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ITALIEN/026: Ex-Premier Berlusconi zu vier Jahren Gefängnis verurteilt (Gerhard Feldbauer)


Ex-Premier Berlusconi wegen Steuerbetrug zu vier Jahren Gefängnis verurteilt

Es dürfte nur die Spitze eines kriminellen Eisberges sein

von Gerhard Feldbauer, 30. Oktober 2012



Der mehrmalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist am Freitag vergangener Woche wegen Steuerbetrug in Verbindung mit Preismanipulierungen, der Führung von Schwarzgeldkonten und Tarnfirmen von einem Mailänder Gericht in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren und zur Zahlung von zehn Millionen Euro Schadenersatz an den Staat verurteilt worden. Außerdem wird ihm die Ausübung öffentlicher Ämter für fünf Jahre untersagt. Damit wird den Ambitionen des Mediendiktators, sich 2013 zum Staatspräsidenten wählen zu lassen oder wenigstens zum Senator auf Lebenszeit ernannt zu werden, ein Ende bereitet.

Berlusconi war angeklagt 2002 und 2003 (in diesen Jahren war er das zweite Mal Regierungschef) mit Mitarbeitern seines Medienkonzerns Mediaset, zu dem seine drei privaten Fernsehsender, Kinoketten und Video-Produktionsgesellschaften gehören, eine "Befehlskette gebildet zu haben", über die beim Verkauf von Fernsehrechten die Kosten um Hunderte Millionen Dollar aufgebläht worden seien. Über Scheinfirmen wurden die Rechte an Filmen erworben und an Mediaset zurückverkauft, wodurch das Unternehmen niedrigere Gewinne angab und weniger Steuern zahlen musste. Die Ermittlungen zum jetzigen Verfahren waren vor zehn Jahren eingeleitet und vor sechs Jahren der Prozess eröffnet worden. In seiner Regierungszeit 2001 bis 2006 und erneut ab 2008 bis zu seinem Rücktritt im November 2011 hat der Angeklagte durch die sogenannte Lex Berlusconi (Strafverhinderungsdekrete) das Vorgehen der Justiz gegen sich immer wieder verhindert und damit für mehrere anstehende strafrechtliche Delikte Verjährung erreicht.

Von den vier verhängten Haftjahren würden drei unter einen 2006 wegen Überfüllung der Gefängnisse erlassenen Straferlass fallen. Ob es zum Vollzug kommt, ist fraglich, da Urteile in der ersten Instanz nicht rechtskräftig sind und die Anwälte des Mediendiktators bereits Berufung eingelegt haben. 2014 würde bereits die Verjährung einsetzen, und ob der Prozess bis dahin die fälligen zwei weiteren Instanzen erreichen wird, ist fraglich.


Schon im Visier der Mailänder Ermittler der Mani pulite

Beobachter in Rom meinen, dass das jetzige Urteil nur die Spitze eines kriminellen Eisberges zeige. Die lange Liste der Delikte belegt das augenscheinlich. Als 1992/93 das alte Parteiensystem im Korruptionssumpf (das Turiner Einaudi-Institut errechnete damals, dass jährlich zehn Mrd. Dollar Schmiergelder gezahlt wurden) zusammenbrach, war Berlusconi schon Objekt staatsanwaltlicher Ermittlungen. Auch hatte er sich bereits, wie die Publizisten Giovanni Ruggeri und Mario Guarini in ihrer Biographie, 1994 in Deutsch bei Gatza erschienen, "Berlusconi. Showmaster der Macht" nachwiesen, "eine Verurteilung wegen falscher Zeugenaussage eingehandelt" (er hatte zu seiner Mitgliedschaft in der faschistischen Putschloge P2, die ihm Millionen Dollar zum Aufbau seines Medienimperiums zuschanzte, falsche Angaben gemacht). Als Berlusconi im April 1994 erstmals Regierungschef wurde, konnte er die Korruptionsermittlungen der Mailänder Untersuchungsrichter unter Leitung des Staatsanwalt Antonio di Pietro Mani pulite (saubere Hände) noch stoppen.


