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ASIEN/894: Indien - Die Wahlverlierer sind die Frauen, Parteien setzen auf männliche Kandidaten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. April 2014

Indien: Die Wahlverlierer sind die Frauen - Parteien setzen auf männliche Kandidaten

von Manipadma Jena


Bild: © Krishnakant/IPS

Ein Protest gegen eine Atomanlage im indischen Gujarat. Frauen fordern größere Präsenz im Parlament, um ihren Ansichten eine Stimme zu verleihen
Bild: © Krishnakant/IPS

Neu-Delhi, 25. April (IPS) - "Die Männer sind nicht bereit, uns Frauen Platz zu machen", meint die 67-jährige Subhhasini Ali, die vom Wahlkreis Barrackpore im ostindischen Bundesstaat Westbengalen aus für einen Parlamentssitz kandidiert. Sie ist eine prominente Vertreterin der 'All India Democratic Women's Association' (AIDWA), einem Arm der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten), und war zwei Mal Abgeordnete ihres Landes.

Die Politikerin gehört zu den wenigen Frauen des Subkontinents, die bei allgemeinen Wahlen antreten. Selbst diejenigen politischen Parteien, die lautstark für eine Frauenquote plädieren, erwiesen sich als Enttäuschung: Ihre Kandidaten für das 543 Sitze zählende Unterhaus 'Lok Sabha' sind zu mehr als 90 Prozent Männer.

Die weiblichen Kandidaten machen mit sieben Prozent einen kleinen Bruchteil der 3.355 Kandidaten in den ersten fünf des neun Phasen zählenden Urnengangs aus, wie die Vereinigung für demokratische Reformen (ADR) berichtet, die sich für mehr Transparenz und eine inklusivere Repräsentanz bei den laufenden indischen Wahlen einsetzt.

Frauenaktivistinnen sehen auch für die letzten Phasen des Urnengangs keine Chancen für eine größere weibliche Repräsentanz. Frauen stellen 388 Millionen oder 47,6 Prozent der 814,5 Millionen Stimmberechtigten bei den Wahlen vom 7. April bis 12. Mai.


Warum Männer wählen, die Frauen kaltstellen?

"Wenn unsere Präsenz im Parlament als unwichtig erachtet wird und wenn Entscheidungen über unsere Zukunft ohne Rücksprache mit uns getroffen werden, warum sollten wir einer anderen Gruppe von Politikern unsere Stimmen geben, die der Notwendigkeit, die Rolle der Frau zu stärken, keine Bedeutung beimessen", fragt Ranjana Kumari vom Zentrum für Sozialforschung mit Sitz in Neu-Delhi. "Diese Wahl gibt uns das Gefühl, verloren zu haben. Frauen werden immer mehr abgedrängt", kritisiert Jyotsna Chatterji vom Gemeinsamen Frauenprogramm JWP.

Bei den allgemeinen Wahlen 2009, zu denen 363 politische Parteien antraten, waren 556 der 8.070 Bewerber Frauen, wie Zahlen der Wahlkommission belegen. Dies entsprach einem Frauenanteil von gerade einmal 6,9 Prozent. Nur 59 oder 10,9 Prozent der Gewinner waren Frauen. Das war die höchste Zahl an Kandidatinnen und Siegerinnen seit 1957.

Die politischen Parteien wehren sich seit mehr als 18 Jahren gegen die Verabschiedung des Frauen-Reservierungs-Gesetzes (WRB), das eine Frauenquote vorsieht. Demnach sollten Frauen mindestens ein Drittel aller Sitze im Unter- und Oberhaus halten. Dass das Gesetz nicht vorankommt, führen Frauengruppen auf zutiefst patriarchalische Denkmuster männlicher Politiker zurück.

Würde es verabschiedet, blieben 180 Sitze in der Lok Sabha den Frauen vorbehalten. Die Gegner der Neuregelung pochen hingegen auf eine Quote innerhalb einer Quote, die es bereits für Frauen aus Dalit- und anderen ethnischen Gemeinschaften gibt. Für diese sind 120 Sitze in der Lok Sabha vorgesehen. 2009 profitierten ganze 17 Frauen von dieser Quote.

