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LATEINAMERIKA/1255: Waffenimporteur Venezuela - Bericht vermisst Transparenz und Kontrolle (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. März 2011

Venezuela: Umfangreiche Waffenkäufe - Bericht vermisst Transparenz und Kontrolle

Von Humberto Márquez


Caracas, 28. März (IPS) - Venezuela gehört mit Brasilien, Kolumbien und Chile zu den größten Waffenimporteuren Lateinamerikas. Dennoch fehlt es dem südamerikanischen Land einem neuen Bericht zufolge an Transparenz, parlamentarischer Kontrolle und der Fähigkeit, sich mit hypothetischen Konflikten auseinanderzusetzen.

Wie aus dem Report der 'Bürgerkontrolle für Sicherheit, Verteidigung und Streitkräfte' hervorgeht, hat Venezuela von 2005 bis 2010 Waffenkäufe im Wert von 13 Milliarden bis zu 15 Milliarden US-Dollar getätigt. Allein die russischen Lieferungen hatten demnach einen Wert von 8,5 Milliarden Dollar.

Das Problem mit den venezolanischen Rüstungseinkäufen sei der Mangel an Transparenz und demokratischer Kontrolle, monierte Rocío San Miguel, die Leiterin der Nichtregierungsorganisation (NGO). Auch gebe es in dem südamerikanischen Land keinen Konsens in Fragen der strategischen Verteidigung.


Verstoß gegen demokratisches Prinzip

Die Undurchsichtigkeit der Waffenkäufe, der ausgehandelten Beträge und der Zahlungen seien jedoch ebenso problematisch wie die Praxis, dass Staatspräsident Hugo Chávez militärische Entscheidungen zu 90 Prozent selber treffe. Damit werde gegen das demokratische Prinzip der parlamentarischen Kontrolle verstoßen.

Dabei sieht die Verfassung von 1999 die Einrichtung eines Nationalen Verteidigungsrats aus hochrangigen Verteidigungsexperten vor, die dem Land "die strategische Richtung" vorgeben und das Prinzip der Ko-Verantwortlichkeit zwischen Sicherheitskräften und Zivilgesellschaft ermöglichen sollen.

In diesem Monat hätte Verteidigungsminister General Carlos Mata dem Parlament auf Initiative der Opposition über Rüstungskäufe und Militärfragen Rede und Antwort stehen sollen. Das Vorhaben scheiterte jedoch am Widerstand der regierenden Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), die im Parlament die Mehrheit hält.

Minister, die für politische und wirtschaftliche Entscheidungen zuständig sind, fanden sich zwar ein, um Rechenschaft über ihre Aktivitäten abzulegen. Doch die Fragen von Abgeordneten über die Militärausgaben beantworteten sie nicht.

Die Rüstungsexpertin San Miguel moniert, dass die venezolanischen Teilstreitkräfte Armee, Luftwaffe, Marine und Nationalgarde bei der Beschaffung von Rüstungsgütern in ständigem Wettstreit liegen, wobei die Armee stets als Sieger hervorgehe. Somit sei Venezuela trotz hoher Erdöleinnahmen nicht in der Lage, sich mit einem adäquaten Verteidigungssystem auszustatten.


Rüstungsgüter vorwiegend aus Russland und China

Wie aus dem Bericht von Bürgerkontrolle für Sicherheit, Verteidigung und Streitkräfte hervorgeht, kauften die 117.000 Mann starken venezolanischen Sicherheitskräfte in den vergangenen fünf Jahren Waffensysteme in 14 Ländern ein, 30 dieser Waffensystem stammten aus Russland. Sie beinhalteten 100.000 AK-103- und AK-104-Sturmgewehre, 5.000 Dragunow-Scharfschützengewehre, 36 Suchoi-SU-30-Jagdbomber und 48 Mi-17-Mehrzweck-, zehn Mi-35-Kampf- und fünf Transporthubschrauber.

Ebenfalls erwarb Venezuela 1.000 85-Millimeter RPG-Raketenwerfer, ebenso viele tragbare IGLA-Raketenwerfer, 92 T-52 Panzer und 137 BMP- und PTR-Infanteriefahrzeuge. Zudem wurde der Kauf von Kanonen, Mörsern, Raketen und Raketenabschussrampen sowie U-Booten, weiteren Kampfflugzeugen und Amphibienfahrzeugen angekündigt.

China wiederum stattete Venezuela mit 25 K8-Trainingsflugzeugen, zehn mobilen Radarsystemen und Feld- und Kommunikations-Equipment aus. Darüber hinaus wurde die Absicht, J-10-Kampfflugzeuge zu erwerben, bekannt.

Aus Österreich kamen Anti-Aufruhrfahrzeuge und Leichtflugzeuge, aus Weißrussland Kommandozentren und elektronische Kontrollsysteme, aus Brasilien Pistolen. Ferner orderte Venezuela Anti-Aufstands-Equipment und Abwehrsysteme aus Spanien, Cessna-Flugzeuge aus den USA, Gewehrmunitionsfabriken aus Iran und Bootskanonen aus Italien. Großbritannien wiederum lieferte Luftkissenboote, Schweden (bis zu seinem Waffenembargo 2006) tragbare RBS-70-Raketensysteme und die Schweiz Marine- und Luftabwehrsysteme.

Die lateinamerikanischen Staaten zusammengenommen gaben 2009 nach Schätzungen des Stockholm-Instituts für internationale Friedensforschung (SIPRI) 51,8 Milliarden Dollar für den Kauf von Rüstungsgütern aus. Das Internationale Institut für strategische Studien in London geht für das gleiche Jahr von Investitionen in Höhe von 58 Milliarden Dollar aus.

"Welches Recht hat Lateinamerika, über Armut zu klagen, wenn es fast 60 Milliarden Dollar in Waffen und Soldaten steckt?", meinte dazu im letzten Jahr der Friedensnobelpreisträger von 1987, der ehemalige costaricanische Staatspräsident Oscar Arias (1986-1990), 2006-2010) in einer Rede auf dem Gipfeltreffen der Rio-Gruppe. (Ende/IPS/kb/2011)


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http://www.controlciudadano.org/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2011