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LATEINAMERIKA/1153: Kolumbien - Rebellenanführer Briceño getötet, schwerer Schlag für FARC-Guerilla (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. September 2010

Kolumbien: Rebellenanführer Briceño getötet - Schwerer Schlag für FARC-Guerilla

Von Constanza Vieira


Bogotá, 24. September (IPS) - In Kolumbien hat der Tod des Guerillakommandanten Jorge Briceño der linken Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) eine empfindliche Niederlage bereitet. Die Regierung und etliche Militärexperten gehen bereits davon aus, dass sich die 46 Jahre alte Rebellenorganisation von diesem Schlag nicht erholen wird.

Nach Auffassung von Ariel Àvila, Konfliktforscher der Nichtregierungsorganisation 'Corporación Nuevo Arco Iris', hat die FARC auf jeden Fall einen "vernichtenden Schlag" erlitten. Briceño, der mit bürgerlichem Namen Luis Suárez hieß, gehörte dem engsten Führungskreis der größten Guerillagruppe des südamerikanischen Landes an. Außerdem war er Befehlshaber des sogenannten 'Ostblocks', der, im Südwesten des Landes gelegen, fast 40 Prozent der Fläche Kolumbiens umfasst, darunter einen Teil des Amazonasgebietes.

Briceño wurde am 22. September im Verlauf einer zweitägige Massenbombardierung, getötet. Bei der Operation, an der 700 bis 800 Sicherheitskräfte teilnahmen, kamen sogenannte 'intelligente Bomben' aus US-Produktion zum Einsatz, die von Flugzeugen des Typs 'Super Tucano' des brasilianischen Herstellers 'Embraer' abgeworfen wurden.

Diese Präzisionswaffen erhalten Signale von einem Mikroprozessor, der im Fall der jüngsten Militäraktion ins Lager des FARC-Kommandanten geschmuggelt worden war. Abgeworfen wurden die auf 50 geschätzten Sprengsätze über dem Nationalpark 'Serranía de La Macarena' im Zentrum Kolumbiens - einem der FARC-Entstehungsorte. Durch den Einsatz wurde das Gebiet Beobachtern zufolge vollständig zerstört.


FARC-Mythos Briceño

Bereits im März 2008 hatte die Guerilla mit dem Tod der Guerillaanführer Manuel Marulanda, Raúl Reyes und Iván Ríos eine herbe Niederlage erlitten. Der Tod von Briceño wiege für die Guerilla aber jetzt ungleich schwerer, meint der Konfliktforscher Àvila. Der Kommandant sei innerhalb der FARC äußerst beliebt gewesen und habe quasi als Mythos den legendären Mitbegründers Manuel Marulanda ersetzt.

Marulandas Nachfolger ist Alfonso Cano, der eigentlich Guillermo León Sáenz Vargas heißt und einst als Anthropologe an der Nationalen Universität in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá lehrte. "Als Stadtmensch konnte er bei der ländlichen Basis der FARC längst nicht die Popularität Marulandas erreichen", so Àvila.

Der jetzt bei dem Militärschlag ums Leben gekommene Briceño war 1953 in Boavito im Nordosten Kolumbiens geboren worden, einer traditionell gewaltgeprägten Region. Hier begann 1946 ein Bürgerkrieg. Briceños Weg zu den FARC war insofern vorgezeichnet, als seine Mutter - eine Guerillera - als Köchin für einen FARC-Anführer arbeitete.

Briceño hatte keine formale Schulbildung genossen und lernte das Lesen erst bei den Rebellen. In ihrem Kreis sollte er sich mit Kolumbiens Geschichte beschäftigen und sich der Lektüre marxistischer Texte widmen. Er galt als scharfsinniger und aufmerksamer Gesprächspartner, der sich medizinische Kenntnisse aneignete, ums sich selbst behandeln zu können. Er war über alles, was an der FARC-Basis vor sich ging, bestens informiert.


Schwächung nur vorübergehend

Ariel Àvila zufolge entwickelte sich Briceño innerhalb der FARC nicht nur zu einem militärischen, sondern auch zu einem kulturellen Mythos. Auf dem Höhepunkt 1998/99 des Bürgerkriegs standen im 'Ostblock' rund 9.000 Kämpfer unter seinem Kommando. Die Zahl soll im Zuge der von den USA mitfinanzierten Militäroperationen 'Plan Colombia' und Plan Patriota' sowie 'Plan Consolidación' - eine zivil-militärische und von mehreren europäischen Ländern unterstützte Kampagne - auf 4.000 gesunken sein.

Im Unterschied zu Kolumbiens Regierung und einigen Beobachtern geht Àvila nicht davon aus, dass die FARC durch den Militärschlag in ihrer Existenz bedroht ist und Friedensverhandlungen nur noch eine Frage der Zeit sind. Wer so denke, habe die FARC nicht verstanden, sagte der Experte. Er rechne zwar mit einer neuerlichen Demobilisierung der Kämpfer, "doch die FARC wird sich wieder erholen". (Ende/IPS/bs/2010)


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2010