Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

ASIEN/920: Afghanistan - Migranten werden massenweise aus dem Iran abgeschoben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. September 2014

Afghanistan: Zurück zum 'Punkt Null' - Migranten werden massenweise aus dem Iran abgeschoben

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Afghanische Migranten laufen nach der Ausweisung aus dem Iran zu Fuß nach Hause
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Zaranj, Afghanistan, 17. September (IPS) - "Natürlich habe ich Angst, aber was könnte ich sonst tun?" fragt Ahmed, ein Mann mittleren Alters, der auf einem Teppich in einem Hotel im Süden von Afghanistan hockt. Er will in den Iran, hat aber noch keine Vorstellung, wie und wann er über die Grenze kommen kann.

Ahmed ist Mitte 40, sieht aber gut zehn Jahre älter aus. In seiner Heimatstadt Bamiyan, 130 Kilometer nordwestlich von Kabul, weiß er nicht, womit er seine Familie mit sieben Kindern ernähren soll. Dass er nicht lesen und schreiben kann, ist ein weiteres Hindernis bei der Suche nach bezahlter Arbeit. "Zu Hause verhungern wir alle", sagt er, der auf den Schieber wartet, der ihn an sein Ziel bringen soll. Er hofft, dass dies sehr bald geschehen wird.

"Sie sind nie länger als zwei Tage hier", erklärt der Hotelmanager Hassan, der seinen vollständigen Namen nicht preisgeben möchte. Er kennt Ahmeds bevorstehende Reise bereits in allen Einzelheiten, agiert er als Mittelsmann zwischen seinen 'Gästen' und den Schiebern, die den Grenzübertritt gegen eine beträchtliche Summe erleichtern. "Sie werden auf der Ladefläche eines Transporters bis nach Pakistan gebracht. Von dort aus müssen sie einen ganzen Tag lang durch die Wüste laufen, bevor sie an die Grenze zum Iran kommen. Manche schaffen es nicht bis dahin", erzählt Hassan.


Letzter Halt vor der Grenze

Ahmed ist hält sich in einem der vielen Etablissements auf, die um den zentralen Platz der Stadt Zaranj, 800 Kilometer südwestlich von Kabul, verteilt liegen. Zaranj ist die Hauptstadt der abgelegenen afghanischen Provinz Nimruz, die als einzige an Pakistan und den Iran angrenzt. Der Platz wird auch 'Map Square' genannt, weil dort eine riesige Landkarte von Afghanistan auf einem Sockel angebracht wurde. Die Stadt ist der letzte Halt vor einer Reise, die bestenfalls als Albtraum in Erinnerung bleiben wird.

Jeden Tag legen Tausende Afghanen ihr Leben in die Hände von Mafiabanden, die ihnen eine Flucht aus einem Land verheißen, das sich 13 Jahre nach der US-geführten Invasion immer noch im Aufruhr befindet. Im Jahr 2011 lebten etwa 35 Prozent der insgesamt rund 30,55 Millionen Afghanen unterhalb der Armutsgrenze. Seither hat sich die Situation kaum verbessert. Die offizielle Arbeitslosenrate wurde in dem Jahr mit sieben Prozent angegeben. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO geht aber davon aus, dass sie wesentlich höher sein könnte.

Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Afghanen warten geduldig auf Schieber, die sie in den Iran bringen
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Es kommt also nicht überraschend, dass Afghanistan nach Syrien und Russland das Land ist, von wo aus die meisten Menschen Asyl in anderen Staaten suchen wollen. Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) beantragten allein 2013 etwa 38.700 Afghanen den UN-Flüchtlingsstatus. Sie machen damit 6,5 Prozent aller Asylsuchenden weltweit aus.


Türkei ist das attraktivste Ziel für Afghanen

Die Türkei ist mit Abstand das attraktivste Zielland, in das jährlich ungefähr 8.700 Asyl suchende Afghanen auswandern wollen. Auch Industriestaaten wie Schweden, Österreich und Deutschland sind für viele attraktiv. Andererseits erscheint der benachbarte Iran, wo sich Afghanen mühelos verständigen können, meist als die vernünftigste Wahl. Migranten, denen es gelingt, über die Grenze zu kommen, werden von Iranern allerdings nicht gerade herzlich empfangen.

Zwischen dem 'Map Square' in Zaranj und der offiziellen Grenze zum Iran liegen weniger als zwei Kilometer. Neben der Brücke über den Helmand-Fluss, das Niemandsland zwischen den beiden Staaten, liegt 'Punkt Null'. Dort müssen sich alle Afghanen, die aus dem Iran abgeschoben werden oder freiwillig zurückkommen, registrieren lassen. Um fünf Uhr nachmittags drängen sich dort fast 500 Menschen.

