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ASIEN/902: Malaysia - Abschiebung von srilankischen Befreiungskämpfern löst Debatte aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Juni 2014

Malaysia: Srilankische Befreiungskämpfer abgeschoben - Debatte über regionale Sicherheit und Minderheitenpolitik

von Kalinga Seneviratne


Bild: © Samuel Oakford/IPS

Tamilen protestieren gegen die Rede des srilankischen Präsidenten Mahinda Rajapaksa vor der UN-Vollversammlung am 24. September 2013
Bild: © Samuel Oakford/IPS

Singapur, 13. Juni IPS) - In Malaysia haben die jüngste Festnahme und Abschiebung von drei srilankischen Tamilen wegen angeblicher Umtriebe, die aufgelöste Organisation 'Befreiungstiger von Tamil Eelam' (LTTE) wiederzubeleben, eine Vielzahl von Fragen im Zusammenhang mit der regionalen Sicherheit und der regionalen Minderheitenpolitik aufgeworfen.

Allgemein herrscht die Ansicht vor, dass Frieden und Sicherheit in Süd- und Südostasien in erster Linie vom Fortgang der Streitigkeiten um das Südchinesische Meer und von der Verbreitung der islamistischen Terrornetzwerke abhängen. Dies erklärt, warum die Festnahme und Abschiebung der drei Srilanker, die den Flüchtlingsstatus der Vereinten Nationen besaßen, kaum für internationale Schlagzeilen sorgten. Lediglich malaysische und srilankische Medien hatten darüber berichtet.

Doch Experten zufolge können nationalistische Bestrebungen der Tamilen angesichts der Größe der Minderheit in Südindien, ihrer riesigen Diaspora in Malaysia, Singapur und Mauritius und der nach wie vor offenen Wunden, die der Bürgerkrieg und der Vernichtungsschlag gegen die LTTE in Sri Lanka gerissen hat, politische Folgen in der Region haben.

1976 mit dem Ziel gegründet, im Norden Sri Lankas einen unabhängigen tamilischen Staat zu errichten, entwickelte sich die LTTE durch Selbstmordattentate und die Rekrutierung von Kindersoldaten zu einer der berüchtigsten Terrorgruppen der Welt.


LTTE im kollektiven Bewusstsein präsent

Seitdem die srilankische Armee das letzte Rückzugsgebiet der Rebellen überrannt und die Anführer in der finalen Phase des 30-jährigen Krieges ausgelöscht hatte, gilt die LTTE als tot. Doch noch im kollektiven Bewusstsein der Region nimmt sie nach wie vor eine Sonderstellung ein.

Zu der Festnahme der drei Tamilen am 15. Mai durch die malaysische Polizei in Reaktion auf eine Rote Notiz von Interpol sprach ein regionaler Terrorismusexperte unter der Bedingung der Anonymität von einem bemerkenswerten Schlag gegen den Versuch, die LTTE in Malaysia unter dem Deckmantel des UN-Flüchtlingsstatus wiederzubeleben.

Vor den Festnahmen hatte der Iran im März nach einem Hinweis der Regierung in Colombo den Vizechef des internationalen LTTE-Netzwerks, Nanthagopan, festgenommen und zunächst nach Malaysia zurückgeschickt, von wo er dann nach Sri Lanka abgeschoben wurde.

Bei der Bekanntgabe der jüngsten Festnahmen erklärte der malaysische Generalkommissar der Polizei Khalid Abu Bakar, dass die drei Verdächtigen Malaysia missbraucht hätten, um für die LTTE Gelder zu sammeln, zu werben und die Organisation auf internationaler Ebene wiederzubeleben. So hätten die Sicherheitskräfte Propagandamaterial und eine große Summe Bargeld in 24 verschiedenen Währungen beschlagnahmt. Die Tamilen seien seit 2004 beim UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) registriert gewesen und hätten seit 2004 ohne Visa in Malaysia gelebt.

"Wir werden nicht zulassen, dass sie unser Land missbrauchen, um ihre Terrorakte zu planen und durchzuführen", meinte der Polizeichef und fügte hinzu, dass das UNHCR-Büro in Malaysia seine Verfahren zur Anerkennung der Flüchtlinge überprüfen sollte, um sicherzustellen, dass es nicht von mutmaßlichen Terroristen für Aktivitäten genutzt werde, die die regionale Sicherheit gefährdeten. Außerdem sprach er sich für eine Überprüfung aller rund 4.000 srilankischen Tamilen aus, die in Malaysia als Flüchtlinge anerkannt sind.

Wie die UNHCR-Sprecherin in Malaysia, Yante Ismail, gegenüber IPS erklärte, habe man die malaysische Regierung vergeblich dazu aufgefordert, die drei Verdächtigten erst nach Abschluss der Ermittlungen auszuliefern. Das UNHCR bedauere, dass man die Betroffenen dorthin zurückgeschickt habe, wo die Gefahr, dass sie Leid erführen, besonders hoch sei.

Das UNHCR steht mit seinen Bedenken nicht allein da. Seit 1983 haben tausende srilankische Tamilen, die sich in dem von Singhalesen dominierten Sri Lanka ihrer Rechte beraubt sahen, in anderen Staaten um einen Flüchtlingsstatus angesucht.

