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FRAGEN/023: Frieden in KwaZulu-Natal (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2015

Frieden in KwaZulu-Natal
Sinani fördert Versöhnung und mindert Gewalt

Interview mit Simanga Sithebe von Karin Spieler


Am 21. März ist der Tag der Menschenrechte in Südafrika. An diesem nationalen Feiertag wird der Opfer des Sharpeville-Massakers 1960 und daran anschließender Proteste gegen das Apartheidregime gedacht. Dies förderte über Jahrzehnte Gewalteskalationen. Gewaltüberwindung und Versöhnung zwischen verschiedenen Konfliktparteien sind bis heute vielerorts Herausforderungen.

Politisch motivierte Gewalt zwischen Anhängern des African National Congress und der Inkatha Freedom Partyforderte während der 1980er und 1990er Jahre in KwaZulu-Natal über 20.000 Todesopfer, mindestens 500.000 Menschen wurden vertrieben. Durch die bürgerkriegsartigen Kämpfe entstanden Gewaltkreisläufe, bis heute sind politische, soziale und häusliche Gewalt eng ineinander verschränkt.

Die Organisation Sinani, KwaZulu-Natal Programme for Survivors of Violence, arbeitet seit 1995 systemisch in ca. zwanzig von der politischen Gewalt besonders betroffen Gemeinden. Der Name ist Programm. In IsiZulu bedeutet Sinani "Wir stehen Dir bei". Sinani leitet lokale Gruppenprozesse für Gewaltaufarbeitung, Versöhnung und ein friedlicheres Miteinander an. Karin Spieler, die lange vor Ort arbeitete, sprach mit Sinani-Direktor Simanga Sithebe.

Frage: Wie schätzen Sie die Aufarbeitung der politischen Gewalt ein?

Simanga Sithebe: Wir Südafrikaner sind uns einig: Wir sind eine verwundete Nation mit tiefen Narben aus jahrzehntelanger physischer, struktureller und territorialer Gewalt. Der Heilungsprozess ist noch lange nicht beendet. Auch Staatsvertreter sehen das so, selbst wenn manche das am liebsten unterdrücken würden.

Meiner Meinung nach hat Präsident Nelson Mandela versucht, Brücken zu bauen, um die Trennung zu überwinden. Er wollte Menschen, die einander gegenseitig Gewalt zugefügt hatten, wieder an einen Tisch bringen. Sein Nachfolger, Thabo Mbeki, war eher ein pragmatischer, rationaler Technokrat, der meinte, die interne gesellschaftliche Aufarbeitung und das "Nation Building" seien bereits geleistet. Während seiner Präsidentschaft wuchs zwar die Ökonomie und staatliche Institutionen wurden erfolgreich verbessert, aber die unsichtbaren offenen Wunden der südafrikanischen Bevölkerung blieben unbeachtet.

Gerade in KwaZulu-Natal dauern die Probleme der Gewaltüberlebenden an. Menschen, die in zwei Dekaden schrecklichste Gewalt erlebt haben, geben ihren Schmerz an ihre Familien und Gemeinden weiter. Rachsucht und Feindseligkeit zwischen den Gruppen sind geblieben. Deshalb überraschen mich die rohe Gewalt, die willkürliche Zerstörung von Dingen aus Unzufriedenheit und der Alkoholismus nicht. Denn die Menschen erhielten keine Unterstützung bei der Bearbeitung ihrer Traumata.

