Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

ASIEN/816: Pakistan - Gewaltsame Proteste in Khyber Pakhtunkhwa nehmen zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Oktober 2012

Pakistan: Gewaltsame Proteste in Khyber Pakhtunkhwa nehmen zu - Behörden machen Madrasa-Schüler verantwortlich

von Ashfaq Yusufzai


Demonstration in Peshawar. Demonstrationen in Pakistan, an denen Madrasa-Schüler teilnehmen, enden häufig mit Gewalt - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Demonstration in Peshawar. Demonstrationen in Pakistan, an denen Madrasa-Schüler teilnehmen, enden häufig mit Gewalt - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 22. Oktober (IPS) - Die Zunahme der Zahl ausländischer Religionsschulen wird für den Anstieg gewalttätiger Proteste in der nordpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa an der Grenze zu Afghanistan verantwortlich gemacht.

"Wir haben 105 Personen in Verbindung mit den Aufständen (gegen den US-Film über den Propheten Mohamed) festgenommen. 90 von ihnen sind Mitglieder religiös-politischer Parteien, 65 Schüler religiöser Seminare (Madrasa)", sagt der Polizeioffizier Abdul Naveed gegenüber IPS.

"Wir haben mit einer unabhängigen Untersuchung der Aufstände begonnen, um die wahren Schuldigen ausfindig zu machen, die die Menschen im Namen Mohameds aufgewiegelt und öffentliches und privates Eigentum zerstört haben", berichtet er. "Protestdemonstrationen münden in Gewalt, weil die Religionsschüler zu Gewalt neigen."

Den Madrasa-Schülern wird nachgesagt, sich an Plünderungen beteiligt zu haben. "Junge bärtige Männer aus den Madrasa haben randaliert, Möbel, Scheiben und Geschirr zerschlagen oder weggetragen", so Raees Jan, ein geschädigter Hotelmanager in Peshawar. Er beklagt einen wirtschaftlichen Schaden in Höhe von 4.000 Dollar.


Muslime im Namen Allahs aufgewiegelt

"Die religiösen Gruppen machen sich die Gefühle der Muslime zunutze, die Blasphemie nicht ertragen können", unterstreicht Muhammad Dauran Shah an der Universität von Peshawar. Dem Informationsminister von Khyber Pakhtunkhwa, Mian Iftikhar Hussain, zufolge, waren die Demonstranten so aufgebracht, dass die Polizei nicht gegen sie vorging.

In Pakistan gab es nach Angaben von Umar Farooq aus dem Ministerium für religiöse Angelegenheiten im Jahr 2000 rund 89.000 'Darul Uloom' (religiöse Schulen) mit 344.000 Schülern. Bis März 2012 stieg die Zahl der Seminare auf 106.000 und der Schüler auf 440.000.

Inzwischen hat die Regierung ein Programm zur Modernisierung der Madrasa gestartet. Wie Sardar Hussain Babak, Bildungsminister von Khyber Pakhtunkhwa, versichert, werden die Schüler im Rahmen eines in diesem Jahr beschlossenen Lehrplans wie gewohnt darin unterrichtet, die Suren des Korans aufzusagen (Nazirah-e-Quran), auswendig zu lernen (Tahfeez-ul-Quran) und korrekt auszusprechen (Tajweed). Hinzu kommt der normale Lehrplan (Darse-e-Nizami), die Analyse und Interpretation des Korans (Tafseer), die Aussprüche des Propheten Mohameds (Hadith) und die islamische Rechtsprechung (Fiqah).

Neu sind Fächer wie arabische Literatur, Urdu, Englisch, Naturwissenschaften, Mathematik, Computer- und Informationstechnologie und berufliche Bildung. Babak zufolge betrachten die Leiter der Religionsschule das Programm als ungebührliche Einmischung und versagen den Behörden ihre Unterstützung. "Die meisten dieser Lehrer sind gar nicht fähig zu unterrichten. Sie haben keine moderne Ausbildung genossen. Die Regierung will sie finanziell und technisch unterstützen, doch das wollen sie nicht", sagt er.

