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ASIEN/909: Aserbaidschan - Regierung verschärft Kampf gegen Menschenrechtler (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. August 2014

Aserbaidschan: Regierung verschärft Kampf gegen Menschenrechtler - Europaspiele werfen Schatten voraus

von Shahin Abbasow(*)


Bild: © OSCE Parliamentary Assembly

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev spricht am 28. Juni 2014 mit OSZE-Vertreter Ranko Krivokapic
Bild: © OSCE Parliamentary Assembly

Baku, 11. August (IPS) - Aserbaidschanische Menschenrechtler sehen sich in den vergangenen Monaten verstärkt Repressalien ausgesetzt. Dass die Regierung des energiereichen Landes im Südkaukasus immer wieder mit harten Maßnahmen gegen Aktivisten und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen vorgeht, ist an sich nichts Neues. Doch seit Juni sind so viele Kritiker des Regimes verhaftet worden wie seit langem nicht mehr.

Aserbaidschan reagiert damit zum einen auf die jüngsten Ereignisse in der Ukraine, wo Präsident Viktor Janukowitsch im Februar nach Massenprotesten seinen Posten räumen musste. Zum anderen greift die Regierung mit dieser sozialen Säuberung in bester sowjetischer Tradition den für 2015 geplanten Europaspielen in der Hauptstadt Baku vor. Die Wettkämpfe sollen eine Art Europäischer Olympischer Spiele werden, die im kommenden Jahr zum ersten Mal ausgetragen werden sollen. "Baku 2015" gilt als das Lieblingsprojekt des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev.

Die Repressalien gegen Menschenrechtler zeigen sich nicht nur in der Verhaftung mehrerer lokaler NGO-Vertreter, kritischer Blogger oder anderer Oppositioneller. Die Regierung versucht auch, Kritiker durch finanzielle Einschnitte mundtot zu machen. "Vor zwei Monaten erklärte der stellvertretende Leiter des Präsidialamtes, Novruz Mammadow, in einer öffentlichen Rede, die USA finanziere die Revolution in der Ukraine. Deshalb versucht man hierzulande, jegliche Geldströme aus dem Ausland, die die Zivilgesellschaft unterstützen sollen, zu unterbinden", sagt Emin Husejnow, Vorsitzender des 'Instituts für die Freiheit und Sicherheit von Journalisten' (IRFS).

Bekanntester Fall der Repression gegen Regimekritiker war am 30. Juli die Verhaftung der Menschenrechtsaktivistin Leyla Yunus, der unter anderem Steuerhinterziehung und Landesverrat vorgeworfen wird. Yunus sitzt nun in dreimonatiger Untersuchungshaft. Ihr Mann, Arif Yunus, war zunächst auch verhaftet, dann aber wieder freigelassen worden. Das Ehepaar war seit April im Visier der Staatsanwaltschaft.

Am 5. August meldete die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), dass Arif Yunus erneut verhaftet worden sei, als er auf dem Weg ins Gefängnis war, um seiner Frau, die an Diabetes leide, ein Essenspaket zu bringen. Zuvor hatte laut HRW der Anwalt von Leyla Yunus, Javad Javadov, erklärt, dass sich ihr Gesundheitszustand in der Haft bedeutend verschlechtert habe. Human Rights Watch fordert die sofortige Freilassung des Ehepaares.


"Autoritäres Aserbaidschan ist falscher Ort für Europaspiele"

Leyla Yunus leitet das 'Institute for Peace and Democracy', das unter anderem politisch motivierte Strafverfolgung, Korruption und Gewalt gegen Frauen bekämpft. Kurz vor ihrer Verhaftung hatte sie gemeinsam mit anderen Aktivisten öffentlich erklärt, das "autoritäre Aserbaidschan" sei der falsche Austragungsort für die Europaspiele, da hier "Menschenrechte verletzt werden". Yunus rief das Europäische Olympische Komitee auf, die Entscheidung für Baku zu revidieren.

