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GRIECHENLAND/003: Heimkehr nach Ithaka? - Wie Zivilgesellschaft und Politik auseinanderdriften (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1+2/2012

Heimkehr nach Ithaka?
Wie Zivilgesellschaft und Politik in Griechenland auseinanderdriften

Von Christos Katsioulis


Eine Odyssee hatte Georgios Papandreou seinen Landsleuten 2010 angekündigt. Er wollte damit klar machen, dass die Reform der griechischen Finanzen lange beschwerliche Jahre dauern werde. Doch je länger es dauert, desto unpassender wird das Bild. Es sind nicht die Götter, die einer Heimkehr im Wege stehen, es sind die Finanzmärkte, aber auch die verkrusteten Strukturen des griechischen Staates und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Aber ebenso gravierend ist, dass zwischen Kapitän und Mannschaft Uneinigkeit über den Kurs, die Geschwindigkeit und die Verteilung der Rationen herrscht. Der seit Ausbruch der Krise sichtbare Riss zwischen dem politischen System und der griechischen Gesellschaft wird zunehmend größer.


In Griechenland zeichnete sich zum Ende 2011 ein Wandel der politischen Landschaft ab, der Athen in den nächsten Jahren prägen dürfte. Im November überschlugen sich die Ereignisse. Nur wenige Tage nach dem Europäischen Gipfeltreffen, bei dem ein Schuldenschnitt von ca. 50% beschlossen wurde, kündigte Ministerpräsident Papandreou ein Referendum in Griechenland über die Sparpolitik an. Nur wenn dieses Votum positiv ausfalle, könne das Rettungspaket angenommen und die Austeritätspolitik fortgesetzt werden.

Nur ein paar Tage darauf war der Plan der Volksabstimmung wieder vom Tisch. Dafür hatte das Parlament Papandreou das Vertrauen ausgesprochen - allerdings nur das Vertrauen darauf, dass er baldmöglichst seinen Rücktritt zugunsten einer Regierung der nationalen Einheit einreicht. In der Folge wurde der ehemalige Vizepräsident der EZB Loukas Papademos Ministerpräsident einer Koalitionsregierung auf Zeit und soll voraussichtlich in wenigen Monaten die Sparbeschlüsse des Gipfels umsetzen und das Land auf die Neuwahlen vorbereiten. Dafür wollen die beiden großen Parteien Nea Dimokratia und PASOK sowie die rechtspopulistische LAOS zusammenarbeiten.

Dies ist bemerkenswert für Griechenland, denn Koalitionen hatten seit Bestehen des griechischen Staates eine sehr geringe Halbwertszeit und gelten als Phasen der Stagnation.

In der aktuellen Situation ist es aber umso verwunderlicher, weil die größte Oppositionspartei Nea Dimokratia seit ihrer Abwahl 2009 jede Kooperation mit der PASOK verweigerte und auch die mit den europäischen Partnern vereinbarten Sparprogramme vehement ablehnte. Dagegen half auch nicht, dass der Parteichef Antonis Samaras von seinen Parteifreunden in der Europäischen Volkspartei regelmäßig zum Einlenken angehalten wurde. Erst die Ankündigung des Referendums brachte Bewegung in die verfahrene politische Situation und erzwang ein Bekenntnis der ND zum Verbleib Griechenlands in der Eurozone und zur Akzeptanz der Sparmaßnahmen. Das Ergebnis war ein tagelanges Warten auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung, von der Vertrauensabstimmung bis zur Bekanntgabe der neuen Regierung dauerte es beinahe eine Woche.

Seit dem Amtsantritt der Regierung Papademos stellt sich die griechische Politik nicht unbedingt kooperationsfähiger dar. Besonders Antonis Samaras und seine Nea Dimokratia versuchen nun einen Spagat zwischen Regierungsbeteiligung und proklamatorischer Gegnerschaft zur Sparpolitik. Die Regierung der nationalen Einheit zeigt schon in den ersten Wochen ihres Bestehens tiefe Risse.


Viele schwere Handicaps

Für die griechische Gesellschaft erbrachte das Geschacher der beiden Parteien den Nachweis, dass neben den wirtschaftlichen Problemen und der hohen Arbeitslosigkeit auch Parteien und Politiker ein schweres Handicap Griechenlands darstellten. Dies hatten schon 17% der Befragten im Oktober des letzten Jahres genannt, nur die beiden vorgenannten Themen wurden als problematischer eingeschätzt. Gleichzeitig waren 90% der Befragten unzufrieden mit der Arbeit der Regierung und der Opposition.

Das politische System der so genannten "Metapolitefsi" - der Periode seit dem Sturz der Obristendiktatur 1974 - ist in einer schweren Krise. Keine der beiden großen Parteien, die seit 1974 abwechselnd an der Macht waren, verfügt in den Umfragen über eine tragfähige Mehrheit, obwohl das griechische Wahlrecht den Sieger großzügig belohnt - ein Bonus von 50 Sitzen in einem Parlament mit 300 Abgeordneten. Auch die etablierten kleineren Parteien wie die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), das Linksbündnis SYRIZA oder die rechtspopulistische orthodoxe Volkszusammenkunft LAOS konnten nicht vom Vertrauensverlust in die beiden Großen profitieren. Stattdessen findet eine Abkehr vom politischen System insgesamt statt.

