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ASIEN/819: Pakistan - Geringe Unterstützung für Anti-Taliban-Offensive im Grenzgebiet zu Afghanistan (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. November 2012

Pakistan: Geringe Unterstützung für Anti-Taliban-Offensive im Grenzgebiet zu Afghanistan

von Ashfaq Yusufzai


Taliban finden im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet Unterschlupf - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Taliban finden im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet Unterschlupf
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Karachi, 7. November (IPS) - Während in Pakistan Betroffenheit und Zorn über den Mordversuch der Taliban an der Schülerin Malala Yousafzai weiter anhalten, diskutieren Experten das Für und Wider einer Militäroffensive gegen die radikal-islamistischen Kämpfer.

Bei seinem Pakistan-Besuch im letzten Monat hielt sich der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Marc Grossman, mit einer klaren Stellungnahme zurück. Zwar drängte er die pakistanische Regierung dazu, mehr zu tun, um die Milizionäre aus den Stammesgebieten Nord-Waziristans zu entfernen, die derzeit gegen in Afghanistan stationierte US-Truppen vorgehen. Gleichzeitig erklärte er, dass mit Blick auf Nord-Waziristan eine mögliche Offensive allein von Pakistan entschieden werden müsse.

Seit Anfang des laufenden Jahres wird Pakistan von einer Anschlagsserie heimgesucht, die sich gegen die Sicherheitskräfte und Politiker des südasiatischen Landes richten. Um die 100 Schulen wurden im Verlauf von 2012 bombardiert, zahlreiche Schiiten getötet und Militärbasen angegriffen. Alle diese Anschläge werden bewaffneten Gruppen wie den Taliban, der Al-Qaeda und deren Verbündeten angelastet.

Obwohl sich Regierung und Armee der von den Kämpfern ausgehenden Gefahr bewusst sind, schrecken sie dennoch vor einer umfassenden Offensive zurück. "Es besteht innerhalb des Militärs eine gewisse Paranoia über die Rolle, die Indien in Afghanistan spielen könnte. Aus diesem Grund tut es sich schwer damit, Position gegen Partner wie das Haqqani-Netzwerk zu beziehen", erläutert Imtiaz Gul, Verteidigungsexperte aus Islamabad, gegenüber IPS. "Sind die ausländischen Truppen erst einmal (aus Afghanistan) abgezogen, wer weiß, ob diese Beziehungen nicht für Pakistan nützlich sein könnten?"

Das Haqqani-Netzwerk ist in eine terroristisch-islamistische Organisation, die für zahlreiche Anschläge in Afghanistan verantwortlich gemacht wird. Die Taliban-Organisation und deren Anführer Qari Zakir stehen seit dem 5. November auf der UN-Sanktionsliste. Für die UN-Mitgliedstaaten bedeutet dies, dass sie für die Einhaltung eines Waffenembargos gegen die Gruppe sorgen und die Konten des Netzwerks und dessen Führer Zakir einfrieren müssen.


Regierung unter wachsendem Handlungsdruck

Doch auch in Pakistan wächst der Druck von allen Seiten, sich dem religiösen Fanatismus und Terrorismus entgegenzustellen, der das Land fest im Griff hat. Seit Jahren versucht die Regierung das Image loszuwerden, nach der Pfeife der USA zu tanzen. Der Mordanschlag gegen Yousafzai bietet ihr nun die Gelegenheit zu einer Militäroffensive gegen die Attentäter, ohne den Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. Yousafzai erholt sich zurzeit in Großbritannien von ihrer Hirnverletzung.

"Die Zeit ist reif, der Militanz entgegenzutreten", meint Kamal Siddiqi, Redakteur der englischsprachigen Tageszeitung 'Express Tribune'. Die militanten Islamisten seien in Nord-Waziristan stationiert und müssten dort ausgehoben werden.

Der Verteidigungsexperte Ikram Sehgal ist ebenfalls der Meinung, dass etwas gegen den religiösen Extremismus getan werden muss. Allerdings hält er es für verwegen, mit einer Armeeoffensive in ein Hornissennest zu stechen. "Der Armee fehlt es an Männern und Material, um die Kämpfer in einem Terrain zu bekämpfen, dass sich nur schwer überqueren lässt."

Die Lösung des Problems sieht er in einer zivil geführten Anti-Terrorismus-Einheit. "Sie würde die Verbindung zwischen Korruption, organisiertem Verbrechen und Terrorismus sprengen. Denn Korruption und Terrorismus sorgen für die logistische Unterstützung, die zur Planung von terroristischen Anschlägen erforderlich ist", erläutert er.

Leider würden die Parlamentarier des Landes die Bildung einer solchen Einheit aus Angst, die Unterstützung der religiösen Gruppen zu verlieren, nicht zulassen - gerade vor dem Hintergrund, dass im März 2013 die nationalen Wahlen stattfinden sollen.