Yunus ist nur eine von vielen, die in den letzten Monaten vom Regime hinter Gitter gebracht wurden. Die Liste der seit Juni verhafteten Oppositionellen liest sich wie ein "Who is Who" der aserbaidschanischen Zivilgesellschaft. Anar Mammadli, Vorsitzender des Wahlbeobachtungszentrums, wurde wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Auch sein Stellvertreter Baschir Suleymanli erhielt eine Haftstrafe von fünf Jahren. Hasan Huseynli, Leiter der NGO 'Kamil Vetendash' (auf Deutsch etwa: Intellektuelle Bürger), die sich für Jugendbildungsmaßnahmen einsetzt, soll sogar für sechs Jahre im Gefängnis bleiben. Ihm wird illegaler Waffenbesitz vorgeworfen. Außerdem soll er einen Menschen mit einem Messer angegriffen haben.

Yadigar Sadigov von der oppositionellen Gleichheitspartei wurde ebenfalls zu sechs Jahren Haft wegen "Rowdytums" verurteilt. Drei Aktivisten, die vor allem im sozialen Netzwerk Facebook aktiv sind, Elsever Mursalli, Abdulla Abilov and Omar Mammadov, erhielten Haftstrafen von bis zu fünf Jahren wegen illegalen Drogenbesitzes. Seit dem 25. Juli sitzt ein weiteres Mitglied der Gleichheitspartei in Untersuchungshaft: Faradj Karimli soll Betäubungsmittel beworben haben. Alle Genannten streiten die gegen sie vorgebrachten Vorwürfe ab.


Neue Gesetze erleichtern Kontrolle von NGOs

Vorausgegangen waren der Verhaftungswelle Gesetzesänderungen, die den Strafverfolgungs- und Steuerbehörden weitreichende Befugnisse einräumen, um NGOs zu überprüfen und zur Rechenschaft zu ziehen. Darüber hinaus können Nichtregierungsorganisationen, die nicht offiziell registriert sind, leichter finanzielle Zuflüsse gestrichen werden. "Baku folgt ganz offensichtlich dem russischen Vorbild, Finanzströme zu kontrollieren und damit insgesamt die staatliche Kontrolle auszuweiten", sagt der politische Analyst Elhan Shahinoglu, Vorsitzender des 'Atlas Research Center' mit Sitz in Baku.

Seit Mitte Mai hält Aserbaidschan turnusmäßig für ein halbes Jahr den Vorsitz des Ministerrates des Europarats, in dem die Außenminister der Mitgliedsstaaten zusammengeschlossen sind. Wer Mitglied im Europarat werden will, der traditionell gegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen kämpft, muss die Europäische Menschenrechtskonvention anerkennen. Das scheint aber kein Kriterium zu sein, um Mitglied zu bleiben. Und Aserbaidschan selbst sieht in seinen verschärften Repressalien gegen Vertreter der Zivilgesellschaft offensichtlich keinen Widerspruch zu seinem aktuellen Amt. Im Gegenteil. Präsident Aliyev hat gerade noch verlauten lassen, sein Land habe kein Problem mit Bürgerrechten. Bei seiner Eröffnungsrede zur 23. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am 28. Juni in Baku sagte er, Aserbaidschan sei "ein demokratisches Land, das die Versammlungsfreiheit, freie Meinungsäußerung, sowie eine freie Presse und ein freies Internet garantiert". Die OSZE scheint das anders zu sehen. Kürzlich hieß es seitens der Organisation, die zunehmende Anzahl inhaftierter Journalisten in Aserbaidschan sei ein "gefährlicher Trend". (Ende/IPS/jt/2014)


(*) Dieser Artikel ist zuerst bei EurasiaNet.org erschienen.


Links:

http://www.baku2015.com/
http://www.irfs.org
http://www.ipsnews.net/2014/08/azerbaijan-human-rights-plummet-to-new-low/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2014