"Viele Parteien haben sich bereits bereit erklärt, der WRB-Klausel zuzustimmen, 33 Prozent der Sitze den weiblichen Parteimitgliedern zu überlassen", meinte Chatterji, die Ende der 1990er Jahre mit anderen Frauen die Speerspitze der Pro-Quoten-Bewegung bildete. Doch haben sich die Parteien an ihre unverbindliche Zusage nicht gehalten.

In Anbetracht der Tatsache, dass Frauen im Berufsleben, in öffentlichen Diskussionen und auch im Wahlprozess immer mehr Präsenz zeigen, hatten Frauenverbände gehofft, dass die Parteien dieser Realität Rechnung tragen, indem sie dafür sorgen, dass mindestens 15 bis 20 Prozent ihrer Kandidaten weiblich sind. "Doch solange es das WRB nicht gibt, wird sich an der geringen Repräsentanz der Frauen nichts ändern", betont Ali.

Die drei größten Parteien - die regierende Kongresspartei, die rechte Bharatiya-Janata-Partei (BJP), die aller Voraussicht nach die neue Regierung stellen wird, und die wenige Monate alte Aam-Aadmi-Partei haben versprochen, im Fall ihres Wahlsiegs das WRB zu verabschieden.

"Solange bestimmte Haltungen nicht überwunden werden, ist es sinnlos, zu erwarten, dass die Parteien mehr weibliche Kandidaten aufstellen werden", meint die 70-jährige Malini Bhattacharya, eine ehemalige Parlamentsabgeordnete und früheres Mitglied der Nationalen Frauenkommission.

Die 62-jährige Ruth Manorama, eine Dalit-Frauenaktivistin, die die nationale Frauenallianz anführt und für die Janata-Dal-Partei im Wahlkreis Bangalore Süd kandidiert, ist optimistischer. "Wir müssen einen Schritt nach dem anderen setzen, um uns eine größere Rolle in politischen Entscheidungspositionen zu sichern."


Wahlprozess und Parteistrukturen reformbedürftig

Doch andere Frauen sind für offensivere Maßnahmen. "Die Parteistrukturen und der Wahlprozess selbst bedürfen eines radikalen Wandels, wenn Frauen in einem größeren Umfang partizipieren sollen", meint Tapashi Praharaj von der AIDWA. "Die Möglichkeiten von Frauen, Wahlen zu gewinnen, sind ohne konkrete Maßnahmen, sie zu stärken, gering."

"Dass bei den Wahlen umfangreiche Finanzmittel vonnöten sind, ist ein weiteres Hindernis für die Frauen, sich Wahlen zu stellen", so Chatterji. Die Regierung hat 116.000 Dollar als Höchstgrenze festgelegt, die die Kandidaten ausgeben dürfen.

Chatterji weist das Standardargument männlicher Politiker zurück, dass die Zahl zur Verfügung stehender weiblicher Kandidaten begrenzt sei. Vielmehr gebe es eine Vielzahl fähiger Frauen, die von den politischen Parteien erst gar nicht wahrgenommen oder in Erwägung gezogen würden.

Mehr als zwei Millionen Frauen haben bereits in Entscheidungsgremien in Indiens Lokalregierungen oder 'panchayat raj' mitgewirkt. Seit 1993 gilt hier eine Frauenquote von 33 Prozent. In einigen Bundesstaaten konnte diese Quote sogar auf 50 Prozent erhöht werden. Auch städtische Lokaleinrichtungen behalten Frauen Sitze vor. Diese Quoten haben dazu beigetragen, dass auf Graswurzelebene Massen an Frauen politisch aktiv geworden sind.

Der Frauenanteil in Indien, der weltgrößten Demokratie, liegt im Parlament (Unter- und Oberhaus zusammengenommen) bei mageren 11,4 Prozent. Der internationale Durchschnittswert beträgt 21,8 Prozent. In Afghanistan sind es sogar 27,6 Prozent, wie Zahlen der Interparlamenarischen Union in Genf belegen. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/04/indias-women-lose-election/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2014