Nationale Versöhnung und Konsensentscheidungen

Der Menschenrechtsanwalt Mirza Shahzad Akbar, der Opfer von Drohnenangriffen rechtlich vertritt, ist ebenfalls gegen eine Militäroffensive. Vielmehr gelte es einen ehrlichen landesweiten Versöhnungsprozess in Gang zu bringen. "Versöhnung meint keineswegs, dass wir uns unangemessenen Forderungen der Terroristen beugen, sondern das Problem der Unzufriedenheit in der Gesellschaft angehen."

Im Rahmen eines solchen Prozesses sei auch eine chirurgisch präzise Militärintervention möglich, sollte sie erforderlich sein. Sie müsse aber im Einvernehmen und in den verfassungsrechtlichen Grenzen durchgeführt werden. "Wenn wir, auf uns allein gestellt, einen solchen Krieg führen, werden wir die Konsequenzen, wie immer sie ausfallen werden, zu tragen haben. Bisher jedoch bekommen wir die Folgen eines von anderen geführten Krieges zu spüren", betont Akbar in Anspielung auf die Rolle der USA in den regionalen Konflikten seit 2001. Solange die USA in Afghanistan bleiben, sieht er keine Chancen für einen erfolgreichen Versöhnungsprozess.

Nach Ansicht des politischen Analysten Hassan Askari Rizvi hat der Angriff auf Yousafzai vom 9. Oktober zum ersten Mal seit Jahren einen dringend erforderlichen Diskurs hervorgebracht, "der eine viel zu lange schon vorherrschende islamistische Sichtweise herausfordert". Für Rizvi ist dieser neue, in den Urdu-Medien diskutierte Diskurs "ein wichtiges und positives Ergebnis der Tragödie".

Jedoch rechnet er angesichts des schwachen politischen Konsenses nicht mit einer Armeeoffensive in der nahen Zukunft. "Angesichts der bevorstehenden Wahlen werden die rechtsgerichteten Parteien - und die größte Oppositionspartei 'Pakistanisch-Muslimische Liga-N' (PML-N) - niemals gegen die Taliban vorgehen."

Der PML-N-Vorsitzende Chaudhry Nisar hatte am 17. Oktober vor Journalisten erklärt, dass ein Geruch von Verschwörung in der Luft liege. Doch eine Militäroperation würde das Land destabilisieren. Der Sunnitische Ittehad-Rat, eine religiöse Organisation aus sunnitischen Gruppen, kündigte im Fall einer Offensive gegen die Milizionäre in Nord-Waziristan seine volle Unterstützung an. "Wir wollen eine unverzügliche Operation gegen die Taliban und werden die Regierung voll und ganz unterstützen", so der Ratsvorsitzende Shaibzada Fazle Karim.

"Zerschlagt die Taliban und 180 Millionen Menschen werden hinter euch stehen", so der Leiter der liberalen Partei Muttahida-Qaumi-Bewegung (MQM), Altaf Hussain, anlässlich einer Kundgebung seiner Partei in Karachi.

Doch Präsident Asif Ali Zardari warnt davor, dass eine Armeeoperation ohne die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit nach hinten losgehen könnte. "Die Idee, eine in großen Teilen der Gesellschaft verbreitete Sichtweise gewaltsam zu bekämpfen, wäre emotional und naiv", meinte er unlängst vor Journalisten auf einer Konferenz der Südasiatischen Vereinigung Freier Medien in Islamabad.


Abkehr von allen radikalen Gruppen als Gebot der Ehrlichkeit

Der Verteidigungsexperte Gul, der auch das unabhängige Zentrum für Forschung und Sicherheitsstudien in Islamabad leitet, hält es für einen Fehler, die Lösung des Problems allein in Nord-Waziristan zu suchen. Er empfiehlt eine ernstgemeinte Politik, die eine "kategorische Abkehr" von terroristischen Gruppen wie Lashkar-e-Taiba, Mullah Omars Taliban und dem Haqqani-Netzwerk beinhaltet, auch wenn diese Gruppierungen nicht direkt an Angriffen auf Pakistan beteiligt sind.

"Lösung und Ausgangspunkt erfordern das Eingeständnis, dass der Feind innerhalb und nicht außerhalb unserer Grenzen zu finden ist", so Gul. Die Regierung müsse wirksame Terrorismusgesetze verabschieden, ein starkes Zeugen- und Richterschutzprogramm auflegen und Gesetze gegen Hetzreden und Intoleranz verbschieden. Auch gelte es staatliches Fehlverhalten zu kontrollieren und das Sicherheitspersonal mit der Forensik, den Landesgesetzen und den Menschenrechten vertraut zu machen. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://safma.net/
http://www.mqm.org/default.aspx
http://www.crss.pk/beta/
http://www.ipsnews.net/2012/11/little-support-for-military-offensive-on-af-pak-border/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. November 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2012