Babak zufolge wurden die Modernisierungspläne nach Bekanntwerden von Berichten beschlossen, dass manche Schulen Brutstätten radikaler Islamisten sind. "Etwa 99 Prozent der Schüler stammen aus armen Familien, die kein Geld haben, um die Gebühren für die normalen staatlichen Schulen zu bezahlen", so Babak. "Sie schicken ihre Söhne deshalb zu den kostenlosen Religionsschulen."

Wie Muhammad Asif, Lehrer an der Uma-Hatul-Momineen-Madrasa, erzählt, sind 96 der Schüler an den Religionsschulen Analphabeten. "Religionsschulen sind aber sehr gut, weil sie die wahre Bedeutung des Islams lehren", betont der 25-Jährige, der zuerst eine staatliche Schule und dann später ein islamisches Seminar besucht hatte, wo er seinen Abschluss in islamischem Recht gemacht hat. "Doch sollten die Religionsschulen auch moderne Fächer wie Computerunterricht, Mathematik und Englisch unterrichten."

Wie aus einem Bericht des Schul- und Alphabetisierungsamts in Khyber Pakhtunkhwa hervorgeht, sind nur 25 Prozent aller religiösen Schulen offiziell gemeldet. Die Mehrheit der rund 4.000 männlichen und 900 weiblichen Lehrer in Khyber Pakhtunkhwa habe nie eine normale Schule besucht und besitze lediglich den Abschluss einer religiösen Schule.

Religionsseminare in Pakistan, vor allem in Khyber Pakhtunkhwa und den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) an der afghanischen Grenze, werden von den USA beschuldigt, Kämpfer für die Taliban heranzuziehen.

"Taliban bedeutet religiöse Schüler", erläutert Jawad Khan, Politikwissenschaftler am Regierungscollege in Peshawar. "Während der 90er Jahre haben Taliban, die von pakistanischen und afghanischen Madrasa zusammengezogen wurden, Kabul überrannt und innerhalb von Wochen die Kontrolle über 95 Prozent Afghanistans übernommen. Damals hatten die USA und ihr treuer Verbündeter Pakistan mit der Absicht, dem schiitisch dominierten Iran gegenzusteuern, die Taliban-Regierung in Afghanistan unterstützt", fügt er hinzu.

Die USA und die pakistanische Armee haben innerhalb Pakistans und Afghanistans etliche Madrasa wegen ihrer mutmaßlichen Rolle bei der Förderung des Terrorismus unter Feuerbeschuss genommen. Washington bat Pakistan, die Schulen stärker zu kontrollieren und zu modernisieren.


Schulleiter weisen Beschuldigungen zurück

Die Führer der Einrichtungen weisen die Vorwürfe, ihre Schüler zu militanten Kämpfern auszubilden, zurück. "Mehr als 4.500 Schüler studieren an unserer Schule", versichert Maulana Samiul Haq, Rektor der 'Darul Uloom Haqqania', dem größten Religionsseminar Pakistans. "Sie alle sind friedlich und unpolitisch. Sie hatten nur deshalb an den Kämpfen teilgenommen, um Afghanistan vor der zerrissenen und korrupten Regierung in Kabul zu schützen."

"Wir lernen Ethik, Moral und menschliche Werte", so die 18-jährige Fauzia Begum, Schülerin der Jehadul Momineen Darul Uloom in Bannu, einem der 25 Bezirke von Khyber Pakhtunkhwa. "Wir brauchen mehr Mädchen an den religiösen Schulen, um den Terrorismus zu besiegen." (Ende/IPS/kb/2012)


Link:

http://www.ipsnews.net/2012/10/violence-arising-from-madrassas/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 22. Oktober 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2012