Ich erkläre diese Zusammenhänge am Beispiel einer Gemeinde bei Richmond: Viele Menschen wurden dort 1994-95 vertrieben, zahlreiche wissen bis heute nicht, was mit ihren Angehörigen geschehen ist. Deshalb hegen besonders junge Männer immer noch Rachegefühle, da ihre Eltern ermordet und nie angemessen beerdigt wurden. Bei Feierlichkeiten, beispielsweise einer Hochzeit, entfachen sie aufgrund alter Konflikte häufig Kämpfe untereinander, obwohl sie zu jener Zeit noch Kinder waren. Einmal ging es soweit, dass ein junger Mann einen Alten einfach erschoss. Er erklärte, ihm sei erzählt worden, dieser Mann sei schuldig für den Tod seines Vaters. Hier bat die Polizei Sinani, die Gemeinde zu unterstützen, da sich solche Fälle häuften. Sie lud uns zu einer Veranstaltung ein, bei der traditionelle Autoritäten über das Bedürfnis der Bewohner und ihrer Gemeinden sprachen, bei einem Prozess der Aussöhnung begleitet zu werden.

Frage: Wie gestaltet Sinani Traumabearbeitung in Workshops?

Simanga Sithebe: Sinani wird als Unterstützer bei der Bearbeitung von Traumata gesehen, so dass wir von Gemeinden, traditionellen Autoritäten, aber auch von der Polizei angefragt werden. Diese Einladungen sind wichtig, denn nur so können wir eine kreative Atmosphäre des Respekts und Dialogs schaffen. Üblicherweise begründet sich die Stress- und Traumaarbeit auf dem Motto: Entweder Ihr setzt die Gewaltspirale fort oder durchbrecht sie und tretet in den Friedenszyklus ein.

Wir sagen: "Wenn wir in der Lage sind, die verfeindeten Menschen zusammenzubringen, und ihnen ermöglichen, einander zuzuhören, was die andere Seite zu sagen hat und was die Gegenüber fühlen, erst dann kann die eigentliche Stressbewältigung und Traumaarbeit beginnen."

Es ist ein langer Prozess, der immer individuell mit den Betroffenen besprochen wird. So erkundigen wir uns bei den Teilnehmern im ersten Workshop nach ihren traumatischen Erlebnissen, um diese in einem behüteten Rahmen, in einer Gruppe mit vertrauenswürdigen Gleichaltrigen, zu teilen. Sie haben zudem die Möglichkeit, über ihre persönliche Geschichte, die sie nicht in der Gruppe preisgeben möchten, mit Sinani-Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen individuell zu sprechen. Die Geschichten werden niedergeschrieben, in einen Umschlag gelegt und anschließend symbolisch verbrannt. Dann fragen wir, was die Menschen benötigen und wie sie den Gewaltkreislauf durchbrechen können. Zu einem erfolgreichen Heilungsprozess gehört, dass die betroffenen Teilnehmer ihre eigenen Bedürfnisse ermitteln, wofür sie über einen längeren Zeitraum hinweg miteinander sprechen, dabei Geheimnisse herausfinden oder Bekanntes sich bestätigt. Zur individuellen Unterstützung der Prozesse stehen jederzeit Sinani-Mitarbeiter zur Verfügung.

Einige Monate später kann eine weitere Runde der Stress- und Traumaarbeit beginnen. Die Betroffenen erzählen von ihren Schwierigkeiten und der Unterstützung, die sie zum Fortgang der Therapie benötigen. Möglicherweise begeben sie sich auf den Weg zur Vergebung. So vorbereitet treffen sie auf ihre Kontrahenten. Die Teilnehmenden werden dann aufgefordert, die anderen Gemeindemitglieder nicht als verfeindete Gruppe zu sehen, sondern nachzudenken, wie die einzelnen Individuen sich in der Konfliktsituation fühlten. Dies kann zu einer gemeinsamen Reinigungs- und Versöhnungsfeier führen.

Frage: Wie ergänzt Sinani die Traumaarbeit?

