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ASIEN/765: Pakistan - Ethnische Hazara im Fadenkreuz radikaler Islamisten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. September 2011

Pakistan: Ethnische Hazara im Fadenkreuz radikaler Islamisten

Von Zofeen Ebrahim


Karachi, 1. September (IPS) - Rukhsana Ahmed geht gern zum Grab ihres Mannes. Hier, auf einem Friedhof in Quetta, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Belutschistan, kommt sie zur Ruhe, wie sie sagt. Gleichzeitig jedoch beunruhigt sie der Anblick der vielen frischen Gräber - Mahnmale der Gewalt, die sich gegen Pakistans schiitische Hazara richtet.

Der Ethnie anzugehören ist lebensgefährlich, das weiß die 60-jährige Generalsekretärin des Frauenflügels der Belutschistan-Sektion der Demokratischen Hazara-Partei (HDP) aus eigener Erfahrung. Im September 2009 wurde ihr Mann Ahmed Ali Najif auf dem Weg zu seiner Fabrik von fünf maskierten und bewaffneten Männern förmlich mit Kugeln durchsiebt.

Die Täter wurden gefasst. Sie gehörten der verbotenen sunnitischen Miliz 'Lashkar-e-Jhangvi' (LeJ) an. "Einer der Mörder erklärte öffentlich, dass mein Mann nur deshalb sterben musste, weil er Schiit war. Und dann hob er die Finger zum Victory-Zeichen", so Rukhsana Ahmed unlängst in einem Telefoninterview mit IPS.


Gezielte Verfolgung

In Pakistan stellen Schiiten 20 Prozent der 160 Millionen mehrheitlich sunnitischen Einwohner. Die LeJ, die enge Beziehungen zu den Terrornetzwerken Al-Kaida and 'Tehrik e-Taliban Pakistan' unterhalten, sind erklärte Feinde der Schiiten, die ihrer Ansicht nach aus Pakistan verschwinden müssten.

Die Warnung gilt auch den 966.000 Hazara, Nachfahren von Mongolen, die an den Feldzügen von Dschingis Khan teilgenommen hatten. Die Mitglieder der Volksgruppe werden ähnlich drangsaliert wie die afghanischen Hazara zu Zeiten der Taliban-Schreckensherrschaft von 1995 bis 2001.

Die pakistanischen Hazara waren vor rund 120 Jahren aus Afghanistan geflohen, um der Verfolgung durch die dominierenden sunnitischen Paschtunenvölker zu entkommen. In Pakistan wurden sie zunächst freundlich aufgenommen und konnten in hohe Regierungsämter vordringen. Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet, und die Mitglieder der Gemeinschaft werden politisch verfolgt.

"Das hatten wir schon mal", meinte dazu Irfan Ali von der Menschenrechtskommission für soziale Gerechtigkeit und Frieden in Quetta, wo 550.000 Hazara leben. Schon vor mehr als 100 Jahren sei die Religion als Waffe verwendet worden, um die Hazara aus Afghanistan zu vertreiben.

"Wir sind leicht an unseren mongolischen Gesichtszügen zu erkennen", erläuterte der HDP-Parteivorsitzende Abdul Khaliq. Auch mit der persischen Sprache fällt die Gruppe aus dem Rahmen. Die übrigen pakistanischen Bevölkerungsgruppen sprechen Belutschi, Paschtu und Urdu.

Ihren bisherigen Höhepunkt erreichte die anti-schiitische Gewalt im vergangenen Juli. Am 10. Juli wurden bei einem bewaffneten Überfall auf einen Bus, der schiitische Pilger in den Iran transportierte, zwei Insassen getötet und weitere elf verletzt. Am 30. Juli fielen in Quetta 18 Schiiten einem Anschlag zum Opfer, elf von ihnen waren Hazara.

In Quetta hatte im Monat zuvor ein Attentat dem Hazara-Boxer Syed Abrar Hussain Shah, der Pakistan bei den Olympischen Spielen 1984 und 1988 vertrat, das Leben gekostet. "Wir bewegen uns praktisch von einer Beerdigung zur nächsten", klagte Khaliq, dessen Amtsvorgänger Hussain Ali Yusufi 2008 von LeJ-Kämpfern umgebracht worden war.

Wie Rukhsana Ahmed berichtete, wurde über die Jahre die Crème de la Crème der Volksgruppe ausgelöscht. So fielen in den vergangenen zehn Jahren in Belutschistan 500 Hazara Anschlägen zum Opfer - unter ihnen Ärzte, Ingenieure, Studenten, Politiker und Geschäftsleute.


Emigration

Laut Amjad Hussain, Korrespondent beim privaten Fernsehkanal 'Dawn News', verlassen viele junge Hazara die Provinz Belutschistan. Bis vor einigen Jahren seien sie über Indonesien nach Australien emigriert. Doch seit kurzem habe das Innenministerium die indonesische Botschaft angewiesen, Hazara keine Visa mehr auszustellen.

Hussain nimmt an, dass Taliban-freundliche Lobbygruppen (einschließlich die pakistanischen Geheimdienste, die die selbsternannten Gotteskrieger zu Anfang unterstützten) die Hazara für deren Unterstützung der Nordallianz und der US-Armee in Afghanistan bestrafen wollen. Die Nordallianz war Washingtons wichtigster Verbündeter im dortigen Anti-Terror-Krieg. Denkbar sei ferner, dass die aus Afghanistan nach Belutschistan vertriebenen Taliban sich an den Hazara zu rächen suchten.

Bisher konnten die Anschläge auf die Schiiten einschließlich der Hazara nicht die Aufmerksamkeit der pakistanischen Regierung und Medien wecken. "Die Morde machen keine Schlagzeilen, weil sich in Belutschistan alles um die großen Themen 'Nationalismus' und 'Taliban-Präsenz' dreht", meint Malik Siraj Akbar, ein lokaler Journalist.

Wie Akbar weiter erklärte, hat die HDP die nationalistisch gesinnten Belutschen und Paschtunen in harten Zeiten stets unterstützt, die ihrerseits jedoch nie die Verfolgung der Hazara angeprangert hätten. Das Gleiche lasse sich von der islamischen Partei 'Jamiat Ulema Islam' (JUI) sagen, einem wichtigen Partner der Regierungskoalition in Belutschistan. Auch sie habe die Morde an Hazara und Schiiten nie verurteilt.

"Kommt es zu einem neuen Anschlag, hören wir von ihnen nur dürre Worte des Bedauerns", sagte der Journalist. "Dabei wäre es für sie ein Leichtes, die Morde zu unterbinden. Ihre Worte spenden uns schon lange keinen Trost mehr." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2011