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ASIEN/762: Japan - Hiroshima-Gedenken im Zeichen von Fukushima, Kernkraft zunehmend umstritten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. August 2011

Japan: Hiroshima-Gedenken im Zeichen von Fukushima - Kernkraft zunehmend umstritten

Von Suvendrini Kakuchi


Tokio, 5. August (IPS) - Matashichi Oishi kommt jedes Jahr am 6. August nach Hiroshima, um der Opfer des Atombombenabwurfs 1945 zu gedenken. Der 78-Jährige wurde neun Jahre später an Bord eines japanischen Fischerbootes verstrahlt, als die USA auf den pazifischen Bikini-Atoll eine Wasserstoffbombe testeten. Nach der Havarie im Kernkraftwerk Fukushima wird die Rede des ehemaligen Seemanns in diesem Jahr eine besondere Brisanz haben.

"Vor dem Hintergrund des verheerenden Unfalls in Fukushima werde ich darüber sprechen, dass es für Japan absolut notwendig ist, nicht nur auf die Abschaffung von Nuklearwaffen hinzuarbeiten, sondern sich auch vollständig unabhängig von Kernenergie zu machen", sagte Oishi, der inzwischen an Lungenkrebs leidet, im Gespräch mit IPS.

Seine Worte spiegeln wider, in welch hohem Maß Atomenergie in Japan inzwischen als Bedrohung für den Frieden gesehen wird. Diese Gefahr erscheint seit dem schweren Erdbeben und dem Tsunami am 11. März als realistisch. Fukushima und die nordöstlichen Küstenregionen Japans wurde verwüstet, und das Atomkraftwerk trug schwere Schäden davon.

Der weltweit erste Atombombenabwurf auf Hiroshima vor 66 Jahren war hingegen eine kriegerische Handlung. Als die USA kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs Uranbomben über Hiroshima und Nagasaki abwarfen, kam fast die gesamte Bevölkerung ums Leben. Beide Städte wurden zu Symbolen für die Notwendigkeit eines weltweiten Friedens. In der Bewegung gegen Atomwaffen stehen Hiroshima und Nagasaki an vorderster Stelle.

Wie Oishi werden sich Tausende Friedensaktivisten gemeinsam mit Regierungsvertretern und Politikern in Hiroshima versammeln, um sich öffentlich für eine Welt ohne Kernwaffen und ein Verbot der Atomenergie auszusprechen.


Bürgermeister starten Appell an Regierung

In ihren Ansprachen werden sich die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki, Kazumi Matsui und Tomihisa Taue, auf die Auswirkungen der Katastrophe von Fukushima beziehen. Sie werden an die Regierung in Tokio appellieren, die Nutzung erneuerbarer Energien voranzutreiben. "Die Zentralregierung sollte sich verantwortlich zeigen und die Frage der Atomenergie angehen", fordert Matsui, aus dessen Manuskript die japanische Presse zitierte.

Oishi erinnert daran, dass er bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert auf eine Abschaffung der Kernenergie dringt. Als 19-Jähriger fuhr er auf einem Thunfisch-Trawler mit, als die USA auf dem Bikini-Atoll einen Atomtest durchführten. Die gesamte Crew wurde verstrahlt. Die Bewohner der umliegenden Inseln mussten umgesiedelt werden.

Der Vorfall sorgte in Japan für Empörung. Doch aufgrund der heiklen politischen Situation zu jener Zeit - es herrschte der Kalte Krieg und zwischen den USA und der früheren Sowjetunion fand ein atomares Wettrüsten statt - wurden Oishi und seine Kollegen dazu gezwungen, auf eine juristische Verfolgung des Falls zu verzichten. 14 der 23 Japaner auf dem Fangboot bekamen Krebs, zehn von ihnen sind inzwischen gestorben.

Ayako Ooga, die durch die Tsunami-Katastrophe ihr Dach über dem Kopf verloren hat, wohnt etwa 150 Kilometer von den beschädigten Reaktoren entfernt in einer provisorischen Unterkunft. Das bevorstehende Hiroshima-Gedenken sieht sie als Moment, in dem die Bevölkerung solidarisch zusammenstehen wird. "Wir müssen uns anderen Opfern wie Oishi verbunden fühlen, weil auch wir Strahlung abbekommen haben", sagte sie.

Michiji Konuma von der in Japan ansässigen 'World Peace Appeal Group' erklärte, dass der Unfall von Fukushima gezeigt habe, wie wichtig es sei, die Öffentlichkeit stärker auf die Risiken der Atomkraft aufmerksam zu machen. Der Physiker führt seit längerer Zeit Kampagnen durch, um die Gefahren nuklearer Strahlung für die menschliche Gesundheit aufzuzeigen.


Gruppe von Intellektuellen will Bevölkerung über Atom-Risiken aufklären

Fukushima sei nach Hiroshima, Nagasaki und Bikini die vierte Atomkatastrophe, die das Land getroffen habe, sagte er. "Wir müssen dafür sorgen, dass die durch Fukushima erzeugte Aufmerksamkeit bestehen bleibt und vor den Gefahren durch die weitere Nutzung von Kernkraft warnen."

Konuma vertritt eine Gruppe japanischer Intellektueller, die die Regierung von Ministerpräsident Naoto Kan im Juli aufgefordert hatte, das Land von der Atomenergie unabhängig zu machen. Die Gruppe unterstützt zudem eine Bürgerbewegung, die eine längst überfällige öffentliche Debatte über die Sicherheit der japanischen Kernkraftwerke in Gang bringen will. "Wir dürfen nicht den Fehler begehen, alles wieder zu vergessen", mahnte er.

Auch Oishi hat am eigenen Leib erfahren, wie schwierig es ist, sich als Einzelkämpfer bei den Behörden Gehör zu verschaffen. Oftmals aber schweigen die Opfer aus Angst, in der Gesellschaft diskriminiert zu werden. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2011