Simanga Sithebe: Es gibt einen Leadership-Dialog, in dem über Vorfälle in der Gemeinde gesprochen wird. Im bereits erwähnten Fall in Richmond, wo der Vater des jungen Mannes und weitere Menschen umgebracht worden waren, stellte sich dann in einem solchen Leadership-Dialog ein ca. 25-Jähriger als Vertreter und Anführer der verfeindeten Gruppe vor. Er entschuldigte sich bei der Gruppe des jungen Mannes für diejenigen, die sie getötet hatten. Er war bereit, darüber zu berichten, wo die Ermordeten begraben waren. Ein solches Treffen sollte deshalb für die Familien Antworten darauf geben, was ihren Angehörigen zugestoßen ist. Es ist ein schmerzhafter und langwieriger Prozess. Traditionell sagen Südafrikaner: "Wenn Du verletzt wurdest, darfst du nicht weinen und nicht darüber sprechen", was für die meisten Familien problematisch ist und zudem die Nation davon abhält, dieses Trauma zu überwinden.

Sinani hält dagegen: "Vergrabe den Schmerz nicht, öffne Dich!" Das fällt Männern besonders schwer, da sie traditionell stark sein, nicht über Gefühle reden und nicht weinen sollen. Daran muss gearbeitet werden. Sinani möchte traditionelle und gewählte Autoritäten überzeugen, in diesem Prozess mit gutem Beispiel voranzugehen, gegen das Misstrauen der Menschen zu arbeiten und offen über Verletzungen zu sprechen.

Frage: Betrifft das viele Gemeinden?

Simanga Sithebe: Ja, denn es gibt eine starke soziale Zersplitterung, mit großen Einkommensunterschieden und weit verbreitete Armut, in der 45 Prozent der Bevölkerung mit lediglich zwei US-Dollar am Tag leben müssen. Die offene Gewalt hat sich potenziell in die Familie verlagert und in den Gemeinden herrscht Kriminalität. Es wäre hilfreich, wenn die Menschen sich Zeit zum gegenseitigen Zuhören geben und einen respektvollen Dialog miteinander beginnen würden.

Frage: Was hat Sinani in den letzten zwanzig Jahren erreicht?

Simanga Sithebe: Wir haben die Idee der psychologischen Hilfe entmystifiziert, denn wenn Menschen sich trauen, über ihre traumatischen Erlebnisse zu sprechen, sind sie nicht schwach oder verrückt. So wissen alle, dass Menschen in bestimmten Zeiten psychologische Hilfe brauchen, aber auch in der Lage sind, einander zu helfen und offen und respektvoll auf Kontrahenten zuzugehen. Generell haben wir Brücken zwischen den verschiedenen früheren Konfliktparteien gebaut, nun können ANC und Inkatha Freedom Party koexistieren. Es ist unser Erfolg, dass es bei den letzten Wahlen keine gewalttätigen Übergriffe gab. (Das ist wichtig für die Lokalwahlen 2016, d. Red.) Zudem haben wir die Kultur des Respekts wieder belebt und Gemeinsamkeiten und Selbstbewusstsein mit den Menschen erarbeitet, um friedvoll und doch konstruktiv auf politische Herausforderungen zu reagieren.

Frage: Wo steht Sinani in zehn Jahren?

Simanga Sithebe: Es gibt ein Sprichwort: "Mit dem, was wir heute tun, gestalten wir die nächsten Jahre." Viel hat sich in den letzten zwanzig Jahren verändert. Gleich geblieben ist die Fähigkeit des "Zuhörens", das Ernstnehmen der Menschen, die Stärkung ihres Selbstbewusstseins und die Begleitung auf ihrem Weg. Das betrifft auch unsere Programme zu sozialer und häuslicher Gewalt, HIV/Aids und Karriereplanung für Schulabgänger. Die jungen Frauen und Männer werden nach den Trainings tatsächlich in wirtschaftlichen und sozialen Bereichen aktiver und kreativer. Ich würde mich freuen, wenn in 10-15 Jahren weniger Menschen staatliche Zuschüsse benötigen und ein würdevolleres, friedvolleres Leben führen.


Die Autorin ist systemische Beraterin und war zivile Friedensfachkraft, u.a. in Südafrika.

http://www.survivors.org.za/

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2015, S. 17-18
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2015

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