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FRAGEN/055: Jung sein in Nicaragua (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Interview: Jung sein in Nicaragua

Von Andrea Serrano Bran


(Fortaleza, 30. Juni 2018, adital) - Das folgende Interview mit einer jungen Frau aus Nicaragua kommt von dem Jugendbüro des Jesuitenordens Zentralamerika. Aus Sicherheitsgründen wird ihr Name nicht genannt. Das Interview führte Andrea Serrano Bran.

Wie würdest du das Umfeld beschreiben in dem du dich gerade befindest?

Es ist eine große Spannung zu spüren, sehr viel Unsicherheit und Angst. Auf den Straßen wird Terror gesät, was die Unregierbarkeit nur noch verschärft. Man kann nicht zu jeder Uhrzeit auf die Straße gehen. Ab 17 Uhr sollte man seine Erledigungen draußen abgeschlossen haben.

Was bedeutet es heute in Nicaragua jung zu sein?

Das bedeutet vor allem der Hauptfeind der Regierung zu sein. Man wird automatisch zu jemandem, der durch die Regierung eliminiert werden soll. Für die Bevölkerung sind wir allerdings die Hoffnungsträger*innen, die Erbauer*innen eines gerechteren und bewussteren Nicaraguas. Wir sind die Stimmen derjenigen, die ihr Leben verloren haben, die Kinder eines Landes, das nicht weiter durch die Gewalt entstellt werden will.

Welche Dynamiken beobachtest du in diesem historischen Moment, den Nicaragua gerade erlebt?

Es gibt viele Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Jeden Tag stehen wir auf, um zu sehen, wie viele von der Polizei ermordet wurden, wie viele Verletzte es gibt und wie viele man hat verschwinden lassen. Als Katholikin hat mich der Einsatz unserer Priester und Bischöfe mit Stolz erfüllt. Sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, als sie im Kreuzfeuer auf die Angreifer*innen eingeredet haben, unser Recht auf friedlichen Widerstand zu respektieren.

Gab es auch Momente der Hoffnung in diesem Konflikt?

Es gibt sehr viel Solidarität. Lebensmittel und Medikamente werden gesammelt für die Leute aus den Teilen im Land, die ausgeplündert und in Brand gesteckt wurden, für die Leute auf den Barrikaden und für jene, die sich in den Universitäten verschanzt haben. Es gibt auch viel Empathie, uns alle schmerzen die Ermordeten. Der Schmerz der Mütter berührt uns, wie sie in den Gefängnissen nach ihren Kindern suchen und es schmerzt auch uns, wenn die verschwundenen Kinder nicht in den Gefängnissen, sondern von Folter gezeichnet in der Rechtsmedizin auftauchen.

Was möchtest du deinem Land sagen?

Dass wir Geduld haben mögen. Leider wird unser Land von einem Pärchen regiert, das blind vor Macht und Hochmut ist. Aber unser Kampf ist richtig und das Blutvergießen wird sich eher früher als später auszahlen. Nicaragua in wirtschaftlicher Hinsicht wieder auf die Beine zu stellen, wird nicht so schwer sein, mit Kapital und Investor*innen kann das gelingen. Die eigentliche Herausforderung besteht im Aufbau einer gerechten Gesellschaft, die am Gemeinwohl und nicht am Wohlergehen Einzelner interessiert ist. Wir müssen erreichen, auch denjenigen, die daran gewöhnt sind immer alles zu kriegen, Werte beizubringen und sie zu leben.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2018

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