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ASIEN/777: China - Nur Business in Schanghai, "Occupy Wallstreet"- Bewegung undenkbar (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. November 2011

China: Nur Business in Schanghai - 'Occupy Wallstreet'-Bewegung undenkbar

von Antoaneta Becker


Peking, 21. November (IPS) - Als Chinas Finanzzentrum und Hochburg des nationalen Reichtums hätte Schanghai die Vorhut einer chinesischen Bewegung nach dem Modell von 'Occupy Wallstreet' werden können. Stattdessen bleibt die Metropole eine Metapher für das Potenzial der Volksrepublik, zur neuen wirtschaftlichen Supermacht zu werden.

Die Büroangestellten von Schanghai werden oft mit einem arbeitsamen Ameisenvolk verglichen, das gehorsam den Mehrwert für ein System erwirtschaftet, das sich wenig um soziale Gerechtigkeit kümmert.

Auf die Frage, ob sich Occupy Wallstreet auch in der Industriestadt im Mündungsgebiet des Jiangtsekiang entwickeln könnte, reagiert der Börsenmakler Zhao Hui perplex: "Warum? Banker sind in China nicht die meist gehassten Leute. Das größte Vermögen haben korrupte Beamte und Firmenmanager. Die haben die Wut der Menschen zu fürchten."

Yang Jianlong, der an der 'Shanghai Normal University' lehrt, sieht die Stadt tief versunken in der merkantilen Unternehmenstradition. Schanghai werde sich kaum einer populistischen Bewegung wie Occupy Wallstreet anschließen, meint er im Gespräch mit IPS. "Die Menschen hier beugen sich zwar nicht der Obrigkeit, aber ihre Mentalität, Geld zu machen, ist zu stark. Sie würden gegen ein kommerzielles Projekt protestieren, das der Umwelt schaden könnte. Dennoch wird die Stadt kaum ein Zentrum für politischen Aktivismus werden."

In den Städten im Landesinnern Chinas haben die Straßenproteste in New York und London dagegen mehr Resonanz gefunden, etwa in Henan, das traditionell als Brutstätte für Bauernaufstände galt. Dort haben Einwohner kurze symbolische Protestaktionen durchgeführt, um ihre "ideologischen Brüder im Westen" in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus zu unterstützen.


Intellektuelle gespalten

Chinesische Intellektuelle reagieren uneins auf die Rebellionen, die sich seit diesem Frühjahr in den USA, Europa und im Nahen Osten ausgebreitet haben. Die neue Linke in der Volksrepublik begrüßt die weltweiten Proteste. Sie ist der Ansicht, dass in China unter Mao Tse-tungs Herrschaft 1949 bis 1976 die sozialistischen Ideale besser umgesetzt wurden als unter der Regierung von Deng Xiaoping, die ein Profitstreben ausgelöst hat.

Viele Mitglieder der liberalen Linke hingegen erinnern sich noch gut an die politischen Unruhen während der Kulturrevolution 1966 bis 1976. Sie meinen, dass die neuen Straßenproteste den radikalen Kampagnen des jungen kommunistischen Chinas ähneln, die Kinder gegen ihre Eltern und Schüler gegen ihre Lehrer aufhetzten.

Während die in den Roten Garden aktive radikale Jugend auf der Straße kämpfte, fanden die eigentlichen politischen Gefechte in den Korridoren von Zhongnanhai, dem Hauptquartier der kommunistischen Führung, statt. Der große Vorsitzende Mao benutzte die Kampagnen dazu, die Opposition unter seine Kontrolle zu zwingen und die Vormacht der Partei über die Intelligenz zu sichern.

Angesichts der raschen Verbreitung der neuen internationalen Protestbewegungen halten sich politische Beobachter in China bei der Beurteilung des Phänomens zurück. Einige von ihnen warnen allerdings davor, dass mächtige Lobbygruppen die Aktionen für sich ausnutzen könnten.

In einem langen Artikel über den 'Arabischen Frühling', der im November in der Zeitung 'China Times' erschien, holte der Nahostexperte Ma Xiolin zu einem Seitenhieb gegen die arabischen Oppositionellen aus, indem er ihnen "Beschränktheit und Oberflächlichkeit' vorwarf. Dadurch seien sie zur leichten Beute für die westlichen Mächte geworden, die sie manipuliert hätten. Das letztliche Ergebnis - der Triumph der islamischen Parteien - entspreche zwar wohl nicht den Plänen der neuen Kräfte, sei aber äußerst logisch, kritisierte Ma.


Wirtschaftsmacht will hart erkämpften Aufstieg nicht riskieren

Nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO vor zehn Jahren musste sich China unter Schmerzen dem Freihandel anpassen und die Regeln der Globalisierung lernen. Die wachsende Kraft der Volksbewegungen, die andere Länder zu einer Innenschau zwingen, jagen der Volksrepublik eher Angst ein. Das Land, das die Abhängigkeit von anderen Staaten als unvermeidlichen Preis für Wirtschaftswachstum akzeptiert hat, beobachtet nun die wirtschaftlichen und politischen Folgen von Protesten, die genau diesen Trend umkehren könnten.

Xu Xiaonian, Professor an der 'China Europe International Business School', kritisierte die Unterstützung von US-Präsident Barack Obama für Occupy Wallstreet als "Trick vor den Wahlen". In einer Rede sprach er kürzlich von einer "unbeholfenen Geste eines Politikers, der sich bei seinen Wählern lieb Kind machen will". Eine solche Reaktion könne die echten Probleme nicht lösen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2011