Die Bevölkerung traut den bisherigen Akteuren nicht zu, die Folgen der Krise zu bewältigen. Die neuen Parteien, die sich in den letzten beiden Jahren v.a. durch Abspaltung von den beiden Großen gebildet haben, bieten ebenfalls nur altbekanntes Personal, wie die ehemalige Außenministerin Dora Bakoyannis von der Demokratischen Allianz. Eine neue Partei oder politische Bewegung in Griechenland ist nicht in Sicht. Zwar gründete sich im Oktober eine Plattform aus angesehenen Ökonomen und Intellektuellen, die sich für die Zukunft des Landes einsetzen wollen, es ist allerdings noch offen, ob sie sich zur Wahl aufstellen lassen.

Gesellschaftlich führt das zu zwei Trends. Einerseits ist der Großteil der Bevölkerung damit beschäftigt, die Folgen der Krise auf das unmittelbare Lebensumfeld zu verarbeiten. Die Lohnkürzungen, Steuererhöhungen und Entlassungen im Zuge der Sparmaßnahmen haben dazu geführt, dass private Haushalte zunehmend unter Druck geraten, um die Ausgaben des täglichen Bedarfs bestreiten zu können. Dies trifft besonders für die Großstädte Athen und Thessaloniki zu, wo familiäre Netze weniger greifen, als dies auf dem Land (noch) der Fall ist.

Andererseits artikuliert sich der Unmut der Bevölkerung vor allem in Demonstrationen und Streiks gegen die Sparpolitik, es hat sich aber auch aus dieser Protestbewegung noch kein Forum gebildet, das die Unzufriedenheit zahlreicher Bürgerinnen und Bürger politisch artikulieren könnte. Auch die Bewegung der "Aganaktizmenoi" (der Empörten), die im Sommer teilweise mehr als 100.000 Menschen auf den Straßen versammelte, konnte lediglich den Protest gegen die Sparpolitik bündeln, aber keine politische Botschaft artikulieren.

Angesichts der im Februar anstehenden Wahlen ist die Aussicht eher düster. Mit keiner Partei, die in der Lage sein wird, allein zu regieren, werden wieder quälend lange Koalitionsverhandlungen und ein möglicher weiterer Wahlgang die Agenda bestimmen. Die Wahlbeteiligung wird dabei ein historisches Tief erreichen.


Parteienstreit verhindert Problemlösungen

Gleichzeitig wird nach dem Rücktritt Papandreous ein Machtkampf in der PASOK um die Parteiführung entbrennen. Der ehemalige Minister Michalis Chrysochoidis hat bereits seinen Hut in den Ring geworfen. Die griechischen Bürgerinnen und Bürger werden eine Fortsetzung des Parteienstreits erleben, der eine Bearbeitung der drängenden Probleme des Landes weiter verzögert und erschwert. Die Spaltung zwischen Politik und Gesellschaft wird sich noch einmal verbreitern. Das kann zu zwei Szenarien führen:

Im ersten Fall können die Verwerfungen zwischen den Bürgern und der Politik in Griechenland breiter werden. Es findet sich keine Bewegung, die den Unmut mit den Parteien und ihrer Klientelherrschaft aufnimmt. Stattdessen werden die Ränder des Parteiensystems mit den Kommunisten der KKE und den Nationalorthodoxen von LAOS gestärkt. Kompromissfindung wird zunehmend unmöglich, das Land wird unregierbar.

In diesem Klima werden gewalttätige Strömungen von rechts und links wieder gestärkt werden. Die in Griechenland lange noch aktiven linksterroristischen Gruppierungen werden wieder Zulauf erhalten. Am rechten Rand werden sich ebenfalls terroristische Gruppen bilden, die sich ähnlich wie in Ungarn vor allem gegen Minderheiten und Migranten richten. Auch dazu gibt es bereits Präzedenzfälle. Eine positive ökonomische Entwicklung wäre unter diesen Umständen undenkbar, Griechenland würde mit unabsehbaren Folgen für den gesamten europäischen Raum in den Bankrott gehen.

Das zweite Szenario ist etwas optimistischer: eine Umwälzung des politischen Systems von unten, durch das Aufkommen neuer politischer Bewegungen gespeist aus der erwachenden zivilgesellschaftlichen Szene Griechenlands. Dies würde auch die etablierten Parteien zwingen, sich zu modernisieren und Elemente partizipativer Demokratie stärker in ihren Rängen zu etablieren.

Die Parteien würden angesichts der neuen Alternative im Parteiensystem angehalten sein, sich kooperativer zu verhalten, weil die klare Polarisierung nicht mehr von den Wählern goutiert wird. Für einen solchen Prozess wäre die PASOK vergleichsweise gut aufgestellt, denn die Öffnung der Partei war eine der Prioritäten von Giorgos Papandreou, sie ging in der Krise jedoch ein wenig unter.

Bei einer solchen Entwicklung ist eine Durchführung der ökonomischen Reformen möglich, die Belastung der Bürger verteilt sich aber gerechter, so dass auch die Besserverdienenden stärker zur Verantwortung gezogen werden können. Ein Verbleib Griechenlands im Euro bleibt möglich.

Die Odyssee ist also noch lange nicht beendet. Nur wird sie nun dramaturgisch noch durch den Wechsel des Kapitäns und eine mögliche Meuterei der Mannschaft angereichert. Es ist deutlich, dass die Aussicht auf eine Heimkehr nach Ithaka in zehn Jahren nicht ausreicht, um den Unmut der Mannschaft zu besänftigen. Gefragt ist ein partizipativer Prozess, der sie einbindet in die Entscheidungen über den Kurs und die Verteilung bzw. Kürzung der Rationen. So würde nicht nur Odysseus irgendwann in seine Heimat zurück gelangen, auch die Demokratie würde sich in ihrem Herkunftsland sicherlich wohler fühlen.


Christos Katsioulis (* 1974) ist Referent der
internationalen Politikanalyse der FES.

christos.katsioulis@fes.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1+2/2012, S. 42-44
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2012