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ASIEN/970: Washingtons Strategie, Hanoi in die Einkreisung Chinas einzubeziehen, dürfte scheitern (Gerhard Feldbauer)


Washingtons Strategie, Hanoi in die Einkreisung Chinas einzubeziehen, dürfte scheitern

Zum Hintergrund des Obama-Besuchs in der Sozialistischen Republik Vietnam

Von Gerhard Feldbauer, 8. Juni 2016


Vom 23. bis 25. Mai stattete US-Präsident Barack Obama der Sozialistischen Republik Vietnam (SRV) einen Staatsbesuch ab. Im Ergebnis der Visite kaufte die Hanoier Fluggesellschaft AirVietJet beim US-amerikanischen Luftfahrt- und Rüstungskonzern Boeing 100 zivile Boeing 737, die auch zu Militärtransporten genutzt werden können. Der Erwerb weiterer Kriegstechnik sei vorgesehen, verlautete aus Agenturmeldungen. Die USA-Seite sprach vom Beginn einer militärischen Zusammenarbeit mit dem früheren Kriegsgegner. Freunde Vietnams zeigten sich beunruhigt, die SRV könnte sich in die Einkreisungsstrategie Washingtons gegen die Volksrepublik China hineinziehen lassen. Betrachten wir den Hintergrund, vor dem der Besuch stattfand.


USA-Strategie zielt auf weltweite Vorherrschaft

Die Politik der USA ist unverändert auf die Erringung der Vorherrschaft in allen Teilen der Welt ausgerichtet. Die asiatisch-pazifische Region mit ihren immensen Vorkommen an Gas und Öl, reichen Fischfanggründen und ihrer großen geostrategischen Bedeutung bildet darin einen strategischen Schwerpunkt. Nach der Niederlage des Sozialismus in Osteuropa kommt hier an Stelle der einstigen UdSSR objektiv der Volksrepublik China die führende Rolle im Kampf gegen den Imperialismus für nationale Befreiung und den sozialen Fortschritt zu. Dieser Aufgabe entspricht ihr zunehmendes Engagement auch in Afrika und Lateinamerika. Deshalb ist sie der erklärte Hauptfeind der USA, die ihr gegenüber eine Politik der Einkreisung mit dem Ziel betreiben, ihr sozialistisches Modell zu liquidieren. Nun will, wie das online-Portal German Foreign Policy am Mittwoch vom "Shangri-La-Dialog", der hochkarätigen Konferenz zur Außen- und Militärpolitik in Asien, berichtete, auch die EU in den Konflikt eingreifen und zur vorgeblichen Sicherung der "Navigationsfreiheit" gemeinsame Marinepatrouillen ins Südchinesische Meer entsenden.


Militärisches Patt zwischen USA und China nur Frage der Zeit

Die Volksrepublik ist dabei, die USA als führende imperialistische Macht wirtschaftlich zu überholen. Auf militärischem Gebiet zeichnet sich ab, dass Peking den militärischen Rückstand aufholen und es in noch nicht genau absehbarer Zeit zum Patt mit Washington kommen wird. Die globale Dimension der Auseinandersetzung verdeutlicht das militärische Zusammenwirken der Volksrepublik mit Russland. Beide Staaten führten zuletzt im Mai 2014 in Anwesenheit ihrer Präsidenten Putin und Xi Jinping ein gemeinsames Flottenmanöver im Ostchinesischen Meer durch, das die Stimme Russlands als eine direkte Antwort auf das Vorgehen der USA gegen Russland in der Ukraine" wertete. Dort gehe es darum, "das Potenzial der NATO auszugleichen und eine ausbilanzierte Gruppierung der Marinekräfte zu schaffen, die imstande ist, sich gegen die NATO zu behaupten". Es geht also um die Frage, ob - wie der Asienexperte der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Felix Heiduk, es kürzlich formulierte - die "Pax Americana" in Ostasien fortbesteht oder ob sie in nächster Zeit durch eine von China geprägte regionale Ordnung abgelöst wird.


Der Inselstreit

In den Konflikt ragt der sogenannte Inselstreit vor allem um die im südchinesischen Meer liegenden Paracel- und Spratley-Inseln hinein. Während Vietnam die Inselgruppe für sich beansprucht und das Gebiet zu seiner Wirtschaftszone erklärt hat, macht Peking rund drei Viertel des Vietnam vorgelagerten Meeresgebietes als historisch zu China gehörend geltend. Nachdem die Anrainer-Staaten Malaysia, Vietnam, die Philippinen und Taiwan in den vergangenen Jahren auf von ihnen beanspruchten Inseln und Korallenriffen Militäranlagen errichteten, ist auch China dazu übergegangen, auf den Inseln Militärstützpunkte mit Flugplätzen anzulegen.