Bisher wurden in Sri Lanka die von der Armee begangenen Menschenrechtsverletzungen gegen Ende des bewaffneten Konflikts nicht untersucht. Und auch die Tatsache, dass es in den Nachkriegsjahren zu systematischen Festnahmen von Tamilen gekommen ist, haben Ängste geschürt, dass etliche Tamilen in Sri Lanka nicht sicher sind. Da Malaysia kein Vertragsstaat der UN-Flüchtlingskonvention von 1951 ist, muss es sich nicht an die UNHCR-Richtlinien halten.


Sri Lanka Ablenkungsmanöver vorgeworfen

P. Ramasamy, Vizeregierungschef des nordwestmalaysischen Bundesstaates Penang, der während der Friedensverhandlungen vor zehn Jahren die LTTE rechtlich beraten hatte, warf der malaysischen Polizei vor, der srilankischen Regierung in die Falle gegangen zu sein, die diese aufgestellt habe, um die internationalen Forderungen nach einer vollständigen Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen zu unterlaufen.

"Rund 90 Prozent der malaysischen Tamilen sind glühende Anhänger der tamilischen Befreiungsbewegung Sri Lankas. Wird der Polizeichef (Abu Bakar) mehr als zwei Millionen Menschen von uns verhaften, nur weil wir ihren Kampf unterstützen?", fragte er in einem Interview mit dem malaysischen Wirtschaftsmagazin 'The Edge'.

Etwa acht Prozent der rund 29 Millionen Malaysier sind Tamilen, die meisten Nachfahren derer, die von den Briten im 19. Jahrhundert zum Arbeiten auf den Gummiplantagen gebracht worden waren.

Der Regierung von Sri Lanka zufolge handelt es sich bei den drei festgenommenen Männern um LTTE-Führer. Demnach war der 45-jährige Gushanthan Sundaralingarajah alias Kushanthan seit 1994 Mitglied der LTTE und Vizechef der sogenannten 'Lufttiger', die Colombo mehrfach aus der Luft bombardiert hatten. Berichten zufolge soll er sich 2004 nach Malaysia abgesetzt haben, wo er studiert und als Elektroingenieur gearbeitet hat.

Der Zweite ist der 42-jährige Mahadevan Kirubaharan, dem Norwegen 2001 Asyl gewährte und der als Soundingenieur für 'Nitharsanam', die LTTE-Medienorganisation mit Sitz in Norwegen, gearbeitet haben soll. Er hielt sich seit 2006 in Malaysia auf. Der Dritte ist der 38-Jährige Selvathurai Kirubananthan alias Anbarasan (38), der seit 1998 angeblich für den LTTE-Geheimdienst tätig war, bevor er 2006 ebenfalls nach Malaysia ging.

Malaysias tamilische Minderheit war bis 2007 politisch inaktiv. Dann brachte die neu gegründete Aktionskraft für hinduistische Rechte (HINDRAF) 10.000 Menschen zusammen, die sich für die tamilische Minderheit im Lande einsetzten. Auf dem Höhepunkt der HINDRAF-Rebellion im Dezember 2007 warf der damalige malaysiasche Polizeichef Mussa Hassan der Gruppe vor, Terrorgruppen wie die LTTE aktiv unterstützt zu haben.

Die HINDRAF-Anführer wurden verhaftet und auf der Grundlage des Gesetzes für innere Sicherheit ins Gefängnis gesperrt. Im Oktober 2008 wurde die Bewegung verboten. Im Januar 2013 wurde das Verbot wieder aufgehoben. Im April unterzeichneten HINDRAF und die Regierungskoalition Barisan Nasional (BN) eine Absichtserklärung zur Stärkung der tamilischen Gemeinschaft.

Laut Ramanathan Sankaran, einem Wissenschaftler der indischen Diaspora in Malaysia, sympathisieren viele malaysische Tamilen mit den Tamilen Sri Lankas und unterstützen deshalb auch die LTTE. Die HINDRAF hatte diese Sympathien geteilt, doch seit der Absichtserklärung mit der Regierung sie in ihren Äußerungen vorsichtiger geworden. "Die HINDRAF hat in meinen Augen an Ansehen verloren, weil sie sich nicht zu der Festnahme und der Ausweisung geäußert hat", meinte Sankaran. "Ihre Passivität in dieser Sache ist wahrlich ein Unglück."

Einigen politischen Beobachtern zufolge besteht die größte Sorge der malaysischen Regierung darin, dass die einst von der HINDRAF ausgelösten Gefühle wiederbelebt und die malaysischen Tamilen erneut radikalisiert werden könnten. So beunruhigt die Regierung nicht zuletzt die Gründung der Gruppe, die sich selbst als 'Tamilar Progressive Team' nach dem Vorbild einer indischen Vereinigung im indischen Bundesstaat Tamil Nadu bezeichnet, mit der auch der als Anbarasan bekannte Selvathurai Kirubananthan zu tun hatte.

Der führende malaysische Menschenrechtsaktivist Chandra Muzafar hält die Sorge für unbegründet. "Die Unterstützung der Tamilen für die Regierungskoalition hat seit den allgemeinen Wahlen im Mai 2013 zugenommen", erklärte er gegenüber IPS. Die malaysische Regierung mache sich eher und zu Recht Sorgen darüber, dass die srilankischen Tamilen Malaysia als Stützpunkt zur Wiederbelebung der LTTE missbrauchen könnten. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/06/ghost-of-the-ltte-flickers-in-malaysia/

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IPS-Tagesdienst vom 13. Juni 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2014