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ASIEN/774: Sri Lanka - Neue Straßen statt Häuser, noch viele Bürgerkriegsflüchtlinge obdachlos (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2011

Sri Lanka: Neue Straßen statt Häuser - Noch viele Bürgerkriegsflüchtlinge obdachlos

von Amantha Perera

Viele Srilanker gerieten im Bürgerkrieg zwischen die Fronten - Bild: © Amantha Perera/IPS

Viele Srilanker gerieten im Bürgerkrieg zwischen die Fronten
Bild: © Amantha Perera/IPS

Colombo, 14. Oktober (IPS) - Die Autostraße A9 im Norden Sri Lankas galt während des Bürgerkriegs als 'Highway des Todes'. Inzwischen ist sie zum Symbol für den Wiederaufbau des Inselstaates nach den jahrzehntelangen Kämpfen zwischen der Armee und den separatistischen Tamilen-Tigern (LTTE) geworden.

Die fast hundert Kilometer lange A9 führt mitten durch die Nördliche Vanni-Region, wo bis zum Ende des Konflikts im Mai 2009 heftige Gefechte zwischen Rebellen und Regierungstruppen stattfanden. Bei den Kämpfen um die Kontrolle über das Gebiet wurden fast 3.000 Menschen getötet.

Mittlerweile scheint sich die Infrastruktur in der Region in einem rasanten Tempo zu entwickeln. Entlang der Straße haben zahlreiche kleine Hotels, Geschäfte und Restaurants eröffnet. Auf großen Reklametafeln wird für Produkte wie Babynahrung und Bleichcreme für Männer geworben. Noch vor einigen Jahren schlugen hier Artilleriegeschütze ein.

Pendler, die die neuen Gebäude im Vorbeifahren sehen, könnten annehmen, dass sich für die Einwohner im Vanni alles zum Besseren gewendet hat. Doch der Eindruck täuscht. Wie Menschenrechtsorganisationen berichten, haben Hunderttausende Menschen noch keine feste Unterkunft.


Prestige-Projekte haben Vorrang

Während für Vorzeige-Projekte wie die Autostraße Unsummen ausgegeben werden, kommt der Wiederaufbau der übrigen Infrastruktur nur schleppend voran. Die Vereinten Nationen schätzen, dass zwischen Kriegsende und Ende August dieses Jahres mehr als 380.000 Zivilisten in die Region zurückgekehrt sind. Unter ihnen sind auch rund 213.000 Menschen, die zwischen 2006 und 2009 vor der Gewalt in andere Landesteile geflohen waren.

Wie Jagath Abeysinghe, Vorsitzender der srilankischen Rotkreuzgesellschaft (SLRC), berichtete, müssten mindestens 140.000 bis 160.000 Unterkünfte gebaut werden, damit alle heimkehrenden Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf vorfinden - Angaben, die von den UN bestätigt werden.

Ein kürzlich veröffentlichter UN-Bericht über humanitäre Hilfe und Wiederaufbau hält fest, dass in den früheren Bürgerkriegsgebieten bis Ende August dieses Jahres lediglich 34.500 Unterkünfte gebaut oder saniert worden sind. Im Vanni wurden bislang erst 9.500 Häuser fertig gestellt. Mehr als 26.700 neue Häuser sollen dort nicht entstehen.

Die indische Regierung hat zwar zugesichert, 50.000 Häuser bauen zu lassen. Sri Lanka forderte zwar kürzlich die zweite Tranche der Hilfszahlung an, doch das Geld ist noch nicht angekommen. Die ersten 10.000 Unterkünfte sind nahezu fertiggestellt.

Die Agentur für technische Zusammenarbeit und Entwicklung (ACTED) warnte unterdessen vor gravierenden Nahrungsmittelengpässen, die die Situation in der Region weiter erschweren könnten. Unter Berufung auf das Welternährungsprogramm (WFP) erklärte die Agentur, dass die Versorgung von fast der Hälfte aller Einwohner im Vanni erheblich gefährdet sei. "Aufgrund der Kürzung der Nahrungshilfen ist damit zu rechnen, dass sich die Versorgungslage in den kommenden Monaten in dem Distrikt Mulaithivu verschlechtern wird", hieß es.

Die gesamte Nordprovinz befindet sich laut Experten am Rande einer großen Krise. Aus einer IPS vorliegenden WFP-Untersuchung geht hervor, dass die Ernährung von 60 Prozent aller Einwohner des Nordens nicht gesichert ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Hälfte der Bevölkerung in der Region bereits unterhalb der Armutsgrenze lebt. Mehr als 20 Prozent der Einwohner in den nördlichen Landesteilen sind arbeitslos und weitere 30 Prozent unterbeschäftigt. Eine Kürzung der Hilfen trifft diese Leute also besonders hart.


Politische Differenzen verzögern Wiederaufbau

Politische Streitigkeiten sorgen dafür, dass Gelder für die Entwicklung der ehemaligen Bürgerkriegsgebiete spärlich fließen. Die UN und die srilankische Regierunge appellierten Anfang des Jahres gemeinsam an die Staatengemeinschaft, 289 Millionen US-Dollar für den Wiederaufbau des Nordens des Landes bereitzustellen. Acht Monate später war erst ein Fünftel des Betrags - 76 Millionen Dollar - bewilligt.

Abeysinghe ist davon überzeugt, dass die internationalen Geber die humanitäre Krise in Sri Lanka aus dem Blick verloren haben. Sie konzentrierten sich auf die politischen Auseinandersetzungen zwischen der srilankischen Regierung und internationalen 'Schwergewichten' wie die USA, Großbritannien und die Europäische Union, die auf umfassende Untersuchungen zu Menschenrechtsverletzungen während des Kriegs dringen.

Die Geber haben aber selbst die am dringendsten benötigten Hilfsleistungen zurückgestuft. So stoppte die Internationale Organisation für Migration (IOM) kürzlich nach zweieinhalb Jahren die medizinische Notversorgung für den Norden. Regierungsbeamte vor Ort räumten gegenüber IPS ein, dass für große Infrastrukturprojekte weiterhin reichlich Geld vorhanden sei. In Hilfen für in Not geratene Haushalte und die Schaffung neuer Arbeitsplätze werde dagegen kaum investiert. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.un.lk/
http://www.redcross.lk/
http://www.wfp.org/countries/sri-lanka
http://www.iomsrilanka.org/iom/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105388

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Oktober 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2011