine politische Partei gegründet, die 'Bhutan People's Party' (BPP). Die BPP forderte den neuen bhutanischen König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck auf, die Repatriierungsgespräche innerhalb dieses Jahres wieder aufzunehmen. Ansonsten werde man eine härtere Gangart einlegen, kündigte der BPP-Vorsitzende Paudyal an.

Der Journalist Mishra verwies auf die Existenz einer Maoistengruppe, die offenbar beabsichtigt, Bhutan mit Hilfe eines Aufstands zu stürzen. Die Gruppe erfreut sich in den nepalischen Flüchtlingslagern eines großen Zulaufs. Parallelen zur jüngeren nepalischen Geschichte sind schnell gezogen. So kam es in Nepal nach einem zehnjährigen Krieg gegen König Gyanendra 2008 zu Wahlen, die das Ende der Monarchie besiegelten.

"Die Geschichte zeigt, dass man die Menschen letztendlich nicht in die Knie zwingen kann", warnte Paudyal. "Wenn der bhutanische König die Warnung in den Wind schlägt, wird er am Ende der Verlierer sein. Die Menschen werden obsiegen." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.hrw.org/en/node/10953/section/1
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55321

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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2011