Seit 1994 über 30 Strafverfahren anhängig

Nach seinem erzwungenen Rücktritt im November 1994 wurden gegen ihn seitdem insgesamt über 30 Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung, Bestechung und zahlreicher weiterer Delikte eröffnet oder Ermittlungen dazu geführt. 1997 wurde er wegen Bilanzfälschungen in erster Instanz zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt, ein Jahr später erhielt er 18 Monate. Insgesamt wurden in mehreren Prozessen gegen ihn Urteile über zehn Jahre Freiheitsstrafe und umgerechnet zehn Millionen DM Geldstrafe verhängt, deren Aufhebung seine Anwälte bereits vor seiner erneuten Berufung ins Amt des Premiers 2001 teilweise durchgesetzt hatten. Als Berlusconi 2001 zur Wahl kandidierte, warteten jedoch noch fünf Prozesse auf ihn, die er dann als Regierungschef mit den erwähnten Strafverhinderungsdekreten zu Fall brachte. Jetzt steht als nächstes der sogenannte Ruby-Prozess wegen Sex mit einer minderjährigen Prostituierten im Zusammenhang mit Amtsanmaßung an. Als die Marokkanerin Rubacuori (Herzensdiebin) später in polizeilichen Gewahrsam genommen wurde, ordnete Berlusconi an, sie freizulassen, da sie eine Nichte des (damaligen) ägyptischen Präsidenten Mubarak sei. Hier könnte das Urteil noch vor Jahresende fallen.

Di Pietro, heute Vorsitzender der zu Mitte Links gehörenden Partei der Werte Italiens (IdV), hob vor allem die "moralische Wirkung, dass "die Wahrheit ans Licht gekommen" sei, hervor.


Rundumschlag gegen Merkel, Sarkozy und Monti

Auf das Urteil reagierte Berlusconi mit einem wütenden Rundumschlag. Die Richter bezichtigte er der "Barbarei", seine Parteifreunde nannten es "einen politisch motivierten Mordversuch", Bundeskanzlerin Merkel und den französischen Ex-Präsidenten Sarkozy warf Berlusconi einen Anschlag auf seine "internationale Glaubwürdigkeit" vor, seinen Nachfolger im Amt, Mario Monti, drohte er die Aufkündigung der Unterstützung seiner Partei im Parlament an, was zum Sturz von dessen Übergangsregierung aus Technikern führen und auch zur Parlamentsauflösung und damit vorzeitigen Wahlen, wenn auch nur drei Monate vor dem normalen Wahlgang im April 2013, führen könnte.

Schon vor Prozessende hatte Berlusconi unter dem Druck auch aus seiner eigenen Volksfreiheitspartei (PdL) erklärt, zu den Parlamentswahlen 2013 nicht wieder für das Amt des Premiers zu kandidieren, sagte aber nun, weiter in der Politik "mitmischen zu wollen" und deutete an, vor allem in seiner Partei die Fäden im Hintergrund zu ziehen. Dazu verfügt Berlusconi mit seinem Medienmonopol weiterhin über beträchtliche Möglichkeiten. In diesem Zusammenhang wird auch gesehen, dass der derzeitige PdL-Chef, Angelo Alfano, der Berlusconis Verzichtserklärung zur Wahlkandidatur durchsetzte, ankündigte, sich nicht wieder für den Parteivorsitz zu bewerben. Aus PdL-Kreisen wurde aber auch geäußert, dass Berlusconis wütende Reaktionen auf das Urteil dem Wahlkampf der Partei schaden, die in Umfragen gegenüber 37,7 Prozent bei den letzten Parlamentswahlen 2008 nur noch kaum zehn Prozent erreicht.


Letzter Coup Lista zecca (funkelnagelneue Liste)

Der Abstiegstrend wurde durch die Regional(Landtags)wahlen am vergangenen Wochenende auf Sizilien bestätigt, wo Mitte Links (Demokraten und Linkspartei) den Urnengang gewann, während die PdL fast die Hälfte der bisherigen Stimmen verlor und nur noch auf 13,5 Prozent kam. Aufsehen erregte, dass die IdV Di Pietros ein Bündnis mit den Kommunisten (PRC und PdCI) einging und 6,1 Prozent erreichte (2008 erzielte sie allein 4,3 Prozent). Nach der Wahlniederlage äußerte der Medientycoon, an Stelle seiner dem Zusammenbruch nahen PdL eine neue Lista zecca (funkelnagelneue Liste) zusammenzuzimmern. Als Hauptziel nannte er, wie 1994, einen Wahlsieg der Linken (womit die Linke Mitte verteufelt wird) zu verhindern und den Kampf wieder gegen das damals an die Wand gemalte "Gespenst der kommunistischen Gefahr" zu führen.


Für Italienischsprachkundige verweist der Autor auf ein Buch zur kriminellen Praxis Berlusconis: Elio Veltri/Marco Travaglio: L'Odore dei Soldi. Origini e Misteri delle Fortune di Silvio Berlusconi (Der Geruch der Gelder. Herkunft und Geheimnisse des Erfolgs Berlusconis). Rom 2001.

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2012