Bei der Bewertung der Haltung Chinas zu Vietnam ist aus marxistischer Sicht einzubeziehen, dass die Erweiterung des kapitalistischen Sektors die Gefahr eines Wiederauflebens des alten Han-Großmachtchauvinismus - der Beherrschung Asiens - in sich birgt. Unter diesem Gesichtspunkt kann man auch den Einfall Chinas im Januar 1979 in Vietnam, der eine Reaktion auf den Sturz des von Peking damals ins Machtkalkül einbezogenen Pol-Pot-Regimes in Kambodscha durch die Vietnamesische Volksarmee war, nicht außer Acht lassen.


Vietnam wird sich nicht in den Konflikt der USA gegen China hineinziehen lassen

Von welchen wesentlichen Faktoren sollte bei einer Einschätzung der Haltung Vietnams zu den USA-Zielen in der Region ausgegangen werden:

• dass die seit 1930 im nationalen und sozialen Befreiungskampf führende Kommunistische Partei (KPV) stets ihre strategische Fähigkeit zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung unter nationalen und internationalen Aspekten gerecht geworden ist;

• dass nach der Befreiung Südvietnams 1975 die KPV mit der Wiederherstellung der Einheit des Landes in der SRV im April 1976 der von den USA betriebenen Konterrevolution im Süden die staatliche Basis entzog und den Wirtschaftsboykott Washingtons zum Scheitern brachte;

• dass nach der sozialistischen Niederlage in Mittel- und Osteuropa 1989/90 die KPV die Hoffnungen ihrer Feinde zunichte machte, sie werde den Weg der osteuropäischen "kommunistischen und Arbeiterparteien" gehen und den Pfad der Sozialdemokratie einschlagen. Während in Osteuropa die KPs zerfielen, stieg die Mitgliederzahl der vietnamesischen in dieser Zeit um rund 500.000 auf 2,5 Millionen an und beträgt heute 3,6 Millionen, von denen 60 Prozent Jugendliche sind, was die ausländischen Behauptungen, die Jugend interessiere sich nicht für den Sozialismus, Lügen straft. • Im Januar 2016 bestätigte der 12. Parteitag der KPV die "weitere Festigung der führenden Rolle der KPV" als "Vertreter aller Schichten des Volkes und der Nation" und unterstrich die eben angeführte Bedeutung der "Fähigkeit strategischen Denkens" der Partei.

• Einen Monat vor dem Besuch Obamas erfolgte ein weiterer Schritt der Festigung Vietnams. Mit der Wahl des Politbüro-Mitglieds Tran Dai Quang wurde der bisherige Minister für öffentliche Sicherheit von der Nationalversammlung zum Staatspräsidenten gewählt.

• Ausgehend davon, dass die Beschlüsse der KPV die Grundlage der strategischen Ausrichtung der Politik der Partei- und Staatsführung sind, sollte hier noch angeführt werden, dass der 12. Parteitag allen Spekulationen der USA, Vietnam im Konflikt mit der Volksrepublik China auf ihre Seite zu ziehen, eine klare Abfuhr erteilte. Generalsekretär Nguyen Phu Trong erklärte: Vietnam werde "seine Unabhängigkeit und seine Souveränität bewahren sowie den Frieden und die Stabilität gewährleisten".

Schließlich vertrauen Freunde sowohl Vietnams als auch Chinas darauf, dass beide Staaten, ausgehend von ihrer sozialistischen Zielstellung wie in der Vergangenheit darauf setzen, diesen Konflikt friedlich zu lösen. Diesen Standpunkt hatte Deng Xiao-ping Ende der 1970er herausgestellt. Der chinesische Außenminister griff das im Jahre 2000 auf und erklärte als gemeinsames Ziel: "unsere Souveränität bekräftigen, die Konflikte beiseitelegen, eine gemeinsame Entwicklung anstreben". Auch als 2014 der Konflikt eskalierte und es aus Protest gegen Pekings Haltung zu Übergriffen gegen chinesische Händler in Vietnam kam, hatten Hanoi und Peking bei einem Treffen zwischen dem chinesischen Handelsminister Gao Hucheng mit dem vietnamesischen Minister für Industrie und Handel, Vu Huy Hoang eine friedliche Beilegung vereinbart, nach der das gewaltsame Vorgehen gegen chinesische Unternehmen in Vietnam beendet wurde.


Vietnam will Zusammenarbeit mit China erweitern

Schon einen Tag nach dem Obama-Besuch in Hanoi begann in Nanning (VR China) das 9. Forum der wirtschaftlichen Kooperation im Bac Bo (Golf von Tonking) mit etwa 400 Vertretern von Regierungen, internationalen Organisationen und Unternehmen Chinas und der ASEAN. Wie der in Hanoi erscheinende "Courier du Vietnam" am 6. Juni berichtete, hob der Vize-Minister für Transport und Verkehr Nguyên Hông Truong die Bereitschaft seines Landes zur Erweiterung der Zusammenarbeit mit China und den ASEAN-Staaten im Außenhandel, den Investitionen in der Infrastruktur und der Kommunikation, in der Bildung, im Umweltschutz und weiteren Bereichen hervor.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2016

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