"Allein heute haben wir 259 Deportierte und 211 freiwillige Rückkehrer verzeichnet", sagt Mirwais Arab, der das Direktorat für Flüchtlinge und Heimkehrer am 'Punkt Null' leitet. "Wir sind nur in der Lage, 65 von ihnen Nahrungsmittel, eine Unterkunft für die Nacht und ein bisschen Geld für die Heimreise zu geben", erklärt der Regierungsbeamte. Aufgrund der zahlenmäßigen Beschränkungen und der begrenzten Hilfe setzen die meisten Migranten ihren Marsch nach der Registrierung fort.


Nach langem Marsch entkräftet zurück

Ständig kommen Scharen entkräfteter Männer über die Grenze aus dem Iran zurück. Man sieht ihnen an, dass sie sich geschlagen geben mussten. Viele von ihnen sind noch sehr jung. Die Khalil-Brüder, 21 und 22 Jahre alt, sind vor sechs Tagen über Pakistan nach einem langen Marsch durch die Wüste im Iran angekommen, wie sie berichten. Wie andere haben auch sie viel Geld an eine mit den Taliban verbündete Gruppe gezahlt, um unbeschadet über die Grenze zu gelangen. Ihre Rückkehr nach Afghanistan hat sich nicht einfacher gestaltet.

"Wir wollten nach Teheran, wurden aber in Iranshahr, 1.500 Kilometer südöstlich der Hauptstadt, geschnappt", berichtet Abdul, der ältere der beiden Brüder. "Polizisten haben uns mit Stöcken und Kabeln traktiert, bevor sie uns in Bussen zurück zur Grenze brachten."

Die Geschichte der Familie Arifi ist sogar noch dramatischer. Nachdem sie es von Kunduz im äußersten Norden Afghanistans aus nach Zaranj geschafft hatten, gingen sie illegal über die Grenze in den Iran. Von den fünf Familienmitgliedern ist ein siebenjähriges Kind nicht wieder mit den anderen zurückgekehrt.

Der fünfzehnjährige Ziaud erzählt von den schrecklichen Erlebnissen: "Als wir von iranischen Polizisten festgenommen wurden, zerrten sie meinen Bruder Mohammed und mich in ein Auto und meine Eltern in ein anderes Fahrzeug", erinnert der Teenager, der noch unter Schock steht. "Dann ist mein kleiner Bruder verschwunden. Mein Vater will wieder zurückgehen, um ihn zu holen."


Monatlich Hunderte Menschen abgeschoben

Najibullah Haideri, Leiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Nimruz, berichtet, dass der Iran monatlich durchschnittlich 600 Männer und 200 Familien nach Afghanistan abschiebt. Laut Ahmadullah Noorzai, Direktor des UNHCR-Büros in Zaranj, begann die Abschiebungswelle vor sechs Jahren.

In einem 2013 veröffentlichten Bericht legte die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) dar, dass Afghanen, die größte Gruppe von Migranten im Iran, Übergriffen sowohl von staatlichen Stellen als auch von Privatpersonen ausgesetzt seien. Der Iran verletzte damit die Pflichten, die er mit der Annahme der Flüchtlingskonvention von 1951 übernommen habe. Millionen Afghanen, die als Flüchtlinge anerkannt seien, sowie zahlreiche weitere Menschen, die aus dem kriegszerrissenen Land geflohen seien, würden dadurch in Gefahr gebracht.

HRW prangert an, dass "Tausenden Afghanen, die im Iran wegen Straftaten, die von Diebstahl bis Drogenschmuggel und Mord reichen, inhaftiert sind, regelmäßig der Zugang zu Rechtsanwälten verwehrt wird". Nach Schätzungen der Organisation wurden in den vergangenen Jahren Hunderte afghanische Migranten im Iran hingerichtet, ohne dass afghanische Konsularbeamte vorher benachrichtigt worden seien.

"Ein Visum für den Iran kostet umgerechnet 1.150 Euro", sagt der Manager eines anderen Hotels in Zaranj, der ebenfalls anonym bleiben will. Die Preise für einen illegalen Grenzübertritt fingen bei rund 330 Euro an. Die genaue Höhe hänge von dem Zielort ab. Am teuersten sei es, in die größten Städte Teheran, Esfahan und Mashad zu kommen, so der Hotelmanager.

"Migranten zahlen nur, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Deshalb wird so lange weiterversucht, bis sie es schaffen oder aber getötet werden." Hinter ihm stehen der 43-jährige Hamidullah und sein 17-jähriger Sohn Sameem, die auf ihre Chance für ein besseres Leben warten. Wahrscheinlich werden aber auch sie früher oder später wieder nach Afghanistan zurückkommen. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

www.ipsnews.net/2014/09/for-these-asylum-seekers-the-journey-ends-where-it-began/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. September 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2014